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Wirtschaftsgeschichte: Ein Dinosaurier, dieser Musikverlag

Wirtschaftsgeschichte

Ein Dinosaurier, dieser Musikverlag

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    Im Herz von Anton Böhm & Sohn: Der Geschäftsinhaber Thomas Ballinger-Amtmann steht im Lager, in dem tausende von Noten auf ihre Käufer warten.
    Im Herz von Anton Böhm & Sohn: Der Geschäftsinhaber Thomas Ballinger-Amtmann steht im Lager, in dem tausende von Noten auf ihre Käufer warten.

    Ein altehrwürdiges Augsburger Geschäft – das ist zu riechen, sobald man das Treppenhaus betritt. Papier, hier muss jede Menge Papier lagern, altes Papier, wie in einer Bibliothek. Wie einfach das alles in der Langen Gasse 26 in Augsburg wäre, wenn es städtisches oder staatliches Geld dafür gäbe. Aber nein, auch wenn die Notentexte, die dort auf den Verkauf warten, zum Teil Unikate sind, wird alles privatwirtschaftlich finanziert. Und Thomas Ballinger-Amtmann, der den Musikverlag Anton Böhm & Sohn in sechster Generation führt, kann ein Lied davon singen, wie schwer das Geschäft im 21. Jahrhundert geworden ist.

    Als Ballinger-Amtmann 1977 in den Verlag eingestiegen ist, waren dort 25 Mitarbeiter beschäftigt, heute, 40 Jahre später, sind es noch drei. Und die Aussichten: Es wird mit Sicherheit nicht einfacher. Am 22. November, dem Cäcilientag, auch Tag der Hausmusik benannt, wird der Verlag 215 Jahre alt. Kaum ein Musikverlag in Deutschland ist älter. „Wir sind ein Dinosaurier“, sagt Ballinger-Amtmann. Anton Böhm & Sohn ist auf Kirchen- und Chormusik spezialisiert. Schwerpunkt sind Komponisten aus der Region und Süddeutschland – aber nicht nur.

    Die digitale Revolution ist nicht nur ein Segen

    Groß geworden ist der Verlag im 19. Jahrhundert, als das Bürgertum die Musik für sich entdeckte, viele Chöre gegründet worden sind. Heute allerdings leidet der Musikverlag auf der einen Seite darunter, dass das Internet und die Kostenlos-Mentalität zu einer immer größeren Bedrohung des Geschäfts geworden sind, auf der anderen Seite gibt es immer weniger Chöre. Viele laden Noten, die nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind, einfach im Internet herunter.

    Vor zwei Jahren musste Anton Böhm & Sohn seine Musikalienhandlung in der Ludwigstraße schließen. Das Ladengeschäft rentierte sich nicht mehr. Seitdem werden die letzten noch im Lager befindlichen CDs und die Noten nur noch versendet, wie Ballinger-Amtmann erzählt. Wenn er von der Vergangenheit spricht, spürt man, dass die digitale Revolution nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch ist. „Das war ja nicht nur ein Geschäft, sondern ein kultureller Mikroorganismus, ein kultureller Tante-Emma-Laden“, sagt er. Vom Generalmusikdirektor bis zum Hobbymusiker reichte die Kundschaft. Der Laden war immer eine Informationsbörse, zur Bestform liefen die Verkäufer auf, wenn Kunden eine bestimmte Musik wollten, aber weder den Titel noch den Komponisten nennen konnten, nur wussten, dass es eine lateinische Messe gewesen sein soll, die ihnen so gut gefallen hatte. Und Ballinger-Amtmann fragte so geschickt weiter, dass die junge Kundin ihm doch ein kleines Motiv vorsingen konnte. Und siehe da: Die Messe entpuppte sich als Carl Orffs „Carmina Burana“.

    Auf Solidarität kann man nicht hoffen

    Einschneidend war für Ballinger-Amtmann, als Ende 2015 eine Kundin im Ladengeschäft erzählte, dass es in ganz New York keine Musikalienhandlung mehr gebe. Noten kauft man nicht mehr in einem Geschäft, Noten bestellt man sich. Oder man kopiert sie einfach, was für das Bestehen des Verlags noch viel schlimmer ist. „Das machen viele Chöre so“, sagt Ballinger-Amtmann. Auf Solidarität mit einem Musikverleger wie ihm kann er von dieser Seite nicht hoffen.

    Der Verlag Anton Böhm & Sohn lebt vom Verkauf von Papier, von Noten. Das spürt man in dem ganzen Haus. Im oberen Stockwerk ist das Handlager, stehen hunderte, nein tausende von Schubladen, in denen die Noten lagern. Unten im Erdgeschoss ist das große Lager, aus dem heraus das Handlager bestückt wird. Dort unten sind auch Noten aus dem 19. Jahrhundert zu finden.

    Der älteste Aufzug der Stadt

    Das Mobiliar in den Büros stammt noch aus den 1950er Jahren, es trotzt dem Internet-Zeitalter erfolgreich. Quer durch das Haus fährt ein kleiner Lastenaufzug. Wenn die Inspektion fällig wird, bekommt Ballinger-Amtmann vom Mitarbeiter der zuständigen Firma immer zu hören, dass der Aufzug der älteste noch funktionierende in Augsburg sei. Baujahr 1958 – Tragkraft 100 Kilogramm. Und in Ballinger-Amtmanns Büro steht ein Klavier. „Aber bitte nicht darauf spielen“, sagt er. Seit 20 Jahren sei das Instrument nicht gestimmt worden.

    Neue Musikliteratur kommt nur noch gelegentlich hinzu, erzählt Ballinger-Amtmann. Der Großteil des Geschäfts falle auf das Archiv und den großen Bestand des Verlags. Was nicht heißt, dass es dort nichts zu tun gebe. Gerade aktualisiert Ballinger-Amtmann den Notensatz von Haydns Mariazeller-Messe, bislang gab es von der Messe keine Orchester- und Chorpartitur, sondern nur eine Klavierpartitur und die einzelnen Chorstimmen. „Für uns ist es sinnvoller, das Repertoire aufzufrischen.“

    Und wie geht es weiter?

    Wie es mit dem altehrwürdigen Verlag Anton Böhm & Sohn in Zukunft weitergeht, kann Ballinger-Amtmann nicht sagen. „Eine siebte Generation ist nicht in Sicht“, sagt der Inhaber. Seine Tochter habe sich beruflich anders orientiert. Außerdem denkt er auch noch nicht ans Aufhören. „Möglich wäre es, einen größeren Musikverlag zu finden, mit dem wir sinnvoll fusionieren können“, sagt er. Oder aber es steigt jemand ein, der von der Kirchenmusik kommt und die Geschäfte fortführt. Gerade muss sich Ballinger-Amtmann allerdings mit profanen Dingen herumschlagen. Die neue EU-Datenschutzverordnung hat dazu geführt, dass er die Homepage seines Verlags aus dem Netz nehmen musste, weil sie den Auflagen nicht mehr entsprochen hat. Gerade wird fieberhaft daran gearbeitet, alles nach den neuen Bestimmungen anzupassen. Im November, spätestens Dezember ist es so weit, dann ist Anton Böhm & Sohn, der 1803 gegründete Musikverlag, wieder im Internet abrufbar.

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