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Hilfe: Betreuung, aber keine Entmündigung

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Betreuung, aber keine Entmündigung

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    Betreuung, aber keine Entmündigung
    Betreuung, aber keine Entmündigung

    Der 39-Jährigen fällt es sichtlich schwer, von ihrem Leben zu erzählen. Extrem schüchtern wirkt sie. Zaghaft beginnt sie zu sprechen. Doch wo anfangen? Psychische Probleme begleiten sie von Kindheit an. Panikattacken erlebt sie schon im Kindergarten. Mit dem Lernen tut sie sich schwer. Sie wird auf eine Förderschule geschickt. Fühlt sich aber auch dort ausgeschlossen, spricht von Mobbing. „Mit 16 hatte ich dann endgültig genug“, erinnert sich die Augsburgerin. Sie versucht sich das Leben zu nehmen. Nächste Station: Psychiatrie. Dann kommt sie in eine betreute Wohngruppe. Beginnt eine Ausbildung. Bricht ab. Heiratet. Lässt sich scheiden. Nirgends fühlt sie sich geborgen.

    Heute geht es ihr besser. Sie sitzt in einem Raum des Betreuungsvereins Augsburg. Neben ihr hat Silke Stade Platz genommen. Sie ist die Leiterin des Betreuungsvereins, dessen Träger der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) ist. Seit gut zehn Jahren unterstützt eine Kollegin von Stade die junge Frau. Steht ihr bei Behördengängen bei, etwa bei Besuchen des Jobcenters, unterstützt sie bei ihren finanziellen Angelegenheiten, ist da, wenn es in der Arbeit Probleme gibt. Die junge Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, arbeitet gerne. Reinigungsfachkraft ist sie. Schließlich hat sie nach dem ersten Abbruch doch noch eine Ausbildung als hauswirtschaftstechnische Helferin abgeschlossen. Doch Stress und Druck verträgt sie nicht gut. „Da kann ich auch richtig ausflippen – beginne zu weinen oder zu schreien“, gesteht sie. Umso stolzer ist sie, dass es seit vielen Jahren beruflich gut klappt. Zehn Stunden in der Woche arbeitet sie. Vielleicht werden es auch mal mehr.

    Silke Stade strahlt. Ist dies doch das Ziel ihrer Arbeit und der ihrer drei Kolleginnen im Betreuungsverein: Menschen, die psychisch, körperlich oder geistig Probleme haben, bei ihrem Weg zu einem selbstbestimmten Leben zu unterstützen. Doch das Wort Betreuung wird sehr oft falsch verstanden. Da gebe es auf der einen Seite viele, die glauben, da kommt jemand, der meinen Haushalt macht. „Auf der anderen Seite denken sehr viele an Entmündigung“, weiß Stade. Dabei müssen in der Regel die betroffenen Menschen einer gesetzlichen Betreuung zustimmen. Nur bei ganz schweren Erkrankungen, die beispielsweise dazu führen, dass Menschen für sich oder andere eine Gefahr darstellen, werde eine Betreuung tatsächlich von außen angeordnet. In immer mehr Fällen kommen Menschen auf den Betreuungsverein zu. Senioren etwa, die merken, dass ihre geistigen Kräfte nachlassen und die sich noch bewusst eine Betreuerin vom SkF aussuchen möchten. Aber auch viele psychisch kranke Menschen erkennen sehr wohl, dass sie Hilfe benötigen, wollen oder haben aber niemanden in der Familie, der diese Aufgaben für sie übernimmt.

    Die Arbeit der Betreuer wird immer aufwendiger, berichtet die Sozialpädagogin. Immer kräftezehrender gestalte sich der Kampf mit den Behörden, der Kampf ums Geld. Die Betreuer würden pauschal für jeden Fall bezahlt werden. Dass jede Betreuung aber immer individuell ist, immer wieder Krisen auftreten, die viel mehr Zeit beanspruchen, darauf nehme das System zu wenig Rücksicht. Mit dem SkF als Träger hätten sie großes Glück. Er achte auf eine faire Entlohnung – „doch immer mehr selbstständige Betreuer geben auf, weil sie von ihrer Arbeit nicht mehr leben können“. Dabei steige der Bedarf. „Vor allem nehmen die psychischen Erkrankungen bei jungen Menschen massiv zu“, sagt Stade. Die psychischen Probleme, mit denen sich die junge Frau herumplagt, die bereit war, von ihrer Situation zu erzählen, bringen es mit sich, dass Advent und Weihnachten für sie ein Gräuel sind. „Viel zu viel Hektik“, sagt sie. Auf die Weihnachtsfeier allerdings, die der Betreuungsverein jedes Jahr ausrichtet, geht sie immer. Darauf freut sie sich. „Da kenne ich ja schon viele Leute“, sagt sie. Die Kartei der Not, das Leserhilfswerk unserer Zeitung, weiß um die Bedeutung solcher Lichtblicke und unterstützt die Weihnachtsfeier seit 15 Jahren. „Die Einsicht, seinen Alltag nicht mehr ohne fremde Hilfe bewältigen zu können, ist schmerzhaft. Und oft sind dann schon viele Probleme, Einsamkeit und finanzielle Nöte entstanden“, schildert Arnd Hansen, Geschäftsführer der Kartei der Not, seine Erfahrung. „Deshalb ist diese Betreuung sehr wichtig und deshalb helfen wir gerne mit, wenn es darum geht, Menschen in Not das Gefühl zu geben, dass sie nicht ganz allein sind.“

    Silke Stade kennt viele Menschen, für die das kleine Geschenk der Kartei der Not das einzige Weihnachtsgeschenk ist. Auch für die 39-Jährige wird es das einzige sein. Ihr Vater ist tot. Ihre kranke Mutter lebt im Pflegeheim. Den Heiligen Abend wird sie bei ihr verbringen.

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