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Foto: Tobias Hase, dpa
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Pflegebedürftige sind durch Corona besonders gefährdet.

Altenpflege
06.07.2021

In den Seniorenheimen wächst die Angst vor der Delta-Variante

Von Daniela Hungbaur

Plus Corona wütete unter Menschen in Pflegeheimen besonders stark, viele Bewohner starben. Nun breitet sich die Delta-Variante aus. Doch ein klarer Plan für die Heime fehlt noch immer.

Susanne Greger macht sich Sorgen. Mit Blick auf die Ausbreitung der Delta-Variante kann die Leiterin des Eigenbetriebs Altenhilfe der Stadt Augsburg keine Entwarnung geben. Vor allem eine der fünf städtischen Senioreneinrichtungen, die auf Demenzpatienten spezialisiert ist, war von der Pandemie sehr stark betroffen. „Mit unseren dramatischen Erfahrungen in der zweiten Welle sind wir vorsichtig geworden“, sagt Greger und fordert jetzt vor allem eins: „Schnelle und klare Empfehlungen für eine Auffrischung der Impfung.“

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Aus der Berliner Charité kam bereits die Empfehlung, alte und chronisch kranke Menschen mit einer Auffrischungsimpfung besser zu schützen. Denn gerade Menschen mit einem schwachen Immunsystem könnten nach Ansicht von Leif Erik Sander, Infektionsimmunologe an der Berliner Charité, vor dem Hintergrund der sich rasant ausbreitenden Delta-Variante trotz einer Impfung stärker gefährdet sein.

Mobile Impfteams sollen wieder in die Pflegeheime kommen

Doch wie sieht die Lage in Bayern aus? Was sagen Träger der Heime? Wie gehen sie mit der neuen Bedrohung um? „Jetzt darf nicht wieder so lange gezögert werden“, betont auch Stefan Wolfshörndl. Er bildet zusammen mit Nicole Schley das neue Führungsduo der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bayern, die allein in Schwaben Träger von 24 Pflegeheimen ist. „Ist der Schutz für unsere Altenheimbewohner zu schwach, muss hier schnell nachgebessert werden und eine dritte Impfung organisiert werden, sonst erleben wir die gleichen dramatischen Situationen wie vor Monaten“, warnt Wolfshörndl und ergänzt: „Die Politik darf jetzt nicht wieder lange über Zuständigkeiten diskutieren, sondern muss rasch Entscheidungen treffen.“

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Wolfshörndl fordert das bayerische Gesundheitsministerium aber auch dazu auf, jetzt schnell die mobilen Impfteams in die Heime zu schicken, um wirklich jede noch vorhandene Impflücke zu schließen: „Wir brauchen in den Altenheimen eine hundertprozentige Impfabdeckung“, hebt Wolfshörndl hervor. Und der Schutz der Altenheimbewohner muss seines Erachtens oberste Priorität genießen. Die neue schwäbische AWO-Vorsitzende Brigitte Protschka treibt ebenfalls das Thema Impfen um – vor allem, wenn es sich erweisen sollte, dass das Coronavirus und seine immer neuen Varianten zu ständigen Tod bringenden Begleitern in den Altenheimen werden: „Dann darf es kein Tabu mehr sein, bei den Pflegekräften eine verbindliche Impfung zumindest zu diskutieren.“

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Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen brauchen einen besonderen Schutz.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek wiederum sieht vor allem die Ständige Impfkommission (Stiko) in der Pflicht. Der CSU-Politiker sagt: „Nun brauchen wir dringend belastbare Aussagen des Bundes und der Ständigen Impfkommission zur Notwendigkeit von Auffrischungsimpfungen und zum erforderlichen Abstand von der Grundimmunisierung. Hier fordere ich den Bund auf, schnell Klarheit zu schaffen. Denn wir dürfen unsere erreichten Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht verspielen.“

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Experten kritisieren zu viel Verantwortung für die Träger der Pflegeheime

Aber ist es mit dem Impfen allein getan? Nein, sagt die schwäbische AWO-Vorsitzende Brigitte Protschka. Denn die 62-Jährige aus Füssen sieht nicht nur beim Impfen Nachholbedarf: „Ich möchte die Politik mit Blick auf eine drohende vierte Welle auffordern, schnellstmöglich ein strukturiertes Pandemiekonzept aufzustellen, dass künftig für alle Senioreneinrichtungen Gültigkeit hat.“ Denn es habe sich gezeigt, dass bisher oft zu viel Verantwortung auf die einzelnen Träger abgewälzt worden sei.

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So sieht es auch Susanne Greger von der Altenhilfe Augsburg. Auch sie wünscht sich mehr klare Handlungsanweisungen. Oftmals sei man sich in der Praxis unsicher, ob man denn nun zu vorsichtig oder zu großzügig handelt. Gerade beim Testen würde ihres Erachtens ein durchdachtes, stringentes Konzept, das für alle Pflegeeinrichtungen gilt, sehr helfen.

Dass mehr Handlungsbedarf besteht, zu diesem Schluss kommt auch der aktuelle AOK-Pflegereport: „Die Infektionsschutzmaßnahmen während der Pandemie reichten nicht aus, um die im Heim lebenden, pflegebedürftigen Menschen ausreichend zu schützen.“ Das sagt Dr. Antje Schwinger, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und Mitherausgeberin des Pflege-Reports. Diese grundlegende Erkenntnis müsse für zukünftige Pandemiekonzepte ebenso berücksichtigt werden wie die deutlichen gesundheitlichen Folgen für die Pflegebedürftigen, insbesondere auch die psychischen Belastungen durch die Isolation.

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Foto: Tom Weller, dpa
Foto: Tom Weller, dpa

Ein Pfleger schiebt die Bewohnerin eines Pflegeheims in einem Rollstuhl.

Wie wichtig soziale Kontakte für die Bewohner sind, das habe man in der Pandemie gelernt, hebt auch Susanne Greger von der Altenhilfe Augsburg hervor. Möglichst kleine, aber feste Bewohnergruppen seien außerdem entscheidend, damit man die Gefahr einer Ansteckung im Falle einer Infektion schnell eingrenzen kann. Zudem habe sich gezeigt, wie notwendig es ist, Senioreneinrichtungen großzügig zu bauen, damit im Falle eines grassierenden Virus flexibel Flächen und Räume zur Verfügung stehen. Auch viele Lüftungsmöglichkeiten müssen ihres Erachtens zur Verfügung stehen.

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Ein Appell an die Politik, sich stärker um den Schutz der Bewohner in Heimen zu kümmern, kommt von Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. „Heimbewohner waren am leichtesten zu schützen. Doch zieht sich seit Pandemiebeginn eine Schneise des Leidens und des Sterbens durch die Pflegeeinrichtungen“, erklärt er in einer Pressemitteilung und kritisiert: „Bis heute fehlen Konzepte, um Ketteninfektionen in Heimen professionell einzudämmen.“ Für eine vierte Infektionswelle müssen deshalb jetzt die nötigen Vorbereitungen getroffen werden. Es gelte, Corona schon vor der Tür zu stoppen und weiter ungeimpfte Mitarbeiter und Besucher täglich vor dem Einlass zu testen.

Ebenso notwendig blieben Hygienekonzepte und externe Pflegekräfte, die im Falle einer Ketteninfektion das Personal in der Einrichtung unterstützen. „Auch ist das Vorhaben gescheitert, Infizierte und Nichtinfizierte innerhalb eines Hauses zu trennen. Es braucht Kapazitäten für eine kurzfristige Unterbringung außerhalb.“ Und es müsse jetzt geklärt werden, wann das dritte Impfangebot die Menschen in der Altenpflege erreichen muss. „Darüber erst im Herbst zu entscheiden, ist viel zu spät“, betont Brysch. Auch er sagt: Bis heute hätten Bundesregierung und Bundesgesundheitsminister kein tragfähiges Altenpflege-Pandemie-Konzept vorgelegt, wie in Zukunft mit Ketteninfektionen und Auffrischungsimpfungen umzugehen ist. „Die über 45.000 Toten in der Altenpflege müssen Warnung und Auftrag sein.“

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