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Interview: Auf ein Gespräch mit zwei Ausnahmesportlerinnen

Interview

Auf ein Gespräch mit zwei Ausnahmesportlerinnen

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    Auf einen Kaffee trafen sich die beiden Augsburgerinnen Heidi Grundmann-Schmid und Tina Rupprecht am Rathausplatz, um über ihre großen Sportkarrieren zu plaudern.
    Auf einen Kaffee trafen sich die beiden Augsburgerinnen Heidi Grundmann-Schmid und Tina Rupprecht am Rathausplatz, um über ihre großen Sportkarrieren zu plaudern. Foto: Imago

    Wettkämpfe heißen heute Events, jede sportliche Leistung wird gefilmt und in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Frau Grundmann, als Sie 1960 in Rom Fecht-Olympiasiegerin wurden: Wie viele Kameras liefen damals mit?

    Heidi Grundmann-Schmid: Keine. Leider wurde keine einzige Minute aufgezeichnet. Es waren keine Italiener in der Endrunde, also hat das in Rom niemanden interessiert.

    Heute wäre das undenkbar…

    Grundmann-Schmid: Das stimmt. Ich hätte die Gefechte einfach gerne noch einmal gesehen. Es gibt zwar ein paar Fotos von dem Finale, aber eben keine bewegten Bilder.

    Anders war damals auch der Aufwand, den man betreiben musste, um Olympiasiegerin zu werden. Wie oft haben Sie trainiert?

    Grundmann-Schmid: Zweimal die Woche.

    Tina Rupprecht: Was? Wirklich?

    Grundmann-Schmid: Ja, ich traue es mich ja kaum zu sagen. Wir haben damals nicht so viel trainiert. Ich habe es gern gemacht und immer mit Herz und Leidenschaft trainiert – aber eben nicht so viel. Im Training wurde erst Gymnastik gemacht, dann Beinarbeit und dann wurde gefochten. Ein Trainer hat sich dann die Leute herausgenommen und unterrichtet, die anderen haben im freien Gefecht trainiert. Das war eigentlich ziemlich dilettantisch (lacht). Wir hatten keinen Fechtmeister. Ernährung oder so war kein Thema. Nur vor einer Weltmeisterschaft oder Olympischen Spielen habe ich ein paar Waldläufe gemacht. Da wurde auch mehr trainiert. Vor den Sommerspielen in Rom waren wir sechs Wochen eingepfercht und hatten auch einen Fechtmeister dabei. Der musste aber auch alles machen, massieren zum Beispiel. 1964 in Tokio war es dann schon ein bisschen professioneller. Da hatten wir immerhin eine Masseurin dabei.

    Die Fechterin Heidi Grundmann-Schmid in den 60er Jahren. Nur wenige Fotos sind erhalten, bewegte Bilder von ihrem Olympiasieg 1960 gibt es nicht.
    Die Fechterin Heidi Grundmann-Schmid in den 60er Jahren. Nur wenige Fotos sind erhalten, bewegte Bilder von ihrem Olympiasieg 1960 gibt es nicht. Foto: Imago

    Und wie sieht der Alltag einer Box-Weltmeisterin im Jahr 2019 aus?

    Rupprecht: Also mein Alltag ist ein bisschen anders. Der Leistungssport hat sich extrem gewandelt. Ich trainiere mindestens einmal am Tag, eine Boxeinheit dauert in der Regel eineinhalb Stunden. In der direkten Wettkampfvorbereitung, also etwa neun Wochen bis zum Kampf, ist es dann zweimal am Tag, sechsmal die Woche. Ein Tag ist frei.

    Grundmann-Schmid: Aber Ihrem Beruf gehen Sie erst einmal nicht nach, oder?

    Rupprecht: Fast nicht. Einmal pro Woche unterrichte ich Sport an der Realschule in Zusmarshausen. Mein Referendariat als Grundschullehrerin habe ich aber erst einmal aufgeschoben.

    Grundmann-Schmid: Ich müsste heute vermutlich auch mehr tun. Das Fechten hat sich extrem weiterentwickelt. Die Russinnen haben damals schon viel mehr trainiert und auch schon Videoanalysen gemacht.

    Sie können als Boxerin aber momentan von Ihren Fäusten leben?

    Rupprecht: Das kann man so sagen. Aber das ist sehr selten im Frauenboxen. Das geht auch nicht über Kampfgelder, sondern nur über Sponsoren. Und die zu finden ist nicht einfach. Das läuft im Prinzip alles über Kontakte. Aber ich kann sagen, dass ich meinen Traum lebe. Ich habe immer davon geträumt, dass ich das schaffe.

    Frau Grundmann, hätten Sie sich das zu Ihren aktiven Zeiten auch gewünscht?

    Grundmann-Schmid: Fechten lief bei mir immer nebenher. Mein Studium war stets die Nummer eins. Mir haben immer alle gesagt, man könne nicht zwei Herren dienen und ich solle mit dem Sport aufhören.

    Wäre es grundsätzlich überhaupt vorstellbar gewesen, zu Ihrer Zeit vom Sport zu leben?

    Grundmann-Schmid: Nein.

    Hätten Sie es gewollt, wenn es die Möglichkeit gegeben hätte?

    Grundmann-Schmid: Nein. Mir war die Musik immer sehr wichtig. Außerdem hätte ich dann so viel trainieren müssen. Dafür war ich schon immer ein bisschen zu faul. Ich war sehr auf meine Tagesform angewiesen. Wenn das Tempogefühl da war, ist es wie von selbst gelaufen. Wenn ich schlecht drauf war, habe ich wie wild geackert und nichts ist zusammengegangen.

    Faulheit kann sich eine Profi-Boxerin vermutlich eher selten leisten…

    Rupprecht: Keine Lust gibt es nicht. Aber ich habe glücklicherweise fast immer Lust auf Training. Nur Krafttraining mach ich nicht so gern. Da muss ich mich zwingen. Aber sonst macht mir alles Spaß.

    Die Boxerin Tina Rupprecht mit ihrem Weltmeistergürtel, den sie so schnell nicht mehr hergeben möchte.
    Die Boxerin Tina Rupprecht mit ihrem Weltmeistergürtel, den sie so schnell nicht mehr hergeben möchte. Foto: Siegfried Kerpf

    Frau Grundmann, wie sind Sie eigentlich zum Fechten gekommen?

    Grundmann-Schmid: Über meine Eltern. Die waren beide ganz begeisterte Fechter und haben mich dazu gebracht.

    Und Ihre Eltern sind begeisterte Boxer, Frau Rupprecht?

    Rupprecht: Nein, nein. Überhaupt nicht. Niemand in meiner Familie. Ich bin eher zufällig über einen Freund dazu gekommen.

    Wie hat Ihr Umfeld reagiert, als Sie sich fürs Boxen entschieden? Eine ungewöhnliche Sportart für eine Frau…

    Rupprecht: Ach, die haben mich von Anfang an voll unterstützt und mich mein Ding machen lassen.

    Grundmann-Schmid: Und was hat Sie am Boxen so gereizt?

    Rupprecht: Ich liebe den Sport einfach. Den Kampf. Das Eins-gegen-Eins.

    Ein Profisportler muss sich heute selbst vermarkten, muss die sozialen Medien füttern. Wenn Sie das alles sehen: Sind Sie froh, dass Ihnen das damals erspart geblieben ist?

    Grundmann-Schmid: Ein bisschen schon. Mein Sohn hat mich zu einem Tablet verdonnert. Ich mache jetzt sogar Onlinebanking – und habe jedes Mal Angst, dass ich mich vertippe. Die meiste Zeit verbringe ich diesbezüglich aber beim Whatsappen mit meinen Kindern.

    Wie wichtig ist das Thema soziale Medien für Sie?

    Rupprecht: Sehr wichtig. So wichtig, dass es mich manchmal sogar nervt. Es ist tatsächlich sehr viel Arbeit, immer präsent zu sein. Ich bin nicht von Natur aus so, dass ich da mein ganzes Leben online stelle. Aber irgendwie musst du es halt machen.

    Grundmann-Schmid: Also das bewundere ich. Das hätte ich nicht gekonnt. Da bin ich aus der Zeit…

    Wie haben Sie sich in den 1960ern um die Öffentlichkeitsarbeit gekümmert?

    Grundmann-Schmid: Na ja, da kam ein Reporter, hat was gefragt und ist wieder gegangen. Das war aber eher sporadisch.

    Rupprecht: Wenn du heute mit deinem Sport Geld verdienen willst, musst du das machen. Du kannst auch die Nummer eins sein und nichts machen – aber dann kennt dich keiner in einer Randsportart.

    Gab es damals für den Olympiasieg eine Prämie?

    Grundmann-Schmid: Nein. Die Medaille und einen Handschlag. Die Stadt Augsburg hat mir einen Armreif geschenkt mit den olympischen Ringen. Ich habe den Reif aber so gut wie nie getragen, weil ich befürchtet habe, dann kein Amateur mehr zu sein. Der Amateurstatus war extrem wichtig, wenn man bei Olympia starten wollte.

    In einem Thema waren die Fechter ihrer Zeit weit voraus: Einen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen gab es schon damals nicht. Würden Sie das auch bestätigen?

    Grundmann-Schmid: Ja, das kann man schon sagen. Männerfechten war vielleicht ein bisschen populärer. Aber ansonsten gab es keinen Unterschied.

    Ganz anders im Boxen, wo die Männer alles dominieren…

    Rupprecht: Vor allem im Profibereich gibt es finanziell ganz extreme Unterschiede. Aber das Frauenboxen ist im Kommen. Seit 2012 ist es auch olympisch. Bei den Männern wurden dafür drei Gewichtsklassen gestrichen, die es jetzt eben bei den Frauen gibt. Leider ist die leichteste Klasse bis 51 Kilo. Das ist ein Gewicht, das ich nicht schaffe – ich kämpfe bis 47 Kilo. Deswegen war Olympia nie ein Thema für mich. Erstens hätte ich das Gewicht nicht gebracht und zweitens wäre ich zu klein gewesen. Also wurde ich Profi. Eine Olympiamedaille ist für mich trotzdem immer mehr Wert als ein Profi-Gürtel. Olympia ist für jeden Sportler einfach das Größte, es gibt nichts Höheres.

    Grundmann-Schmid: Und so einen Olympiasieg wird man ja auch nicht mehr los. Ich bekomme immer noch Autogramm-Anfragen von Leuten, die ihre Alben ergänzen.

    Boxen und Fechten sind eng verwandte Sportarten. Wie wichtig ist der Kopf im Duell Frau-gegen-Frau?

    Grundmann-Schmid: Es gibt Kopf-Fechter, die schreiben sich genau auf, welcher Gegner was macht. Manchmal macht der Gegner aber am Nachmittag was anderes als noch am Vormittag. Intuition ist wichtig. Man muss im Gefecht die Schwächen des anderen herausfinden. Man muss Finten machen, antäuschen.

    Rupprecht: Wir schauen uns natürlich Videomaterial der Gegnerin an. Aber wie Heidi schon sagt: Plötzlich kämpft die ganz anders und dann musst du dich schnell umstellen. In der ersten Runde wird geschaut, was die andere so macht, wie sie reagiert. Dann geht es darum, ob ich ihr meinen Stil aufzwingen kann – oder sie mir ihren.

    Grundmann-Schmid: Man muss den anderen ausspionieren. Beim Boxen kommt erschwerend hinzu, dass man mit beiden Händen arbeiten muss. Das alles im Blick zu haben, ist schon anspruchsvoll.

    Direkte Duelle sind spezielle Situationen. Welche Fähigkeiten braucht es sonst noch, um sie zu gewinnen?

    Grundmann-Schmid: Man muss die Fähigkeit haben, seinem Gegner den eigenen Stil aufzuzwingen. Das muss man ausstrahlen. Wenn man sich nah gegenübersteht, spürt man sofort, wie die andere drauf ist. Wie sie sich hinstellt, wie sie schaut. Manche sind ganz provokativ. Italienerinnen wollten oft sogar ein Gespräch anfangen.

    Rupprecht: Bei uns gibt es das auch, dass die andere dich aus dem Konzept bringen will. Sprechen darf man beim Boxen nicht, aber es gibt Gesten, mit denen man provozieren kann. Oder beim Wiegen, wenn man sich Face to Face gegenübersteht und sich in die Augen schaut. Wer als Erstes wegschaut, hat verloren. Das sind Psychospielchen, da muss man cool bleiben.

    Grundmann-Schmid: Die Psyche spielt eine große Rolle. Dazu die Taktik. Und natürlich die Technik. Was hilft es mir, wenn ich psychisch gut drauf bin, aber nicht treffen kann? Wenn ich gut drauf war, hat das Florett fast automatisch ins Ziel gefunden. Sobald man zweifelt, hat man schon verloren. Das ist nirgends so extrem wie im Sport.

    Wie gut schlafen Sie vor einem wichtigen Kampf?

    Rupprecht: Am Anfang habe ich kein Auge zugemacht, weil ich so aufgeregt war. Aber je mehr Erfahrung man hat, desto besser wird das. Inzwischen schlafe ich wie ein Baby.

    Und wie war das 1960, als es um olympisches Gold ging?

    Grundmann-Schmid: Damals gab es noch kein Finale, sondern jeder musste in der Endrunde gegen jeden fechten. Das waren acht Gefechte. Wenn ich mir da vorgenommen hätte, Gold zu holen, wäre der Berg viel zu hoch für mich gewesen. Ich habe nur von Gefecht zu Gefecht gedacht. Das nächste willst du gewinnen, dann das nächste und so weiter. Mehr durfte ich nicht denken.

    Frau Grundmann hatte ihr Leben schon während ihrer aktiven Zeit der Musik gewidmet. Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?

    Rupprecht: Ich lasse mir das offen. Ich will erst einmal als Profi-Boxerin leben, solange es geht. Mein Referendariat will ich auf jeden Fall noch machen und eventuell später an einer Schule arbeiten. Ich kann mir aber auch vorstellen, eine Funktion im Boxen zu übernehmen. Nicht unbedingt als Trainer, aber vielleicht im Management oder so.

    Grundmann-Schmid: Ein Leben nur für den Sport hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich glaube, da hätte ich die Lust verloren.

    Was hat sich durch Ihren Olympiasieg in Ihrem Leben verändert?

    Grundmann-Schmid: Eigentlich nichts. Mich haben ein paar Leute in Augsburg erkannt. Und der Empfang bei meiner Rückkehr, als Zehntausende an der Straße standen – das war schon beeindruckend. Ansonsten habe ich mein Leben normal weitergelebt.

    Und ein Weltmeistertitel?

    Rupprecht: Na ja, also so einen Hype gab es natürlich nicht. Frauen-Boxen ist eben Randsport. Und bei uns ist es schwieriger, den Titel zu verteidigen, als ihn einmal zu gewinnen. Du darfst dich nie als Gejagte fühlen. Du musst Jägerin bleiben.

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