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Sommerserie: Oberhausen als Tummelplatz des Vergnügens

Sommerserie

Oberhausen als Tummelplatz des Vergnügens

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    Der mobile Plattenspieler läuft. Siegfried Zimmermann legt auf und lauscht, Angelika Lippert (rechts) bringt den Nachschub für die nächsten Minuten.
    Der mobile Plattenspieler läuft. Siegfried Zimmermann legt auf und lauscht, Angelika Lippert (rechts) bringt den Nachschub für die nächsten Minuten. Foto: Michael Schreiner

    In diesem Café kommt keine Langeweile auf. Entweder, es muss trickreich von irgendwoher noch ein Stuhl organisiert werden, weil alles vorhandene Mobiliar besetzt ist. Oder es gibt Fotos zu bestaunen oder der Nachbar tischt einen weiteren Kuchen oder eine neue Geschichte auf. Zu erzählen und zu sehen gibt es nämlich viel an diesem fünften und vorletzten Nachmittag unserer diesjährigen Sommerserie „Kultur aus Oberhausen“. Zum Beispiel, dass die Oberhauser gut mit Thermoskannen versorgt sind. Auf unseren mobilen Schreibtischen steht eine prächtige Auswahl – von Edelstahl bis zu beige mit Blumenmuster. Und dann all diese selbst gemachten Kuchen – einfach himmlisch! Aus vielen Taschen und Boxen fügt sich ein Buffet der süßen Überraschungen.

    Zu erzählen gibt’s zum Beispiel auch, dass Stüberl und Stüble durchaus zwei verschiedene Wörter sind. Und es ist gar nicht so leicht, aus einem Stüberl dauerhaft ein Stüble zu machen, wie wir selbst mehrfach an uns bemerkt haben. Denn wenn wir wiederholt Marianne Schubers Museumsstüberl ankündigen, dann weist uns Fr. Dr. Oberhausen charmant, aber bestimmt darauf hin, dass wir in Schwaben seien. „Hier heißt es StübLE.“ Wir Büble hoffen, dass wir ein für alle Mal verstanden haben. Stüble, Stüble, Stüble.

    Fast jeder, der kommt, hat etwas dabei: Kaffee, frisch gebackenen Kuchen

    Was für einen Bekanntheitsgrad Frau Schuber und ihr Museumsstüble in Oberhausen haben, können wir direkt an unserem Stuhlbestand ablesen. Er langt hinten und vorne nicht, obwohl wir vor diesem fünften Tag noch einmal kräftig aufgerüstet haben. Also fragen wir im Jugendzentrum H2O nach, unseren Nachbarn, und so kommt auch noch eine Biergarnitur zum Einsatz. „Auf dem Plärrer ist heute Seniorentag“, stellt einer unsere Gäste fest – bei uns sind die Leute. Und die Improvisationskünstler.

    Fast jeder, der kommt, hat etwas dabei: Kaffee, frisch gebackene Kuchen, Tassen, Teller, Servietten, Kondensmilch, Zucker. Marianne Schuber und die Oberhauser verwandeln den Platz vor der Schule in ein Erzählcafé unter freiem Himmel. Sind es 70, sind es 80 Leute? Mehr? Wir geben unsere Schreibtische auf. Wenn die 86-jährige Marianne Schuber zu einer Spezialausgabe ihres Museumsstübles Oberhausen auf den Platz vor der Werner-Egk-Grundschule kommt, dann gibt’s wie im Stüble ein Kaffeekränzchen. Irgendwann greift die Stadtteilhistorikerin dann zum Mikrofon und beginnt einen vergnüglichen Vortrag über Oberhausen.

    Oberhausen als Tummelplatz des Vergnügens

    Marianne Schuber hält einen vergnüglichen Oberhausen-Vortrag.
    Marianne Schuber hält einen vergnüglichen Oberhausen-Vortrag.

    Der Bogen ist weit, er reicht von den Jägern und Sammlern in den Wertachauen über die Kelten bis zum Abriss des alten Rathauses, das da stand, wo uns jetzt die neue Schulturnhalle Schatten spendet. Oberhausen als „Tummelplatz des Vergnügens“ und die „Lebensfreude der Oberhauser“ – das wird das Leitmotiv des Schuber’schen Vortrags, in dem die pensionierte Lehrerin ihrem komödiantischen Talent viel Auslauf gönnt. Vom Selbstbewusstsein Oberhausens ist die Rede („Was wär’ denn Augsburg ohne uns?“), von den Oberhauser Bieren und Sprüchen. „Wer ein paar Pfennig im Geldbeutel hatte, zu dem sagten sie in Oberhausen: Warst an der Wertachbrücke gestanden?“ Dort wurde gebettelt. Oder aber: „Wo viel Geld isch, da isch der Teufel und wo koins isch erst recht.“ Aber Marianne Schuber kann auch ernst. Sie erinnert an die Kindersterblichkeit, die vor der Eingemeindung doppelt so hoch gewesen sei als in Augsburg.

    Die Café-Terrasse auf dem Platz vor der Schule ist an diesem Tag „the place to be“ – der Ort, an dem man sein muss, wenn es einem um Oberhausen geht. Und um Kuchen. Denn inzwischen ist auch das Sahnehäubchen eingetroffen. Erna Eisele und ihre Schwester Theresia Turner bringen Schlagsahne, die durch die Reihen wandert. Ebenso wie die Blätter mit dem Oberhauser Wappen, die Marianne Schuber kopiert hat. „30 Stück – die langen nicht, ich wusste ja nicht, dass so viele kommen“, meint sie.

    Es gibt ein Foto mit der ehemaligen Lehrerin

    Ein begehrtes Blatt: So sah Oberhausen früher aus.
    Ein begehrtes Blatt: So sah Oberhausen früher aus.

    Gekommen sind zum Beispiel ehemalige Schülerinnen von ihr: Luise Goldhacker, Claudia Gruber und Renate Riedel fangen gleich zu schwärmen an, wenn sie auf Frau Schuber zu sprechen kommen. „Sonst wären wir doch nicht hier.“ Und nach einem Plausch mit ihr gibt es noch ein Gruppenbild.

    Unter den vielen Besuchern sind auch welche, die nicht mehr in Oberhausen leben, aber trotzdem sagen: „Das ist meine Heimat.“ Wie Pfarrer Josef Hosp, der in der dritten und vierten Klasse die Mädchenschule an der Hirblinger Straße besuchte, direkt nach dem Krieg, als auch die Buben dort für kurze Zeit unterrichtet wurden. Als Lehrer hatte Hosp dort die beiden Kapläne Rudolf Schmid (später Weihbischof) und Josef Stimpfle (später Bischof von Augsburg). Aber ja, das ist schon alles ziemlich lange her. Hosp blickt jetzt auf 82 Jahre zurück – und stellt trocken fest: „Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich älter als der Papst – und wenn auch nur drei Wochen.“

    Es hat sich einiges verändert im Stadtteil

    Interessierte Zuhörer, interessante Gesprächspartner in Oberhausen: Erna Eisele (ganz links).
    Interessierte Zuhörer, interessante Gesprächspartner in Oberhausen: Erna Eisele (ganz links).

    Einer, der unsere Sommerserie ebenfalls genau verfolgt hat, ist Heinrich Deschu. Oberhausen war für ihn, den Banater Schwaben, in den 1980er Jahren die neue Heimat, bis er später nach Inningen und Bobingen ging. Und als er so viel jetzt bei uns hier über Oberhausen zu lesen bekommen hat, wollte er sich kurzerhand selbst ein Bild machen. Wie der Stadtteil heute auf ihn wirkt? „Es hat sich einiges verändert. Wenn die Stadt damals schon so viel getan hätte, wären vielleicht nicht so viele weggezogen“, sagt er.

    Also, darf man ganz unkritisch einfach in der guten alten Zeit schwelgen? Schon Schuber spricht in ihrem Vortrag die einfachen Lebensverhältnisse vieler Oberhauser an. Die 90-jährige Erna Eisele erinnert sich noch genau, wie das 1950 war, als sie als eine der ersten dort wohnte, wo heute die Stuttgarter Straße verläuft – damals im Niemandsland. „Wir hatten kein Wasser, keinen Strom, kein Klo, dafür ein Freiluftkino“. Fünf Jahre dauerte es, bis eine Stromleitung den Weg zu ihnen fand.

    Früher, als es das Dolomiti noch gab und in der Jukebox "San Francisco" lief

    Auch in der Musik-Auswahl, als später aufgelegt wird: Udo Jürgens.
    Auch in der Musik-Auswahl, als später aufgelegt wird: Udo Jürgens.

    Wir haben an diesem Dienstag auch ein Kabel aus der Schule heraus verlegt. Zum Schluss ist unser Plattenspieler daran angeschlossen. Jetzt legt Angelika Lippert auf, erst einmal die Nummer, die sie früher im Dolomiti, das es schon lange nicht mehr in Oberhausen gibt, immer als erstes in der Jukebox ausgewählt hat. „If your going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair“ heißt es in Scott McKenzies Hippiehymne. Und als gelte es, die Kuchenauswahl noch einmal zu würdigen, läuft „Sugar Baby Love“. Monika Richter, die Ende der 1980er Jahre mit ihrem Mann in der Siedlung an der Schönbachstraße gebaut hat, schwärmt von Oberhausen. „Man kommt hier schnell in Kontakt mit den Leuten“.

    Das gilt auch für das Erzähl-Cafe, in dem Iris Bauer und Erika Ihrle sich austauschen. Iris Bauer weiß noch, wie sie als Kind auf der Müllkippe in Oberhausen Nord versucht hat, gegen die Konkurrenz von robusten „Müllfrauen“ an Orangen („die waren noch ganz gut!“) heranzukommen, die die Amerikaner nach dem Krieg dort abluden. „Ich war chancenlos, aber das hat ein Ami gesehen und mir was zugeworfen, direkt in die Arme.“

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