
Corona-Umfrage: Jugendliche sprechen offen über ihre Gefühle

Plus Knapp 500 Jugendliche haben sich an einer Befragung der katholischen Jugendstelle Weißenhorn beteiligt. Sie sprechen über Ängste und Hoffnungen in der Pandemie.

Mit diesem Rücklauf hätte Daniel Rietzler nicht gerechnet. Bewusst breit gestreut haben er und sein Team von der katholischen Jugendstelle Weißenhorn die Befragung mit dem Titel "Jungsein in Corona-Zeiten - wie geht das?" Aber das letztlich knapp 500 junge Menschen aus den Dekanaten Neu-Ulm und Günzburg sowie Jugendliche aus einer Schule in Augsburg die Fragen beantworten, das hat den Jugendpfarrer, die Jugendreferentin Franca Heftrig, die Bundesfreiwillige Theresa Wiest und die Werkstudentin Gina Gänsler überrascht. Das Ergebnis ihrer Arbeit wird von sich reden machen, denn die Teilnehmer der Umfrage haben sehr offen geschildert, was sie in der Corona-Pandemie bewegt.
Welche Ängste haben junge Menschen in dieser schwierigen Zeit? Wie kommen sie mit Homeschooling oder Homeoffice zurecht? Wie gestaltet sich ihre Freizeit in der Pandemie? Das wollten die Initiatoren von Zehn- bis 35-Jährigen wissen. Über die Teilnehmer ist Folgendes bekannt: 77 Prozent derjenigen, die ihr Alter angaben, sind unter 20. Knapp 70 Prozent gehen aktuell noch zur Schule. Und knapp 70 Prozent der Jugendlichen, die ihr Alter nannten, sind weiblich.
Viele der Befragten fühlen sich durch Homeschooling oder Homeoffice gestresst
Ein zentrales Ergebnis der Befragung: Junge Menschen haben durch die aktuellen Umstände zwar mehr Zeit, können diese aber nicht unbedingt sinnvoll nutzen. Es gibt viele Ängste und Sorgen, zudem fühlt sich ein großer Teil der Befragten durch Homeschooling oder Homeoffice gestresst. So gaben 70 Prozent an, mehr Zeit bekommen zu haben. Auf die Frage, wie sie mit der dazugewonnenen Zeit umgehen, antworteten aber nur 42 Prozent mit „Ich kann mich gut beschäftigen“. Mehrfachnennungen waren bei dieser Frage möglich. 33 Prozent gaben an, in dieser Zeit Dinge tun zu können, die sie schon lange vorhatten, 22 Prozent sagten: "Es nervt mich, dass ich so wenig zu tun habe." Der Aussage "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo die ganze Zeit hin ist", stimmten 23 Prozent zu. In einer anderen Frage ging es um Langeweile: 40 Prozent verspüren das wöchentlich, knapp ein Viertel sogar täglich.
Was gibt den Befragten in dieser schwierigen Zeit Halt? Mehrfachnennungen waren auch hier möglich, am häufigsten wurden Familie (79 Prozent) und Freunde (72) angegeben, gefolgt von Gott (35), Haustier (28) und Partner (20). Erfreulicherweise empfinden es mehr als 80 Prozent gut oder eher gut, "gezwungenermaßen" nun mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. 54 Prozent gaben an, dass sich der Zusammenhalt in der Familie verbessert habe.
Die derzeitige Situation mit Homeschooling oder Homeoffice bereitet 40 Prozent der Befragten Stress, 70 Prozent sagten, dass sie körperliche oder seelische Folgen dieser Schul- oder Arbeitssituation spüren. Auf die Frage, was ihnen gegenwärtig Angst macht, wurde „momentane Einsamkeit“ am häufigsten genannt (37 Prozent), gefolgt von „politische Entwicklung“ (32). 28 Prozent fürchten sich vor den gesundheitlichen Folgen einer Infektion, ebenso oft wurde "Umweltverschmutzung" angegeben. Bei der Frage nach den Gefühlen, die einen gegenwärtig beschäftigen, wurde zwar Freude mit 51 Prozent am häufigsten genannt. Einsamkeit (45 Prozent) und Traurigkeit (44) erreichten aber ebenfalls sehr hohe Werte, 35 Prozent gaben Zuversicht an, 31 Prozent Unverständnis.
Auf Instagram will die katholische Jugendstelle Weißenhorn Erkenntnisse aus der Umfrage präsentieren
Einen guten Einblick in die Gefühlswelt der jungen Befragten geben die zahlreichen Ausführungen unter der Rubrik "Was willst du noch loswerden?" Da heißt es zum Beispiel: "Durch das Homeschooling habe ich zwar theoretisch mehr Zeit, jedoch fühle ich mich kaputt, gestresst und ausgelaugt. Außerdem fehlt mir die Zeit mit meinen Freunden sehr, weil ich zum einen das Schreiben auf WhatsApp anstrengend finde und ich zugeben muss, dass mich es auch nicht glücklich macht, nur zu schreiben." Eine andere Person schreibt: "Wir verpassen gerade die vielleicht intensivste Zeit des sich selbst Kennenlernens, Grenzen austesten, Welt erkunden; all das wurde den vorigen Generationen nicht verwehrt. Ich wünsche mir mehr Blick auf die Ängste der jungen Leute, mehr Verständnis dafür!" Sehr nachdenklich stimmt die Aussage: "Schulsystem erneuern, wir leben nämlich nicht mehr im 19. Jahrhundert. Das Einzige, was ich bis jetzt von der Schule mitnehmen konnte, ist Stress und mental illness."
Diese und weitere Anmerkungen füllen mehrere Seiten der Auswertung. Sie sind aus Sicht von Daniel Rietzler, der auch als Religionslehrer tätig ist, Anzeichen für ein großes Misstrauen von jungen Menschen gegenüber dem Bildungssystem, der Gesellschaft und der Politik. Die jungen Menschen haben den Eindruck, dass ihnen in der jetzigen Situation zu wenig Verständnis entgegengebracht wird - das ist für Rietzler die wichtigste Erkenntnis aus dieser Befragung. Dem fügt er hinzu: „Ich sehe, dass es eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und wird - auch meine Kirche sehe ich da noch mehr gefordert -, junge Menschen bei der Aufarbeitung der Krisenerfahrungen zu unterstützen und sie für einen 'Neustart' zu inspirieren."
Jungen Leuten tue es gut zu sehen, dass andere ähnliche Sorgen und Probleme haben, sagt Rietzler. Deshalb sollen zentrale Ergebnisse der Umfrage in den nächsten Wochen auch unter "Justgodeeper", dem Instagram-Account der Jugendstelle, präsentiert und diskutiert werden. Die Auswertung soll auch anderen interessierten Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. "Mit dem Schulwerk der Diözese Augsburg stehen wir bereits in Kontakt", sagt Rietzler.
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