Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten
Feuilleton regional
Icon Pfeil nach unten

Projekt: Wo sich die Kirche ganz unkompliziert gibt

Projekt

Wo sich die Kirche ganz unkompliziert gibt

    • |
    Auf der Westchorbühne vor St. Moritz darf drei Monate lang alles passieren. Neugierig waren die Menschen bei der Eröffnung am 5. Mai. Und das Programm dort spricht noch immer die Passanten an.
    Auf der Westchorbühne vor St. Moritz darf drei Monate lang alles passieren. Neugierig waren die Menschen bei der Eröffnung am 5. Mai. Und das Programm dort spricht noch immer die Passanten an.

    Der Funke springt sofort über, als Mjali and Band auf dem Moritzplatz mit afrikanischem Folk loslegen. Es ist ein Rhythmus, der unmittelbar in den Körper geht, der in den Füßen und in den Fingern juckt. Das Publikum auf der sogenannten Westchorbühne, die sich die Moritzkirche zu ihrem Jahrtausend-Jubiläum leistet, wird am Sonntagabend zusehend zahlreicher. Passanten auf ihrem Stadtbummel bleiben animiert stehen und setzen sich dazu.

    So hat sich das Michael Grau, der Kulturreferent der Moritzkirche, vorgestellt, als er das waghalsige Projekt aufsetzte. Drei Monate lang verlängert sich die Kirche auf den Platz – mitten unter die Leute, ohne sagen zu können, was auf die katholische Pfarrgemeinde und die angeschlossene Cityseelsorge zukommt. Zur Halbzeit zieht Grau nun eine positive Bilanz. Wenn auch manchmal nur ganz wenige Besucher da sind, habe sich hier doch ein kleines Festival entwickelt.

    Die Resonanz fällt so wechselhaft wie das Wetter der vergangenen sieben Wochen aus. Zu „Exit Ghost“, der Hamlet-Performance des Staatstheaters mit dem Schauspieler Klaus Müller, die live abgefilmt werden sollte, wären am Samstag sicher viele Besucher geströmt. Doch just zwei Stunden zuvor ging ein heftiges Gewitter über Augsburg nieder. Das Theater sagte nach einigem Zögern die öffentliche Vorstellung ab, spielte aber intern trotz des Regens. Ein Schweizer, der zufällig des Weges kam, wurde Teil des Filmsets.

    „Wenn es dann doch schön wird, vergisst man das andere“, hat Michael Grau erfahren. Das andere, das waren Tage mit empfindlich tiefen Temperaturen und tristem Regen. Aber selbst bei kühlerer Witterung kamen großartige Veranstaltungen zustande. „Die interkulturelle Modenschau von Geflüchteten und Asylbewerbern mit Gewändern im afrikanischen Stil war ein Volltreffer“, erinnert sich der kirchliche Kulturreferent.

    Ein anderes Highlight: Architekt Titus Bernhard und der deutsche Caritas-Präsident Peter Neher diskutieren in einer Sonntagsmatinee auf der Westchorbühne das Thema „Wo Menschen daheim sein mögen“. Die Tribüne ist voll. Beim „glänzenden Picknick“ der Theaterbühnen – eine kreative Kundgebung gegen politische Einschüchterung der Künste – hält auch große Hitze die Gäste nicht ab: Sie tanzen, schmausen und debattieren.

    Auch kleinere Formate wie der Montagabendtalk „Senf dazu“ funktionieren. Immer finden sich Interessierte, sagt Grau, so zwischen fünf und zwölf Zuhörer. Es könnten gern noch einige mehr sein. „Wenn die Menschen erst einmal da sind, sind sie begeistert“, weiß er. Letztens ging der Talk über das Thema „Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich“. Welcher Stoff verhandelt werden soll, sprayen „Die Bunten“ zuvor als Graffiti auf den Bauzaun.

    Eröffnet wurde die Westchorbühne beim Festgottesdienst zum tausendjährigen Gründungsjubiläum von St. Moritz am 5. Mai. Ein rauschendes Fest fand damals trotz eines kühlen Lüftchens auf dem Platz statt. Der Oberbürgermeister persönlich gab die Bühne im öffentlichen Raum frei. Dieser hat so seine Eigenheiten. Alle Geräusche der Stadt machen sich bemerkbar: die an- und abfahrenden Straßenbahnen und Busse, die Straßenmusiker, die plaudernden Passanten und ausgelassene jugendliche Nachtschwärmer. Mitunter ergeben sich köstliche Überlagerungen und die zufälligen Gesprächsfetzen wirken wie ein stimmiger Kommentar des Bühnengeschehens. So passiert bei der Premiere des „Judas“-Monologs mit Gastschauspieler Pirmin Sedlmeier. „Wenn er im Herbst im Saal spielt, wird die Inszenierung sicher anders aussehen“, meint Grau.

    Ein einziges Mal musste Michael Grau intervenieren und eine allzu laute Musikergruppe bitten, während der Lesung aus Max Frischs Roman „Mein Name sei Gantenbein“ zweier blinder Sprecher zu pausieren. Einen eher intimen Rahmen erfordern auch die Gebetszeiten auf der Westchorbühne. „Wenn die Kirche unter die Menschen mitten auf den Platz geht, braucht das Mut und Geduld. Und auch die Besucher müssen eine gewisse Schwelle überschreiten“, so Grau.

    Seine Assistentin Valerie Stötzer sorgt dafür, die spezielle Atmosphäre auf der Westchorbühne auf Instagram einzufangen. „Ich habe mich mit vielen Leuten unterhalten. Sie sagten, es sei so unkompliziert hier, so offen und einladend“, erzählt sie. Auf dem Platz träfen Menschen zusammen, „die bei anderen Veranstaltungen so nicht aufeinandertreffen“. Das liegt wohl auch am nicht kommerziellen Charakter. Der Eintritt ist stets frei, die eingesammelten Spenden reichen den Auftretenden. Zu kaufen gibt es nur Getränke zu moderaten Preisen.

    Für die nächsten Wochen ist noch allerhand geboten: Talk mit FCA-Präsident Klaus Hofmann, das alte Augsburger Heilig-Kreuz-Spiel, ein Tag der lateinamerikanischen Musik, einige Kinderaufführungen des Theaters Fritz und Freunde. Kommenden Sonntag (19 Uhr) werden Geschichte und Geschichten rund um St. Moritz erzählt. Die Augsburger Sommernächte werden auch auf der Westchorbühne stattfinden mit Bands und DJs. Und ab 21. Juli übernimmt der „Taubenschlag“ das Gelände bis zum Friedensfest.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden