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JVA Kaisheim: Mafiöse Strukturen hinter Gefängnismauern

JVA Kaisheim

Mafiöse Strukturen hinter Gefängnismauern

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    Die JVA in Kaisheim. Bild: Schöllhorn
    Die JVA in Kaisheim. Bild: Schöllhorn

    Von Peter Richter Augsburg/Kaisheim. Es war keine Pizza sondern Heroin, das der Anrufer bestellte. Nicht alltäglich auch der Ort, wohin das Gift geliefert werden sollte: die Haftanstalt im schwäbischen Kaisheim (Kreis Donau-Ries).

    Was beide Gesprächspartner am 24. März 2007 nicht ahnten: Ihr Telefonat wurde von der Polizei belauscht. Im Handy-Zeitalter ist vieles möglich, auch eine Telefonüberwachung im Knast - mit richterlicher Genehmigung.

    Einblicke in mafiöse Strukturen, die in Gefängnissen unter russischstämmigen Inhaftierten beobachtet werden, lieferte jetzt ein Prozess vor dem Augsburger Landgericht. Es ging dabei um Gewalt unter Gefangenen, um erpresste Schutzgelder und Drogenhandel.

    Einer der Brennpunkte ist die Justizvollzugsanstalt (JVA) Kaisheim. Dort sitzen Häftlinge ein, die lange Freiheitsstrafen verbüßen müssen. Das Gefängnis, ein ehemaliges Kloster, ist mit 720 Strafgefangenen wie andere Haftanstalten in Bayern auch, ständig überbelegt. Es gibt so genannte "Säle", in denen sechs bis acht Mann untergebracht sind. Annähernd 100 der Inhaftierten in Kaisheim stammen aus Staaten der früheren Sowjetunion.

    Die Mutter organisierte den Drogenhandel von außerhalb

    Für vier der fünf Angeklagten, dem Kern der weitverzweigten Bande, endete der Prozess vorige Woche mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren. Mögliche höhere Strafen scheiterten an der schwierigen Beweislage, wie Vorsitzender Richter Joachim Rahlf einräumte. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft führten die Ermittlungen zu insgesamt 40 Strafverfahren, von denen einige bereits beendet sind.

    Gegen einen 25-Jährigen, der mit seiner Mutter auf der Anklagebank saß, wurde das Verfahren abgetrennt. Die 44-Jährige hatte, wie sie zugab, von außerhalb der JVA den Drogenhandel organisiert. Ein Gutachter soll ihren Sohn auf seine Schuldfähigkeit hin untersuchen. Er ist schwer drogenabhängig. Durchaus denkbar, dass er es erst im Gefängnis wurde. Denn die Telefonüberwachung, die im Frühjahr 2007 über mehrere Monate andauerte, offenbarte allein für diesen Zeitraum acht Fälle des Drogenschmuggels - meist handelte es sich um Heroin von nur wenigen Gramm.

    Der Rauschgiftkonsum fordert auch im Knast Menschenleben. Schon vor dem Prozess hatte sich ein mutmaßliches Bandenmitglied den "goldenen Schuss" gesetzt.

    Dank der Hinweise aus abgehörten Telefonaten konnte, mit einer Ausnahme, das Rauschgift sichergestellt werden. Nur einmal gelang es Häftlingen ihren Lauschern ein Schnippchen zu schlagen. Wie es in den Ermittlungsakten heißt, "konnte der Verbleib des Heroins nicht geklärt werden"

    Die Transportwege in Kaisheim variierten. Mal flog ein Päckchen zum verabredeten Zeitpunkt über die Gefängnismauer. Mal nahm es ein Häftling aus einem Versteck mit, wenn er draußen in der anstaltseigenen Landwirtschaft arbeitete. Auf dem Weg zurück in die Zelle, rechtzeitig vor den Eingangskontrollen, wurde das in Folien eingeschweißt Heroin verschluckt, um es später wieder auszuscheiden. Einfallsreich erwies sich auch der Absender einer liebevoll gestalteten Postkarte, die im Juni 2007 an einen Gefangenen in Kaisheim adressiert war. Er hatte sie mit einem Rauschmittel getränkt und dann versiegelt. In Stücke geschnitten und zum Zerkauen bestimmt, wollte sie der Empfänger anderen Gefangenen verkaufen - was nicht gelang, weil er aufflog.

    Wie gefährlich der Alltag hinter Gittern sein kann, zeigte im Prozess die Aussage eines Polizeihauptkommissars. Nachdem ein Häftling zum zweiten Mal in Kaisheim von russischsprachigen Gefangenen bedroht, geschlagen und um Geld erpresst worden war, hatte er sich der Polizei anvertraut. Dies führte zur Überwachung der Handygespräche. Obwohl der Betroffene inzwischen zu seiner Sicherheit in eine andere Strafanstalt verlegt ist, halte er ihn weiterhin "für ernsthaft gefährdet, sagte der Zeuge. Andere Häftlinge haben damit gedroht, den "Verräter" und seinen Vater "zu bearbeiten". Sein momentaner Aufenthaltsort müsse festgestellt werden, heißt es in beschlagnahmten Notizen.

    Der Zeitpunkt ist jedoch absehbar, ab dem Häftlingen in Bayern der Besitz von Mobiltelefonen nichts mehr nützen wird. Nach dem neuen Strafvollzugsgesetz, das zum 1. Januar 2008 in Kraft trat, sollen Gefängnisse einen Handy-Blocker erhalten. An der technischen Umsetzung wird derzeit noch getüftelt.

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