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Theater Augsburg: Eine neue Leber für die Fledermaus!

Theater Augsburg

Eine neue Leber für die Fledermaus!

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    Komm auf die Schaukel Rosalinde.
    Komm auf die Schaukel Rosalinde. Foto: A.T. Schaefer

    Anders als die Kleine Hufeisennase, jene Fledermausart, die ein Revier rund um die Dresdner Waldschlösschenbrücke besetzt, steht die gemeine Bühnen-Fledermaus aus der Familie der Sträuße nicht unter Naturschutz. Mehr noch: Recht eigentlich wird die gemeine Bühnen-Leander Haußmann martern und letztlich exekutieren ließ, dann 2001 in Salzburg, als sie Hans Neuenfels halb virtuos, halb krampfhaft vergiftete und zerlegte. (Diese Aufführung zog einen wunderbar kuriosen Rechtsstreit nach sich – siehe Extra-Kasten.)

    Jetzt aber betrat in Augsburg der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson den Operationssaal. Er öffnete die Fledermaus, sah subkutan nach den Innereien, schnitt hier was weg, flickte dort ein Gefäß und ein Gelenk ein, und verantwortete auch zwei, drei Organtransplantationen als lebenserhaltende Maßnahmen (Leber!). Das Bulletin nach der Operation könnte lauten: Eingriff überwiegend gelungen, das Viech jedenfalls lebt.

    Genau das jedoch haben einige anteilnehmende bis rebellierende Zeugen im Theater Augsburg deutlich vernehmbar anders gesehen. Ihr Befund lautete hernach auf: ärztlicher Kunstfehler plus Tierquälerei plus Tötungsabsicht. Und nun wollen diese wie auch jene, die den Skalpellschnitten begeistert applaudierten, einen jeweils in ihrem Sinne vernünftigen Chirurgiebericht an dieser Stelle lesen.

    Kann aber nur bedingt geliefert werden. Denn die Operation umfasste drei unterschiedlich zu betrachtende Phasen. Auf jeden Fall muss erst einmal festgehalten werden: Nahezu seit Menschengedenken wird an der Fledermaus herumgedoktert. Die allgemein verbindliche Werkgestalt: Es gibt sie nicht. Seit 100 Jahren wird gestrichen, dazu geschrieben, kabarettistisch aktualisiert, improvisiert, extemporiert. Und seit 100 Jahren werden Musikstücke daraus eliminiert sowie werkfremde, ja selbst Strauß-fremde Töne integriert. Nichts anderes tut nun auch Thorleifur Örn Arnarsson nach einer eher konventionellen Introduktion: Er lässt mit pfiffiger Ironie die „Spielregeln“ der Premiere erklären, die heftig beklatscht wie abgelehnt werden dürfen; er lässt darauf hinweisen, dass jeder, dem das Bühnengeschehen nicht behage, sich auf den Fortlauf der über Bildschirme eingeblendeten Partitur beschränken könne; er lässt die Protagonisten erstmals groß angelegt aus ihrer Rolle fallen.

    Inszenierung nimmt an Fahrt auf

    Dann nimmt die Inszenierung – deren aus dem Lot geratenes Bühnenbild (Vytautas Narbutas) mit seinem schwebend-schwankendem Mobiliar um so besser verständlich wird, je mehr der Abend unter Alkoholeinfluss gerät – peu à peu an Fahrt auf. Bis diesselbe, Phase 2, in der Villa Orlofsky ins neuralgische Zentrum vorstößt: Dass hier Alkohol, Hochstapelei, Körpergewalt, Demütigung und Sex eine bitterböse Melange eingehen; dass hier der sich auch musikalisch hochschraubende Kollektiv-Wille zu Vergnügen, Rausch und Enthemmung letztlich in Ödnis, Trostlosigkeit und Desillusion endet, dies wird beklemmend deutlich. Im Grunde muss diese Regie als eine (provokante) Ermahnung, als ein Feldzug gegen den Alkohol, als eine Übereinstimmung mit bürgerlich guter Sitte betrachtet werden.

    In Phase 3 wird natürlich weiter gesoffen. Der Abend kippt ein zweites Mal. Doch nun leider im künstlerischen Niveau. Vor allem Gefängnisdirektor Frank (Thomas Kornack mit grundsätzlicher Begabung zum Erzkomödianten) und Gefängniswärter Frosch (Toomas Täht) verzappeln sich regelrecht in einem Netz von Brachial-Humor: krampfige Gags, scheinbar chaotisches Prima-vista-Spiel, Nonsense, Albernheiten. Das ist so unergiebig wie zäh und professionell unzulänglich, das ist enervierend. Schade um diesen Ausgang eines Operettenabends, der etwas wagte, weil doch auf der Hand liegt, dass es gerade bei der Fledermaus absurd wäre, sich sklavisch an Strauß zu halten. Was der hochtalentierte Thorleifur Örn Arnarsson nun lernen muss für weitere Musiktheater-Inszenierungen: Selbstdisziplin (anstelle eines Ins-Kraut-Schießens), plastischere, gezieltere Gestaltung der Massenszenen von Ballett (Choreografie: Riccardo De Nigris) und Chor (sorgfältige Einstudierung: Karl Andreas Mehling). Wobei gleichzeitig gilt: Insbesondere die Damenabteilung des Chores amüsierte in Maske und Kostüm (Filippía Elísdóttir).

    Dem Musiktheater-Regiedebüt Arnarssons war beigesellt das Augsburger Premierendebüt von Rune Bergmann, nunmehr 1. Kapellmeister. Gewiss, das Auge ist leichter zu reizen als das Ohr, insofern hatten es Bergmann und die hellwachen Philharmoniker nicht leicht, gegen die Bühnengeschehnisse anzumusizieren. Doch deutlich wurde Rune Bergmanns Einfühlungsgabe ins wienerische und ungarische Musik-Idiom durchaus: Wie er jeweils „einbog“ mit dem Orchester in Walzer, Polka und Csárdás, dies gelang – bei aller straffen Führung – ganz famos. Dabei setzte er weniger auf Sentiment und Schmäh, mehr auf knappe Präzision. Und erneut konnte man erfahren, dass Johann Strauß’ Sohn so filigran und frisch wie Mozart klingen kann.

    Stark gefordert die Protagonisten dieser Fledermaus, natürlich insbesondere Gabriel von Eisenstein, den Jan Friedrich Eggers mit beständig anschwellender Zornesader, aber gepflegtem Tenor gab. Sein zeitweise verleugnetes Eheweib war mit Sally du Randt ebenso klangmächtig besetzt wie die (hier tragische) Adele durch Cathrin Lange. Giulio Alvise Caselli als rächender Dr. Falke zeigte stimmlich und darstellerisch souveränes Format, tenoral etwas blass blieb Christopher Busietta als Alfred. Die innere Leere des Prinzen Orlofsky brachte Stephanie Hampl zur Geltung; Jutta Lehner (Ida) und Gerhard Werlitz (Dr.Blind) sangen und agierten zuverlässig.

    Mit seinen Stärken und Schwächen gibt der Abend enorm viel her zur Debatte. Eben das, was ambitioniertes Theater zu leisten hat.

    Die nächsten Aufführungen im Großen Haus: 26.Januar; 4., 21., 26.Februar, jeweils 19.30 Uhr

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