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Fall Gurlitt: Umgang mit Kunstfund: Staatsanwaltschaft Augsburg in der Kritik

Fall Gurlitt

Umgang mit Kunstfund: Staatsanwaltschaft Augsburg in der Kritik

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    Eine mindestens sechsköpfige Expertengruppe soll die Herkunft aller Bilder recherchieren.
    Eine mindestens sechsköpfige Expertengruppe soll die Herkunft aller Bilder recherchieren. Foto: Marc Müller/dpa

    Es herrschen Wut und Entrüstung, Zweifel und Verdacht. Der Streit um den Umgang mit dem sensationellen Schwabinger Kunstfund, der vermutlich auch Raubgut aus der Nazi-Zeit enthält, wird mit jedem Tag schärfer. „Es riecht nach Untersuchungsausschuss“, heißt es bei der SPD im Landtag.

    Beate Merk ist „wütend und erschüttert“

    Bayerns Europaministerin Beate Merk (CSU) ist „wütend und erschüttert“, weil sich herausgestellt hat, dass in ihrer Zeit als Justizministerin zwei Vermerke zu dem Fall in ihrem Ministerbüro eingegangen sind, ihr aber nicht vorgelegt wurden. Die kulturpolitische Sprecherin der SPD im Landtag, Isabell Zacharias, entrüstet sich über das Verhalten der Staatsregierung: „Es ist ein Skandal, wie mit diesem Sensationsfund umgegangen wird.“ Ihr Kollege, der SPD-Rechtspolitiker Horst Arnold, wirft dem Justizministerium „gröbstes Organisationsversagen“ vor. Der SPD-Abgeordnete Georg Rosenthal zweifelt an der Darstellung der Augsburger Staatsanwaltschaft und äußert den Verdacht: „Hier wird gerade ein Drehbuch umgeschrieben.“ Der Grünen-Abgeordnete Sepp Dürr vermutet bei den Augsburger Ermittlern eine „typisch bayerische Beamtenmentalität“. Und innerhalb der Staatsregierung gibt es einigen Argwohn, dass möglicherweise eigenmächtige Ministerialbeamte die Ursache für die internationale Blamage Bayerns und Deutschlands waren.

    HANDOUT - Max Liebermann: «Reiter am Strand», Gemälde, 1901. Das Bild ist eines von 25 Werken aus dem spektakulären Münchner Kunstfund, die seit 11.11.2013 online einsehbar in der Lostart-Datenbank aufgelistet sind und bei denen laut Behördenangaben «der begründete Verdacht auf NS-verfolgungsbedingten Entzug» besteht. Foto: Staatsanwaltschaft Augsburg/dpa (Nur zur redaktionellen Verwendung bei Urhebernennung und nur im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung) +++(c) dpa - Bildfunk+++
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    28 Bilder
    Die Behörden haben 25 Werke aus dem spektakulären Münchner Kunstfund in der Lostart-Datenbank aufgelistet, bei denen «der begründete Verdacht auf NS-Verfolgungsbedingten Entzug» besteht.

    Tatsache ist offenbar, dass nach der Beschlagnahme von rund 1400 Bildern, Drucken und Zeichnungen bei dem Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt Ende Februar 2012 zwar das Justizministerium, aber nicht die Ministerin informiert war. Beate Merk sagte gegenüber unserer Zeitung, dass sie erst jetzt auf Nachfrage erfahren habe, dass im April und im August 2012 zwei Vermerke zu dem brisanten Fall in ihrem Ministerbüro eingegangen sind. „Sie sind mir aber nicht vorgelegt worden und man hat mir davon nichts berichtet“, sagte Merk. Den Inhalt der Vermerke kenne sie bis heute nicht.

    Ähnlich dürfte es im Aufgabenbereich des Kunstministeriums gelaufen sein. Dort war, wie es in München heißt, zwar die Staatsgemäldesammlung als Fachbehörde in die Aufklärung des Falles eingeschaltet. Doch auch zum damaligen Kunstminister Wolf Heubisch (FDP) drangen keine Informationen durch. „Ich habe echt nichts gewusst“, sagte Heubisch auf Anfrage.

    Umgang mit Kunstfund empört den Landtag

    Die spektakulärsten Kunstfunde der vergangenen Jahre

    2003 findet die New Yorker Schriftstellerin Elizabeth Gibson auf einem Sperrmüllhaufen ein abstraktes Gemälde. Später stellt sich heraus, dass es sich um das 20 Jahre zuvor gestohlene Meisterwerk "Drei Menschen" des mexikanischen Künstlers Rufino Tamayo handelt. Das Bild geht an die Besitzer zurück, die es beim Auktionshaus Sotheby's für über drei Millionen Dollar versteigern. Gibson erhält einen Finderlohn und einen kleinen Anteil am Auktionserlös.

    2006 bemerkt eine Wuppertalerin erst im letzten Moment, welch wertvolles Gemälde sich in ihrem Besitz befindet. Eigentlich wollte sie das Ölbild für 20 Euro auf einem Flohmarkt verkaufen. Beim Verpacken bemerkt sie auf der Rückseite jedoch eine Signatur. In einer Galerie stellt sich schließlich heraus, dass es sich um die "Weiße Tulpe" von Franz Radziwill handelt. Der Wert des Gemäldes wird auf rund 15.000 Euro geschätzt.

    Als ein Rentner in Baden-Württemberg 2006 den Speicher seiner verstorbenen Tochter ausräumt, findet er ein mit "Nolde" signiertes Frauenporträt. Der Vater übergibt das Gemälde der Polizei, die herausfindet, dass das Bild zwischen 1977 und 1979 aus einem Lagerhaus einer Spedition in Freiburg entwendet worden ist. Das Bild des Künstlers Emil Nolde gehörte dem Kunstverleger und Sammler Ernest G. Rathenau, dessen Erben das Gemälde zurückerhalten. 2007 wird das Bild in München für 2,58 Millionen Dollar versteigert.

    Nach mehr als 100 Jahren taucht 2011 erstmals wieder ein Gemälde von Leonardo da Vinci auf. Bei dem in New York entdeckten Werk, das einen Christus mit zum Segen erhobener rechter Hand zeigt, soll es sich nach der Meinung einiger Experten um das Bild «Salvator Mundi» handeln. Die Existenz des Leonardo-Gemäldes war seit langem bekannt, jedoch hielt man es für zerstört.

    2012 finden Kunstexperten des Madrider Prado-Museums eine "Zwillingsschwester" der berühmten Mona Lisa - eine Kopie, die gleichzeitig mit dem Original in der Werkstatt von Leonardo da Vinci gemalt worden sein soll. Das Bild hatte seit Jahren an einer Wand in der Madrider Pinakothek gehangen, sein Wert war aber lange nicht erkannt worden. Der Maler ist wahrscheinlich Francesco Melzi, der zu den bedeutendsten Schülern da Vincis zählt.

    Im November 2013 wird bekannt, dass ein 80-jähriger Münchner in seiner vermüllten Wohnung über Jahrzehnte einen schier unbezahlbaren Kunstschatz aufbewahrt hat - darunter Gemälde von Picasso, Dürer Matisse und Nolde. Bereits 2011 waren bayerische Zollfahnder offenbar auf den einmaligen Kunstschatz gestoßen. Die Fahnder beschlagnahmten etwa 1500 verschollen geglaubte Bilder von Meistern der klassischen Moderne. Darunter Werke von Pablo Picasso, Henri Matisse, Marc Chagall, Emil Nolde, Franz Marc, Max Beckmann, Paul  Klee, Oskar Kokoschka, Ernst Ludwig Kirchner und Max Liebermann. Aufgekauft hatte die Werke offenbar der Kunsthändler Hildebrand G. in den dreißiger und vierziger Jahren. Dessen Sohn Cornelius G. hat die Bilder wohl über ein halbes Jahrhundert in seiner Schwabinger Wohnung gehortet.

    Ministerpräsident Horst Seehofer und seine Minister konnten also nicht tätig werden – und genau das ist nach Einschätzung der Kulturpolitiker von SPD und Grünen das Problem. Der Fall sei in seiner historischen und politischen Tragweite unterschätzt worden, die Behörden hätten sich überschätzt. „Das ist etwas, das über die Arbeit einer normalen Staatsanwaltschaft hinausgeht. Das ist Aufgabe der Regierung“, sagt der Grünen-Abgeordnete Dürr und weist auf den unlösbaren Zusammenhang des Falles mit dem „Jahrhundertverbrechen der Nationalsozialisten“ hin. „Bilder unklarer Herkunft“ müssten sofort öffentlich gemacht werden, um den früheren Eigentümern oder ihren Nachfahren Gelegenheit zu geben, Ansprüche anzumelden. Außerdem sollte, wo es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt, die Verjährung aufgehoben werden.

    Auch die SPD-Abgeordneten Arnold, Rosenthal und Zacharias sehen im Verhalten der Behörden und in der Untätigkeit der Staatsregierung den Kern des Skandals. „Es drängt sich der Verdacht auf, dass es gar nicht beabsichtigt war, die Sache transparent zu machen“, sagt Arnold. Er kritisiert die lange Verfahrensdauer in Augsburg und „grobes Pflichtversagen“ im Justizministerium in München.

    Ansehen Deutschlands „massiv geschädigt“

    Rosenthal sieht das Ansehen Deutschlands „massiv geschädigt“ und sagt: „Ich weiß nicht, ob wir das überhaupt schon erfassen, vor welchem Scherbenhaufen wir stehen.“ Der Augsburger Staatsanwaltschaft hält er obendrein vor, Persönlichkeitsrechte Gurlitts verletzt zu haben. Die Pressekonferenz in Augsburg, so Rosenthal, „war eine Vorverurteilung in einem Grad, wie ich ihn bisher noch nicht erlebt habe.“

    Während Freie Wähler und Grüne sich noch zurückhalten, droht die SPD schon mal mit einem Untersuchungsausschuss, falls die zuständigen Minister Winfried Bausback (Justiz) und Ludwig Spaenle (Kunst) ihre Fragen nicht zufriedenstellend beantworten.

    Und ein praktisches Problem gibt es auch noch: Wenn sich herausstellt, dass Gurlitt alle oder zumindest einen großen Teil der Bilder rechtmäßig besitzt, können sie nicht einfach zurückgegeben werden. Ein Privatmann wie der 80-jährige Gurlitt habe nicht die Möglichkeiten, seinen Milliardenschatz vor Dieben zu schützen – jetzt, wo die Existenz der Bilder bekannt ist. "Kommentar

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