Hubert Aiwanger, das ist seit Jahren der Mann der Bauern und Handwerker – für große Firmen und internationale Beziehungen stehen andere. Die ihm vertraute Bühne ist das Bierzelt oder die Bauern-Demo. Doch nun steht er hier und muss zurücktreten. Einen Schritt. Die Beamten an der US-Grenze sind gefürchtet für ihre Strenge, also lässt sich selbst der bayerische Wirtschaftsminister, den Pass in der einen, die schwarze Aktentasche in der anderen Hand, ohne Widerworte wieder hinter eine gelbe Linie schicken. Am Flughafen von Charlotte hält die Linie Einreisewillige auf Distanz, bevor diese vor den Grenzbeamten treten dürfen. Es ist derzeit nicht einfach, wenn man aus Europa in die USA möchte. Schon gar nicht einfach ist das Verhältnis zwischen Europa und den USA.
Aiwanger stapft weitgehend unbeeindruckt durch die heißen Südstaaten
Dort, in North und in South Carolina, halten sich Aiwanger und eine Delegation aus der bayerischen Wirtschaft in diesen Tagen auf. Abgeordnete, Spitzenbeamte und ein Dutzend Vertreter kleinerer und mittelständischer Firmen hat der Minister im Schlepptau. Vier Monate lang wurde die Reise vorbereitet, die ursprünglich vor allem dazu dienen sollte, Kontakte zu knüpfen und Geschäfte anzubahnen – in einer Region, in der bereits Hunderte deutsche Firmen Fuß gefasst haben. Durch den Zollstreit zwischen den USA und Europa hat das Unternehmen allerdings eine ungeahnte politische Brisanz bekommen. „Politisch heiß“, wie Aiwanger sagt.
Das trifft auch auf die äußeren Bedingungen zu. Ähnlich wie daheim in Bayern hat es im Südosten der USA weit über 30 Grad und es ist zudem drückend schwül. Wer kann, flüchtet an die Strände oder in die Berge. Aiwanger stapft recht unbeeindruckt durch die heißen US-Bundesstaaten in seinem Wirtschaftsminister-Outfit: dunkler Anzug, langärmliges weißes Hemd, feste schwarze Schuhe. Der nächste klimatisierte Raum ist ja meist nicht weit, das Sakko schnell abgelegt. Und auch sonst legt der Freie-Wähler-Chef wenig Wert auf Förmlichkeiten, was durchaus ankommt.
Seit Donald Trump erneut in den USA regiert, gilt der Beziehungsstatus zwischen Deutschland und dem „großen Bruder“ als kompliziert. Deshalb erprobt Aiwanger sich in der Fremde in einer neuen Rolle: Der Haudrauf aus dem Bierzelt gibt den sanften Diplomaten, Aiwanger wirbt für Verständigung. Wobei er dies in der ihm eigenen Sprache begründet. Das klingt in diesem Fall so: „Wenn du mit jemandem raufst, der stärker ist als du, dann musst du im Zweifel die erste Backpfeife einstecken, dann kriegst du keine zweite. Wenn du aber daherkommst und sagst, jetzt zeige ich's dir, kriegst du noch ein paar zwischen die Beine.“ Auf diese Weise beschreibt der Niederbayer bildgewaltig die Ausgangslage im Zollstreit mit den USA. In dem, das ist seine Befürchtung, können die Bayern als Teil der schwächeren EU nur verlieren – und zu verlieren haben sie eine Menge.
Die Folgen von Trumps Zollpolitik spürt man auch im BMW-Werk in Spartanburg
Nirgends wird das deutlicher als bei BMW in Spartanburg. Das erste Auslandswerk des bayerischen Weltkonzerns besteht seit 31 Jahren, knapp 15 Milliarden Euro hat BMW im Laufe der Jahre dort investiert. 1500 Autos der X-Reihe werden in Spartanburg täglich hergestellt, mehr als die Hälfte davon verlässt die USA wieder, um in aller Welt verkauft zu werden. Wie sehr die 11.000 Arbeitsplätze im Süden der Vereinigten Staaten von einem reibungslosen Warenverkehr abhängen, das erschließt sich einem in den Montagehallen. In ihnen tun auch Kuka-Roboter aus Augsburg in ihrem unverwechselbaren Orange ihren Dienst, in ihnen werden die aus Europa angelieferten Motoren und Getriebe eingebaut. 40 Prozent der Teile kommen aus anderen Ländern.
Das Werk ist nach Firmenangaben voll ausgelastet, an mindestens sechs Tagen in der Woche gibt es jeweils zwei Zehn-Stunden-Schichten. Doch die Zollpolitik von Trump droht dieses Geschäftsmodell empfindlich zu stören. Wenn es dumm läuft, ist ein Fahrzeug gleich mehrfach ein Fall für den Zoll – zuerst für die Teile und später für das ganze Fahrzeug, wenn es nach Europa zurückgeht. Für Autos aus Deutschland erheben die USA derzeit einen Zoll von 27,5 Prozent. Für den umgekehrten Weg sind zehn Prozent fällig.
BMW ist nicht allein im Süden der USA. Japanische Autohersteller sind da, Mercedes und VW. Audi, das in Ingolstadt Tausende Stellen abbauen will, überlegt inzwischen ebenfalls. Mit den Autoherstellern sind Hunderte von Zulieferfirmen aus Deutschland in die USA gekommen. Sie schwärmen von den Vorzügen des Standorts: niedrige Energiekosten, wirtschaftliches Wachstum, dazu gut qualifiziertes Personal. Zudem gibt es in Mexiko ein Land in relativer Nähe, in dem die Löhne niedrig sind. Wenn da nicht die Zölle wären, mit denen Trump die ausländischen Firmen zwingen will, auf dem für sie so attraktiven Markt USA auch Fabriken zu bauen.
Doch ob nun US-Amerikaner oder deutsche Manager: Über die Zölle scheint keiner sprechen zu wollen. Das Thema ist tabu. Will man es sich mit der Trump-Administration verscherzen oder ist alles halb so wild? Ein BMW-Manager in Spartanburg winkt genervt ab: „Ich kenne den letzten Tweet nicht.“ Er spielt damit darauf an, dass der sprunghafte US-Präsident überraschende Entscheidungen gerne über die sozialen Medien hinausposaunt.
Stattdessen machen sie bei BMW auf „business as usual“. Werkschef Robert Engelhorn sagt, dass BMW für freien Handel stehe und im Übrigen auf die Verhandlungen der Europäischen Union setze. Aiwanger, der genau diese Verhandlungsführung massiv kritisiert, hätte lieber etwas anderes gehört. Er wirbt für eine einseitige Senkung der Zölle vonseiten der EU, um Entgegenkommen zu zeigen, was wiederum den Autobauern sehr entgegenkäme.
Und dann darf Minister Aiwanger mit einem Hammer das BMW-Emblem auf einem nagelneuen Auto befestigen
Immerhin gibt es für den Besucher aus Bayern ein schönes Bild fürs Fotoalbum: In der Werkshalle darf der Minister mit einem Hammer das BMW-Emblem auf einem nagelneuen X 4 befestigen. „Badging“ heißt dieser Vorgang. Aiwanger fummelt die Plakette auf die Kühlerhaube, dann ein kräftiger Hammerschlag und zweimal ein stolzes Nicken in Richtung von John. Das ist der Name des Arbeiters, der dem Minister vorsichtshalber auf die Finger schaut. John ist zufrieden. Ja, das habe der Gast aus Bayern gut gemacht und ja, der X4 sei schon ein schönes Auto. „Aber die größeren sind mir lieber.“ Womit John eine weitverbreitete Vorliebe in den USA teilt, wie ein Blick auf die Straßen bestätigt, über die die Delegation im Bus stundenlang fährt auf ihrem Weg zu Meetings, Forschungseinrichtungen und Firmen.
Bayerns Firmen leiden unter dem Zollstreit und der damit verbundenen Unsicherheit massiv. Um 14 Prozent sind die Ausfuhren in den wichtigsten Exportmarkt eingebrochen, die deutsche Autoindustrie beklagt Einbußen in Höhe von einer halben Milliarde Euro allein im April. Hubert Aiwanger setzt darauf, gut Wetter zu machen. Man müsse oft genug den richtigen Menschen erzählen, dass unbehinderter Handel für beide Seiten das Beste sei, so in etwa die Rechnung. Wie ein Mantra wiederholt er bei jedem Auftritt seiner USA-Reise: „Die besten Zölle sind keine Zölle.“ Das Schöne für den Politiker: Derartige Aussagen kosten ihn nichts, denn zu entscheiden hat er in diesem Zusammenhang auch nichts.
Umso schöner der Besuch bei Lee Lilley im Amtssitz des Gouverneurs in Raleigh, der Hauptstadt North Carolinas: Die Executive Mansion ist ein prächtiges Gebäude von Ende des 19. Jahrhunderts. Hohe Decken mit Kristalllüstern und goldenen Spiegeln an den Wänden. Fertiggestellt wurde der Prachtbau einst von Sträflingen, aber davon soll an diesem Tag nicht die Rede sein. Wirtschaftsminister Lilley, im Gegensatz zu seinem bayerischen Gegenüber ernannt und nicht gewählt, umwirbt die Gäste aus dem Freistaat sehr direkt: „North Carolina ist der beste Staat für Ihr Geschäft“, sagt er. Jeden Monat lasse sich hier eine neue deutsche Firma nieder oder baue ihre Präsenz aus. Die umstrittenen Zölle erwähnt Lilley mit keinem Wort.

Aiwanger findet seinen Kollegen trotzdem gut, überreicht ihm einen kleinen Löwen aus Nymphenburger Porzellan und fügt hinzu: „Wenn Sie Gouverneur sind, bekommen Sie auch einen großen.“ Aiwanger hat sichtlich Spaß an seiner Mission und auch keine Angst, dabei im Wortsinn Porzellan zu zerschlagen: Eine mutmaßlich kostbare Vase in einer Ecke des Amtssitzes nimmt er kurzentschlossen in die Hand, um nachzuschauen, ob sie echt ist. Das dekorative Stück übersteht den ministeriellen Qualitätstest unbeschadet. Sein Test-Ergebnis? Da will Aiwanger sich nicht festlegen. Er ist sich nicht sicher.
Daheim in Bayern lag der Chef der Freien Wähler in den vergangenen Monaten öfter daneben, wenn auch bei völlig anderen Dingen. Das „Unternehmen Bundestagswahl“ endete in einem Fiasko. Statt der erhofften drei Direktmandate für Berlin gab es keines, Aiwanger persönlich kassierte eine herbe Abfuhr. Der nächste Ausflug in die Bundespolitik hätte seine Partei um ein Haar aufs landespolitische Abstellgleis befördert: Aiwanger drohte mit einem Nein zum Berliner Schuldenpaket. In den sozialen Medien wurde er dafür gefeiert, von CSU-Chef Markus Söder fast gefeuert. Die Freien Wähler mussten klein beigeben und spätestens seitdem ist glasklar, wie die Kräfteverhältnisse sind in der Münchner Koalition.
Derweil bahnt sich die nächste Kraftprobe bereits an. Diesmal geht es um das Jagdgesetz. Über dessen Reform streiten der für die Jagd zuständige Wirtschaftsminister und die für die Forsten verantwortliche Ministerin Michaela Kaniber von der CSU seit Wochen mit Hingabe. Wenig überraschend hat sich die CSU-Fraktion jetzt auf die Seite der Ministerin geschlagen und fordert von Aiwanger, dass er seinen Gesetzentwurf überarbeiten soll. Der gibt ungerührt zu Protokoll, dass die Entscheidung am Ende in seinem Sinne ausfallen werde. Daran fehlt selbst den Leuten in der eigenen Fraktion der Glaube.
Aiwanger hat die Freien Wähler in Bayern groß gemacht, doch schon seit Längerem löst er in den eigenen Reihen immer wieder Kopfschütteln aus. Zu laut, zu radikal, taktisch ungeschickt. So in etwa lauten in Hintergrundgesprächen die Vorwürfe. Richtig aus der Deckung traut sich aber niemand. Das, sagen Insider, könnte sich ändern, wenn im Vorfeld der nächsten Landtagswahlen im Herbst 2028 die Umfragewerte schlecht seien und die Abgeordneten um ihre Mandate fürchten müssten.
Heißt für den Moment: keine akute Gefahr. Heißt: genügend Zeit für Aiwanger, um von den USA aus mit der CSU in den nächsten Clinch zu gehen. Und zwar mit deren Vize Manfred Weber. Der Europapolitiker hatte Aiwanger kritisiert, weil er wegen seiner US-Reise eine Sitzung des bayerischen Kabinetts in Brüssel versäumt hatte. Aiwanger keilte umgehend via Pressemitteilung zurück. Weber sei mitverantwortlich für „viele falsche Weichenstellungen zulasten Deutschlands“. Die EU solle sich lieber um die Senkung der Autozölle kümmern. „Wahrscheinlich muss ich wirklich öfter zu ihm nach Brüssel kommen, um ihn auf Trab zu bringen.“
Hubert Aiwanger macht seine Sache in den USA gut – findet selbst die Opposition
Die Delegation bekommt von diesem Aiwanger-Nebenkriegsschauplatz nur wenig mit. Der für die bayerischen Industrie- und Handelskammern mitgereiste Andreas Freundt lobt das verbindliche Auftreten des Wirtschaftsministers in den USA, sogar die Opposition ist mit Aiwanger zufrieden. Der habe das richtig gut gemacht und in einer schwierigen Lage deeskaliert, sagt die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Barbara Fuchs. Sie kennt Aiwanger auch anders. „Ich bin froh, dass er seine Bierzelt-Seite zu Hause gelassen hat“, sagt sie.
An diesem Freitag wird Hubert Aiwanger wieder in München landen. Voraussichtlich am frühen Nachmittag trifft er Markus Söder bei einem Sommerfest in München, am Abend hat er noch einen Auftritt bei der Feuerwehr in Pobenhausen im oberbayerischen Kreis Neuburg-Schrobenhausen. Eine Bierzeltrede. Das heißt: Jede Minute einen raushauen, damit das Publikum bei der Stange bleibt – auch wenn es oben am Rednerpult mehr als 30 Grad hat. Das, findet Aiwanger, müsse man ihm erst einmal nachmachen.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden