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Uraufführung: Folter trifft auf Science-Fiction

Uraufführung

Folter trifft auf Science-Fiction

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    In Dietmar Daths „Die nötige Folter“ wird gequält und gestorben. In Augsburg kam es nun erstmals auf die Bühne.
    In Dietmar Daths „Die nötige Folter“ wird gequält und gestorben. In Augsburg kam es nun erstmals auf die Bühne. Foto: Jan-Pieter Fuhr

    Darf man das? Einen Menschen foltern? Natürlich nicht. Umso schmerzhafter ist dieser Ausflug in die nähere Zukunft, die das Staatstheater Augsburg mit der Uraufführung von Dietmar Daths „Die nötige Folter“ unternimmt. Wie in einem Experiment für höhere Sozialarithmetik sitzen vier Menschen gefangen in einer Supermarkthalle und werden gezwungen, sich gegenseitig zu verhören.

    Hinein also in die Beziehungshölle, die hier allerdings auch gleichzeitig eine Zukunfts- und Technikhölle ist. Dath, der zum dritten Mal mit Augsburgs inszenierendem Intendanten André Bücker zusammenarbeitet, entwirft in seiner Auftragsarbeit ein düsteres Szenario: Einer Gruppe von Künstlern und Wissenschaftlern ist es gelungen, perfide die Wahrnehmung des Menschen zu stören. Es fallen Sätze wie: „Ich habe die Welt zerstört und die Erinnerung daran gelöscht, wie sie war. Jetzt denken alle, das, was ist, sei schon immer so gewesen.“ Draußen, jenseits der Fabrik- und Supermarkthalle, die als Gefängnis dient, herrscht Chaos. Vieles deutet darauf hin, dass die vier Gefangenen mehr oder weniger dafür verantwortlich sind.

    Sie alle kennen sich, hatten geschäftlich-künstlerische, hatten aber auch private Beziehungen. Die Wahrheit über die vier soll ans Licht. Deshalb gibt es diesen Ablauf, das Verhör-, das Folterprotokoll, deshalb haben der Stier und der Widder, so heißen die beiden Folterknechte, den Gefangenen Geräte implantiert, mit denen sie deren Körper manipulieren und quälen können.

    Dath entwirft ein apokalyptisches Szenario, in dem sich die Liebesgeschichten der vier mit einer abwesenden, anfangs tot gewähnten fünften Person, ebenfalls eine Künstlerin, verschränken mit einem technisch-künstlerischen Untergangsszenario. Größenwahn trifft auf Eifersucht, Weltbeherrschungs- und Ausrottungsfantasien auf Liebeskummer. Da befragen sich vier Menschen unter Androhung von Folter – und keiner von ihnen taugt zum Sympathieträger.

    Gleichzeitig nimmt Dath geschickt Bezug auf Brechts umstrittenes Lehrstück „Die Maßnahme“, in dem verhandelt wird, ob der Mensch für das höhere Ziel der Revolution töten darf. Den kommunistischen Überbau hat Dath durch einen technisch-künstlerischen ersetzt. Getötet wird bei ihm auch, und mehrfach. Wirklich versöhnlich klingt sein letzter Satz nicht: „Wenn man nicht mehr helfen kann, dann war’s das.“

    Regisseur André Bücker, sein Bühnenbildner Jan Steigert und die Kostümbildnerin Suse Tobisch haben für diese Uraufführung auf der neuen Brechtbühne im Gaswerkareal ziemlich viele kräftige Bilder gefunden und die Überforderung zum Programm gemacht. Immer läuft mehreres parallel auf Monitoren und auf der Bühne. Die Bühnenwelt als Reizüberforderung.

    Ein paar zusätzliche Betonstelen stehen dort, oben hat sich ein Eichhörnchen in der Taubenabwehr aufgespießt, mit dem Scanner der Supermarktkasse werden Gesichter nach menschlichen Regungen erfasst, das Band dient als Operationstisch und auf den vielen Bildschirmen und Monitoren laufen abwechselnd Videokunst-Clips, Vitaldaten von Menschen oder die Startroutine eines Uralt-PC aus den frühen 1990er Jahren, als 40 Megahertz noch als schnell galt.

    Wenn Kasse und Monitore für die Technik stehen, wirkt das unförmige Ei, aus dem nach einiger Zeit einer der Darsteller befreit wird, wie ein Verweis auf Grabungen in der Vergangenheit. Der Mensch irgendwo auf halber Strecke zwischen der Steinzeit und dem künftigen (oder schon gegenwärtigen) Hightech-Zeitalter: der Logik und dem Potenzial der Maschinen nicht mehr gewachsen und noch immer in archaischen Gefühlswelten gefangen.

    Bücker betont mit seinem Zugriff auf das Drama – immer wieder verstärkt durch wabernde Soundcollagen und Stimmverfremdungseffekte – die technisch-wissenschaftliche Seite des Stoffs. Das stark spielende Darstellerensemble haucht der düsteren Parabel über den Fortschritt das Leben ein.

    Die vier Gefangenen gehen erstaunlich herzlos miteinander um: Natalie Hünig spielt ihre Eva als selbstverliebte Galeristin, die an ihr Make-up denkt, während anderswo gelitten wird; Andrej Kaminskys Hark entpuppt sich als perfider Strippenzieher, ganz skrupelloser Wissenschaftler; Anatol Käbischs Künstler Baqil ist auf Ausgleich bedacht, ergeht sich aber in Selbstmitleid; Sebastian Baumgarts Sven, dem per Folter am härtesten zugesetzt wird, etwa mit einem Riesendildo, ist der Narziss in Person, hin- und hergerissen zwischen Großkotz und Jammerlappen. Mitleid kommt am ehesten noch mit Kai Windhövels Stier auf, der als Folterknecht angeheuert wurde, gegen Ende aber nicht mehr will. Linda Elsner zieht als Erzählerin und später als Künstlerin Doro die großen Bögen des Abends ein.

    Fast zwangsläufig, dass ein solches Theaterstück, das von einer Kunst, die die Menschen aggressiv und zerstörerisch macht, in Momenten gipfelt, wo das Nervensystem des Publikums strapaziert wird. Diese setzen massiv ein, als Sven, der raus in die Freiheit durfte, wieder zurückkommt und nur noch in Satzfetzen sprechen kann. Da werden alle Regler auf Maximum gedreht, gellt und kreischt es nur noch, wird Text, Spiel und Bild reiner Krawall.

    Wahrscheinlich auch wegen solcher Zumutungen fiel der Schlussapplaus nach einer Stunde und 45 Minuten für diesen bildmächtigen und bedrohlich beunruhigenden Augsburger Uraufführungsabend erstaunlich knapp aus.

    Interessant wäre zu sehen, was mit dem Stück geschieht, wenn auf die Bilderfülle verzichtet wird und das Beziehungsgeflecht der Figuren stärker zugunsten des Science-Fiction-Szenarios akzentuiert wird. Vielleicht finden sich auch noch andere Häuser, die sich an „Die nötige Folter“, diese Auftragsarbeit für das Staatstheater Augsburg, herantrauen.

    am 2., 15., 26. und 30. Juni. Das Stück wird in der kommenden Spielzeit wiederaufgenommen

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