Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Coronavirus: Buchhandlungen öffnen wieder: Diese Neuerscheinungen lohnen sich

Coronavirus

Buchhandlungen öffnen wieder: Diese Neuerscheinungen lohnen sich

    • |
    Die Buchhandlungen auch in Bayern öffnen heute wieder. Und es gibt viel Neues zu entdecken.
    Die Buchhandlungen auch in Bayern öffnen heute wieder. Und es gibt viel Neues zu entdecken. Foto: Arne Dedert, dpa

    Während sich der globale Onlineversand-Riese, der sonst so sehr in den Buchmarkt drängt und damit den lokalen Handel gefährdet, in den Cornona-Wochen auf Lukrativeres konzentrierte: Für Buchhandlungen und Verlage bedeutete der ausgefallene Bücherfrühling existenzbedrohende Einbußen – und für Lesende womöglich das Verpassen spannender Neuveröffentlichungen. Darum gilt es jetzt, da ab heute auch die Buchläden in Bayern wieder eröffnen, das Versäumte möglichst vor Ort nachzuholen. Hier einige Empfehlungen zu frühlingsfrisch Eingetroffenem, bei dem für jeden Geschmack etwas dabei sein sollte.

    Diese Dramen gibt es neu

    Dave Eggers ist seit „The Circle“ und „Ein Hologramm für den König“ weltbekannt, ein US-Weltbestsellerautor samt Hollywood-Starverfilmungen. Sein neuer Roman heißt Die Parade (Kiepenheuer & Witsch, 192 S., 20 ¤) und ist vergleichsweise eher ein Kammerstück – zwei Arbeiter aus dem reichen Westen pflastern mit einer Hightech-Maschine eine breite Straße durch ein afrikanisches Land. Entwicklungshilfe, die der eine von beiden ganz pragmatisch und nüchtern absolviert, während der andere sich auch für Leben und Wirklichkeit abseits interessiert. Es kommt zum Drama, ein holzschnittartiges, aber wirkungsvolles Lehrstück.

    Der bessere Eggers ist aber diesmal ein Deutscher. Denn mit Technophoria (Hanser, 256 S., 23 Euro), gelingt Niklas Maak, ansonsten Feuilletonist der Frankfurter Allgemeinen, ein so aberwitziger wie zugleich treffender Roman über den Weg des Menschen in die digitalisierte Zukunft. Wie bei Eggers steht ein Projekt in Afrika im Zentrum, hier die für Klima und Prosperität nützliche und damit auch gegen Migration helfende Flutung der Qattara-Senke – aber vor allem wie Maak, die künftige, vollvernetzten Existenzen charakterisiert, sorgt für reinstes Lesevergnügen.

    Das gilt, was das Lesevergnügen betrifft, auch für Die Schauspielerin (Penguin, 304 S., 22 Euro) des eben erschienene Romans von Anne Enright. Die irische Booker-Price-Trägerin dröselt darin eine komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung auf. Die Mutter ist der Star, Irlands bekannteste Schauspielerin, von Männern durch ihre Karriere dirigiert, erst groß-, dann kleingemacht, trotz allen Ruhms süchtig nach Anerkennung. Die Tochter muss im enggewobenen Zweier-Geflecht gleich mehrere Rollen ausfüllen: geliebtes Kind, Freundin, Fan. Ein Drama, weil die Schauspielerin ihre Karriere endgültig mit einem Gewaltakt beendet, ein großartig zu lesendes Porträt, weil Enright in geschliffener Sprache davon erzählt, wie sich inszeniertes und wahres Leben überlappen. Nüchtern stellt die Tochter fest: „Sie hätte nicht so tun müssen, als wäre sie meine Mutter, denn das war sie schon. Es war wie Doppelrahm.“

    Eine Auswahl an Thrillern

    Mit Hochspannung in kurzweiliger Dramaturgie einer Weltverschwörung auf der Spur sein und dabei auch noch was lernen – das lässt sich aktuell mit zwei deutschen Autoren ziemlich gut. Christian Linker ist ein schon renommierter Thriller-Autor und in Influence (dtv, 304 S., 14,90 Euro) entfaltet er das Szenario eines globalen Zusammenbruchs des Internets, das nicht bloß frösteln macht, sondern auch nachdenklich. Denn wäre es nicht vielleicht das Beste, man könnte angesichts all der negativen Erfahrungen noch mal kontrolliert von vorn beginnen? Routiniert gemacht, geht bloß am Ende nicht ganz auf …

    Ein Debüt ist dagegen Quantum (dtv, 448 S., 16,90 Euro), in dem es um nicht weniger geht als neue, alle Machtverhältnisse infrage stellende Superwaffen – mit Riesensprengkraft, praktisch überall zu verstecken und quer durch den Erdball zu zünden. Patrick Illinger, sonst Chef des Ressorts Wissen bei der Süddeutschen Zeitung, führt mit diesem Thriller in die Tiefen der Physik, es geht um Elementarteilchen-Bomben, die mit Antimaterie-Kanonen zu zünden sind. Ist trotzdem verständlich, weil gut geschrieben, hat samt Liebesgeschichte und Politikdrama auch sonst alles Nötige, wackelt bloß in der Konstruktion ein bisschen.

    Und hier ein paar Schmöker

    Und wieder steht in John von Düffels Roman das Wasser im Zentrum. Der neue heißt Der brennende See (Dumont, 320 S., 22 Euro) und verbindet den schwierigen Abschied einer Tochter von ihrem verstorbenen Vater bei ihrer nicht weniger schwierigen Rückkehr in die alte Heimat mit dem forcierten Ringen der „Fridays for Future“ gegen die Eltern-Generation. Und der versierte Berliner Theater-Dramaturg und Schreib-Professor von Düffel hält das mit filigraner zeichnender Hand eindrucksvoll zusammen.

    Eindeutiger und wuchtiger, mit kurzen Sätzen und starken Bildern tritt Willi Achten mit Die wir liebten (Pieper, 384 S., 22 Euro) auf. Hier werden die 70er in deutscher Traumaverarbeitung zur Geschichte eines Brüderpaares. Geschrieben wie Unterhaltungsliteratur, aber alles andere als leichtgewichtig.

    Zwei Tipps für alle, die Erzählungen mögen

    Er mag sich gern als Kotzbrocken inszenieren, aber schreiben kann der Kerl. Und auch wenn der Roman „Biografie“ zuletzt überfrachtet unterging – vor allem in den Erzählungen zeigt Maxim Biller von jeher seine Meisterschaft. Das ist jetzt auch bei Sieben Versuche zu lieben (Kiepenheuer&Witsch, 368 S., 22 Euro) so, vorgestellt als „Familiengeschichten“, erster Satz: „Bevor der Gast aus Moskau meine Schwester Klawdija vergewaltigte, aß er sich bei uns erst einmal richtig satt.“

    „Auf dem kurzen Gang vom Kirchhof zu ihrem Auto verspürte Mrs. Crasthorpe eine tiefe Demütigung“ – so beginnen dagegen Geschichten von William Trevor. Besser gesagt: begannen. Denn der für sein Werk sogar zum Ehrenritter erhobene Ire starb vor bald vier Jahren. Er ist nun in seiner geradezu klassischen Erzählkunst noch einmal zu feiern. Ein auch laut wunderbar lesbares Requiem mit Letzte Erzählungen (Hoffmann und Campe, 208 S., 24 Euro).

    Diese Sachbücher sind empfehlenswert

    Gleich zwei idealtypische Fälle dafür, wie gut geschriebene Bücher helfen können, das Komplexeste zu verstehen und darüber selbst auch noch ins Nachdenken zu kommen, sind neu erschienen. Zum einen führt mit Guido Tonelli ein bereits mehrfach für seine laienverständlichen Bücher ausgezeichneter Teilchenphysiker aus Italien in den heutigen Stand des Wissens über Entstehung und Gestalt des Kosmos ein – in Genesis (C. H. Beck, 219 S., 22 Euro) beleuchtet der Bestsellerautor erzählerisch und doch nicht unterkomplex die Geschichte des Universums in sieben Tagen. Und zum anderen liefert Sebastian Ostritsch, gerade mal Mitte 30 und in Stuttgart Philosophie lehrend, eine starke Einführung zum Denken eines Jubilars 2020, der auch nicht weniger als ein eigener Kosmos ist: Hegel – Der Weltphilosoph (Propyläen, 320 S., 26 Euro). Und auch hier gelingt das Kunststück, nicht unter Niveau zu vereinfachen und nicht über Gebühr zu strapazieren.

    Das Buch zur Stunde? Nun ja, auf jeden Fall für Hundefreunde, die in Corona-Zeiten zu Endlos-Gassi-Gängen mit besten Freunden aufbrechen, ist diese Frage geklärt. Anja RützelsSchlafende Hunde (Kiepenheuer & Witsch, 272 Seiten, 20 Euro) nämlich, ein so anrührendes wie fulminant amüsant zu lesendes Buch mit zehn Liebesgeschichten über berühmte Menschen und ihre Haustiere. Was man beispielsweise erfährt: Arthur Schopenhauer, Pudelfan wie Winston Churchill, sprach seine Hunde liebevoll mit Butz oder Atma an, wenn sie aber Unerlaubtes taten, tadelte er sie „Du Mensch“. Friedrich II ließ seine Hunde von den Dienern siezen, Peggy Guggenheim sich neben ihren Hunden begraben, Michel Houellebecq setzte seinen Corgie Clément in seiner Literatur ein Denkmal … „Der Blick auf ihre Hunde zeigt: Auch sie sind Menschen“, schreibt Anja Rützel über die berühmten Hundebesitzer. Schnuffel, schnüff.

    Was aber eigentlich, wenn die Krise vorbei ist? Einfach zurückkehren in den Alltag? Oder doch etwas mitnehmen aus dieser flug- und konsumarmen Zeit? Alexander von Schönburg zeigt in Der grüne Hedonist (Piper, 240 S., 18 Euro), wie man sich umweltfreundlich verhält – und zwar auf eine Art und Weise, die vielleicht auch Spaß macht. Eine Mischung zwischen Essay und Ratgeber, wobei die Tipps keine sind, die man nicht kennt. Alles schon mal geschrieben worden, aber ganz sicher selten so lässig und unterhaltsam, wie es von Schönburg gelingt. „Eines möchte ich an dieser Stelle übrigens klarstellen“, schreibt der Journalist: „Ich verstehe von der wissenschaftlichen Seite der Materie so wenig wie Sie.“ Vom angenehmen Leben dafür weit mehr.

    Und zum Schluss noch ein Hörbuch-Tipp

    Der Regie-Herkules Klaus Buhlert hat das nächste literarische Monstrum gezähmt – wie gewohnt mit stimmlicher Starbesetzung, von Bibiana Beglau und Corinna Harfouch bis Jens Harzer und Franz Pätzold. Diesmal ist es das postmodern ausufernde Kultbuch des legendären Phantoms der US-Literatur, Die Enden der Parabel von Thomas Pynchon, auch schon als Jahrhundertroman betitelt und hier, bald 50 Jahre nach seinem Erscheinen, erstmals zum Hörspiel geworden. Bei Buhlert wird der zwischen V2-Raketen und Erektionen mäandernde Klotz so bekömmlich zu erhören, wie er kaum zu erlesen ist (erschienen bei Hörbuch Hamburg, 13 CDs) – und aktuell ist das auch noch kostenlos zu hören, online im Hörspiel-Bereich des Radiosenders SWR2. Ein tolles Stück Hörspiel.

    Mehr über literarische Themen lesen Sie hier:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden