
In Ursberg wird ein neuer Akzent der Erinnerungskultur gesetzt

Plus Die neue Euthanasie-Gedenkstätte im öffentlich zugänglichen Teil des Klostergartens des Dominikus-Ringeisen-Werks in Ursberg wurde vorgestellt.
Friedrich Seyfried ist 19 Jahre alt, als er am 20. Juni 1941 in einen der Busse nach Schloss Hartheim bei Linz einsteigen muss. Eine Fahrt in den Tod, in die Gaskammer der Tötungsanstalt. Wegen einer Ohrenentzündung ist der junge Mann von Geburt an taub. Bis zuletzt hatte er gehofft, er könne zurück nach Ursberg kehren, in das Dominikus-Ringeisen-Werk, aus dem ihn die Nationalsozialisten im März 1941 in die staatliche Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar verschleppt hatten. Insgesamt 379 Menschen mit Behinderung aus den Einrichtungen in Ursberg, Kloster Holzen und Maria Bildhausen wurden aufgrund des Euthanasieprogramms des Regimes ermordet.
Über 80 Jahre später steht ein Bild, das sich mit Friedrich Seyfrieds Schicksal beschäftigt, im Zentrum der offiziellen Vorstellung der neuen Gedenkstätte für die Opfer aus dem Dominikus-Ringeisen-Werk im Ursberger Klostergarten. Entstanden ist es bei einem inklusiven Kunstprojekt der Dominikusschule, einem privaten Förderzentrum mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, und dem Ringeisen-Gymnasium. Für die Segnung des begehbaren Mahnmals hatten die Schwestern der St. Josefskongregation den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, den 27. Januar, gewählt.
Schülerinnen und Schüler gestalten die Feierstunde mit
Einen neuen Akzent in der Erinnerungskultur setzen, so beschrieb Generaloberin Schwester Katharina Wildenauer das Ziel der Kongregation bei der Feierstunde im Schneegestöber, die Schülerinnen und Schüler beider Schulen in eindrucksvoller Weise mitgestalteten – mit Musik, dem Vorlesen der Namen aller getöteten Opfer, Kerzen und Texten. "Anhand von sieben Stelen wird eine Begegnung auf Augenhöhe mit den Fotos von 14 exemplarischen Menschen sowie deren Kurzbiografien möglich", so die Generaloberin. Geweckt werden soll dabei "eine höhere Identifikation mit dem persönlichen Schicksal der Opfer".

Schwester Katharina betonte: "An uns liegt es, das Leben anderer zu achten." Jeder Mensch habe seine Würde und sein Recht. Deshalb sei dieser Gedenkort den Schwestern der St. Josefskongregation wie dem Dominikus-Ringeisen-Werk ein großes Anliegen. "Das sind wir den Opfern der Diktatur schuldig." Neben der neuen Gedenkstätte gibt es in Ursberg bereits ein Denkmal auf dem Friedhof und ein Mahnmal im Klosterhof, im Kreuzgang des Hauses St. Josef sind zudem alle Namen der 379 Opfer aus dem Dominikus-Ringeisen-Werk auf einer Tafel zu lesen.
Klaus Holetschek ist Schirmherr der Euthanasie-Gedenkstätte in Ursberg
Bayerns Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek, ist Schirmherr der neuen Gedenkstätte. "Die Verbrechen der Nazi-Zeit dürfen sich nicht wiederholen", appellierte er. "Die Erinnerung wachzuhalten und das unfassbare Geschehen der Vergangenheit ein Stück sichtbarer zu machen, ist eine bedeutende Aufgabe."
An die Schüler gewandt forderte der Rektor des Ringeisen-Gymnasiums, Andreas Merz, aus dem Wissen über die NS-Vergangenheit die "richtigen Schlüsse zu ziehen." Er forderte die Jugendlichen auf, zu ihrer Meinung und Überzeugung zu stehen, "damit sich das nie wiederholt." Der Geistliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des Dominikus-Ringeisen-Werks, Martin Riß, zitierte die Autorin und Bildhauerin Dorothea Buck, die von den Nazis mit 19 Jahren zwangssterilisiert wurde: "Was nicht erinnert wird, kann jederzeit wieder geschehen, wenn die äußeren Lebensumstände sich entscheidend verschlechtern." Dies müsse wachgehalten werden, gerade in Zeiten, in denen dies drohe, betonte er. Martin Riß war es auch, der die Gedenkstätte segnete. Mit dabei bei der Zeremonie: Pater Christian Hamberger.

Adressiert waren diese Aussagen vor allem an die junge Generation – Neuntklässler des Ringeisen-Gymnasiums sowie die Berufsschulklassen der Dominikusschule. Sie waren es auch, die den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in den Räumen des Gymnasiums gemeinsam gestaltet hatten, wie Kunstlehrerin Rosmarie Noack und Förderschullehrerin Sabine Herget hervorheben. Dabei stand ihren Worten zufolge Gruppenarbeit im Mittelpunkt: "Das inklusive Miteinander ist ganz wichtig." Vor allem im Bereich der Kunst sei ein Austausch gut zu erreichen.
So sind acht Bilder – darunter das von Friedrich Seyfried – auf Grundlage der Biografien der Opfer entstanden. "Das war auch für die Schüler wichtig", erklärt Sabine Herget. "Es wurden viele Fragen gestellt." Die Jugendlichen hätten viele tolle Ideen auf allen Ebenen für die Umsetzung gehabt. Weitere Stationen des Gedenktages waren überdies Plakate zum Thema Euthanasie oder Lesungen zu persönlichen Schicksalen und Briefen weitere Stationen des Gedenktages. "Der Auftrag der Schule lautet, unsere Schüler kundig zu machen und aus diesem Wissen Sensibilisierung folgen zu lassen", resümiert Christian Pagel von der Schulleitung. "Wir brauchen in unserer Gesellschaft Menschen mit klarem Verstand und klaren Worten."
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