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Regionaler Wandel: „Landleben auf Probe“: Warum es Großstädter nach Oberfranken zieht

Regionaler Wandel

„Landleben auf Probe“: Warum es Großstädter nach Oberfranken zieht

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    Nicht einmal 2000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt der Markt Nordhalben im oberfränkischen Landkreis Kronach. Dorthin werden zehn ausgewählte Großstädter im Juni und Juli dieses Jahres ziehen.
    Nicht einmal 2000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt der Markt Nordhalben im oberfränkischen Landkreis Kronach. Dorthin werden zehn ausgewählte Großstädter im Juni und Juli dieses Jahres ziehen. Foto: Luisa Mähringer

    Einfach den Laptop aufklappen und loslegen – durch die Pandemie hat sich das mobile Arbeiten in vielen Berufsfeldern zur Normalität entwickelt. Gleichzeitig ziehen immer mehr Menschen raus aufs Land, weg von dem Trubel und der Enge der Großstädte. Doch wer nach der großen Karriere, nach Innovation und Fortschritt strebt, dem erscheint oftmals das Leben in der Stadt als einzig sinnvolle Lösung. An diesem etablierten Bild möchte das Demografiezentrum des Vereins „Oberfranken Offensiv“ mit einem außergewöhnlichen Projekt rütteln. Unter dem Slogan „Work. Land. Life – Landleben auf Probe“ sollen zehn Großstädter die Möglichkeit bekommen, zwei Monate kostenlos im oberfränkischen Markt Nordhalben zu wohnen und von dort ihrem gewohnten Job digital nachzugehen. Gefördert wird das Projekt vom Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat.

    „Wir möchten zeigen, dass eine ländliche Region genauso moderne und innovative Arbeitsverhältnisse bieten kann wie eine Großstadt“, sagt Frank Ebert, Geschäftsführer der Entwicklungsagentur „Oberfranken Offensiv“. Das Projekt in Nordhalben soll als Blaupause dienen, um einen „Werkzeugkasten“ für andere ländliche Gemeinden zusammenzustellen, die ebenso frischen Wind in ihr Dorfleben bringen möchten. Ebert stellt sich das Zusammentreffen von Stadt- und Landmenschen als „lässigen Austausch auf Augenhöhe“ vor, bei dem beide Seiten voneinander lernen und profitieren können. „Bei uns in Franken bedeutet des wohl, dass mer am Feierabend erst mal zusamme a Seidla, also a Halbe, trinkt, und dann wird des scho“, sagt Ebert und lacht. 

    Um die 100 Bewerbungen sind bei der Entwicklungsagentur eingegangen

    Es sei allerdings auch erwünscht, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf individuelle Weise in das Gemeindeleben einbringen – zum Beispiel durch die Mitarbeit in einem Verein oder bei der Organisation einer Veranstaltung. „Auf der anderen Seite hat Nordhalben nun die Chance, zu zeigen, dass hier kein Kirchturmdenken stattfindet“, sagt der Geschäftsführer. 

    Das Projekt soll im Juni und Juli dieses Jahres stattfinden, von Anfang Februar bis Ende März konnten sich Interessierte dafür bewerben. „Die Nachfrage ist gewaltig“, freut sich Ebert und spricht von um die 100 Bewerbungen. Berlin, Hamburg, München – aus der ganzen Republik wollen Menschen vorübergehend in Nordhalben leben, einem Markt nahe der Grenze zu Thüringen mit nicht einmal 2000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Da fragt man sich schon: Warum? Aus den Motivationsschreiben zeichnen sich laut Ebert drei Hauptgründe ab: „Neues entdecken, aus der Stadt rauskommen und Gemeinschaft erfahren.“

    Nicht nur 30-jährige Singles: Einige Interessierte sind auch über 60 Jahre alt

    Die Interessierten kommen aus den verschiedensten Berufsfeldern. „Viele kommen aus dem IT-Bereich, aber auch aus dem Marketing und dem Management“, berichtet Ebert. Auch aus dem Ausland hat das Demografiezentrum Bewerbungen bekommen, etwa von gebürtigen Deutschen, die gerade in Südafrika arbeiten und nach einer neuen Erfahrung in Deutschland suchen. Eines hat Ebert besonders positiv überrascht: „Es bewerben sich eben nicht nur 30-jährige Singles, sondern auch einige, die über 60 Jahre alt sind.“ Gemeinsam mit der Gemeinde wird das Projektteam nun zehn Kandidaten auswählen, und zwar so, dass sich eine „gute Mischung der Geschlechter, der Altersstruktur und der Interessen“ ergibt.

    Aber warum dient ausgerechnet Nordhalben als Blaupause? „Die Gemeinde hat einfach das Glück, dass dort einige Visionäre leben, die dem Thema modernes Arbeiten sehr zugewandt sind“, sagt Ebert. Inmitten des Naturparks Frankenwald ist vor einigen Jahren das „Nordhalben Village“ entstanden, ein Zentrum für „Co-Working“ und „Co-Living“. Der Grundgedanke: Verschiedene kleine Firmen oder einzelne kreative Köpfe teilen sich Büro- und Wohnräume, um einen Austausch zu fördern und gemeinsam innovative Ideen anzustoßen. Laut Ebert wird das Thema auch für große Unternehmen immer interessanter, besonders im Blick auf die steigenden Mietpreise und die Wohnungsnot in den Städten. 

    Das „Nordhalben Village“ ist ein Zentrum für Co-Working und Co-Living. Dort sollen die Teilnehmenden gemeinsam wohnen und arbeiten.
    Das „Nordhalben Village“ ist ein Zentrum für Co-Working und Co-Living. Dort sollen die Teilnehmenden gemeinsam wohnen und arbeiten. Foto: Frank Wunderatsch

    Die Teilnehmenden müssen sich nicht alle Räume teilen

    Die bestehenden Strukturen des „Nordhalben Village“ können nun für das Entwicklungsprojekt genutzt werden, sagt Ebert. Trotz einiger Gemeinschaftsräume stehen den Teilnehmenden dort kleine Einzelappartements mit eigenem Bad und Küche zur Verfügung. Paare oder Familien könnten beispielsweise in Ferienwohnungen in der Umgebung einziehen. „Wir werden für jeden Fall eine passende Lösung finden“, verspricht Ebert. „Ein Bewerber ist zum Beispiel alleinerziehender Vater, auch das soll kein Hindernis sein.“ 

    Nach zwei Monaten „Landleben auf Probe“ findet eine Evaluierungsphase statt. Dabei wird eine Professorin für Regionalentwicklung der TU Kaiserslautern beratend zur Seite stehen. Hat sich das Wohlbefinden der Großstädter durch das Arbeiten auf dem Land verändert? Was konnten beide Seiten voneinander lernen? Je nachdem, wie die Ergebnisse ausfallen, wird das Projekt im kommenden Jahr wiederholt. In welcher Gemeinde, ist noch offen.

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