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Sengende Sonne. Mit diesem Begriff, mit diesem Gefühl haben wir gefremdelt. Aber jetzt wissen wir: Sengende Sonne, das gibt es. Hundstage, die gibt es.

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Örtlich bis 38 Grad. Die Sensation als Dauerecho. Wer kann das besser beglaubigen als die sonoren, amtlichen Radiostimmen? Es bleibt heiß. Unverändert. Heute, morgen, übermorgen.

Super-Sommer
30.08.2018

Es ist vorbei: Eine kleine Hommage an die große Hitze

Von Michael Schreiner

Der Sommer 2018 fühlte sich an wie die Ewigkeit. Jetzt aber Herbstanfang. Darum zum Abschied eine kleine Hommage an die große Hitze.

Alle vier Seitenscheiben schon beim Losfahren geöffnet morgens um halb zehn in Deutschland (Cabrio hatte man früher mal, als die Sommer noch zur Zufriedenheit der Bauern ausfielen …) – und dann die Nachrichten aus dem Autoradio, das Beste zum Schluss, die Wetteraussichten: „28 bis 36 Grad“.

Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. „28 bis 36 Grad“. Örtlich bis 38 Grad. Montag, Dienstag, Mittwoch … 36, 37, 38. Sengende Sonne. Mit diesem Begriff, mit diesem Gefühl haben wir gefremdelt. Aber jetzt wissen wir: Sengende Sonne, das gibt es. Hundstage, die gibt es.

Die stille Genugtuung, die diese ungeheuerliche Dauermeldung auslöst. Hochsommer in den Nachrichten, stündlich wiederholt, als wär’s der Stau auf der A5 bei Weiterstadt. August-Mantra. Die herrlichste Nachricht ist nicht neu, sondern alt. Es ist, als hätten sie in diesem Sommer wochenlang halbstündlich gemeldet: Ihr Konto ist voll, Summe mit 36 Nullen, und wenn Sie was abheben, legen wir’s morgen wieder drauf! Ihr Sonnenkredit: Unerschöpflich!

Juli, August – hört auf zu zählen. Ihr schwimmt in Hitze. Der Sommer klotzt und klebt. Schnauft durch und freut euch. Haut den Sommer auf den Kopf ohne Angst vor morgen. Täglich grüßt das Quecksilbertier. Tage, die nicht enden. Warme Nächte, die sich ausdehnen wie im Kino.

Ja, das ist eine Erinnerung an diesen einzigartigen Sommer: Die verlässliche Nachricht aus dem Autoradio, dass auf der Welt passieren kann, was will, am Ende, beim Wetterbericht, geht’s um Süden, um die Ewigkeit. Das war vielleicht das Unglaublichste an diesem unglaublichen Sommer: Dass er uns hineingeschaukelt hat in ein Urvertrauen.

Hey Sonnenbrand, wie geht noch mal Gänsehaut?

Wo Bangen war – Beständigkeit. Wo Zittern war – Zuversicht. Wo Warnungen – Schweigen. Und Übermut. Frei-Eis für alle. Außerdem: Man könnte ja mal ausprobieren, ob man auf dem Autodach ein Spiegelei braten kann … Hey Sonnenbrand, wie geht noch mal Gänsehaut? Die Biotonnen stinken, aber der Himmel duftet.

Örtlich bis 38 Grad. Die Sensation als Dauerecho. Wer kann das besser beglaubigen als diese sonoren, amtlichen Radiostimmen? Es bleibt warm. Heiß. Unverändert. Heute, morgen, übermorgen. Ein Tag wie der andere: ein Hoch der Eintönigkeit. Rote Ampel, ich lächle dich an. Jetzt schon 28 Grad – kurz nach halb zehn in Deutschland. Bleibt so! Grüne Welle, Hitzewelle. Wonnen der Wiederholung. Und jeden Morgen ab Punkt 7: Männer, die auf der Baustelle schreien. Die hört nur, wer jede Nacht bei offenem Fenster schläft.

Jede Nacht Sommernacht. Die Stadt noch nach Mitternacht ein offenes Gehäuse, von überall her Stimmen, Sommergemurmel. Und wie da einer mit nacktem Oberkörper im Erdgeschoss am offenen Fenster liegt und nach seiner Katze ruft, auf die er in tropischer Nacht nicht so lange warten muss wie auf Abkühlung, die nicht kommt, weil jedes Haus, jeder Stein die Hitze speichert. Wie auf der Wippe in der Kindheit, als du oben warst mit in der Luft baumelnden Beinen, weil auf der anderen Seite unten zwei schwere Freunde saßen – so hielt einen der dicke fette Hochsommer nun wochenlang im Hoch und kein Runterkommen möglich.

Wie oft hast du die Erfahrung gemacht: Deutschland mit seinem Wetter ist für die Besiedlung durch Menschen eigentlich ungeeignet. So haben wir auch die Sommer gelernt: Stress, wenn es mal schön ist – denn dann musst du sofort los. Deutsches Wort: Ausnutzen! Schnell schnell schnell. Baden, Grillen, Biergarten, Picknick. Denn auf einen schönen Tag, so klimasozialisiert weiß das jedes Kind, folgt entweder: Gewitterstrafe oder sonst was vom Himmel. Gesetzmäßigkeit des deutschen Hochsommers: Niederschlag. Instabilität, Launigkeit, Wechselhaftigkeit, Unzuverlässigkeit. Statistiken helfen nicht gegen Erinnerungen. Die haben geprägt. Haben uns zu Sommererbsenzählern gemacht. Schaukelsommer, Schönwetterperioden von zweieinhalb Tagen schon rekordverdächtig.

Ohne Sorgen. Ohne Argwohn. Barfuß im Kopf …

Nun ist der 1. September. Meteorologisch der Herbstbeginn. Doppeltes Erstaunen. Erstens: Dann enden Ewigkeiten also doch! Zweitens: Wie war es möglich, das zu vergessen? Womit wir mittendrin sind in der Essenz des Sommergefühls 2018. Das hat sich vor allem dadurch ausgezeichnet, dass der Sommer sich ausgedehnt und eingenistet hat in den Alltag. Er saß irgendwann da wie der Pförtner in der Loge: Man kennt es nicht anders. Servus. Kurzes Kopfnicken, aber kein Ausflippen.

Wir lebten mit dem Hochsommer, wie wir mit der Nase mitten im Gesicht leben. Eigentlich ein Wunder, aber irgendwann nimmst du’s nicht mehr wahr und gehst damit unbewusst aus dem Haus, ohne Schnupfen. Also: ohne Schirm. Ohne Jacke für Abends. Ohne Langärmeliges. Ohne Sorgen. Ohne Argwohn. Barfuß im Kopf …

Wie ungeheuerlich das war, haben wir im Sommer, in dem die Vergänglichkeit aufgehoben war, gar nicht gemerkt. Merken wir erst jetzt wieder, da Vorsorgegedanken wieder kommen, also Socken im Kopf und die Fenster nachts nur noch gekippt. Gedämpfte Stimmung, gedämpfte Stimmen der Bauarbeiter, die auf Baustellen schreien.

So irrwitzig konstant, heiß, schön, unwirklich und ersehnt dieser Sommer war – leicht genommen hat ihn das Land nicht. Da gibt es nichts zu verklären. Was hat nicht alles gefehlt, geht es nach dem Gestöhne, Geraunze und Geseufze, das als Tonspur diesem Sommermärchen dann doch unterlegt war. So viele Hexen und böse Zauberer. Problembericht senden! Schatten hat gefehlt. Regen hat gefehlt. Klimaanlagen haben gefehlt. Abkühlung hat gefehlt. Gehende Lüftchen haben gefehlt. Urlaub hat gefehlt. So viel gefährdet: Wälder, Autobahnen, Haustiere, Gesundheit. Und, dunkelste aller Wolken: Klimaveränderung. Dürre. Sonne reimt sich eben nicht nur auf Wonne.

Wann hat das eigentlich angefangen?

Im Autoradio sagte jemand (irgendwann in diesem Sommer, der geeignet war, das Zeitgefühl zu verlieren in dieser endlosen 36-Grad-Drehung), in Portugal sei es viel heißer als bei uns, aber man höre dort niemand jammern oder bedenkenträgerisch davor warnen, die Hitze auf die leichte Schulter zu nehmen. Und irgendwo stand, Typen im Death Valley lachten sich krumm über apokalyptische Anwandlungen in Germany angesichts von Temperaturen unter 40 Grad.

Hitze haben wir gelernt 2018. Draußen und drinnen. In den Theatern sah man, was man lange nicht sah: Menschen, die sich mit Programmen und Fächern pausenlos stickige Luft zufächeln. Sie verteilten Mineralwasser bei den Salzburger Festspielen zum Beispiel. Auch so ein Bild der Gemeinsamkeit unter unserer Sonne, diese mit jedem Tag über 30 Grad abgenutzte, aber doch nie ganz gebändigte Fassungslosigkeit. Es hört nicht auf. Kein Gewitter. Heute nicht, morgen nicht, gar nicht. Wann hat das eigentlich angefangen?

Herrisch, träge, überall – die Hitze konnte schmerzlich sein in diesem Sommer. Gnadenlos. Während man hinter heruntergelassenen Jalousien mittags um halb zwei schrieb, „der Sommer atmet nicht, er japst“, war die Vorstellung, dass es damit einmal vorbei sein könnte, weit weg, nicht mal ein Flimmern in der Luft über leer gebrannten Straßen.

Jetzt ist der Hitzesommer mit seiner stehenden Luft unter sengender Sonne bald nur noch eine aufgewärmte Erinnerung, ein rausgewaschener Schweißfleck. Er wird aufgearbeitet. Dürreschäden, gigantischer Weinjahrgang, Traumbilanzen in Freibädern und Biergärten. Und im Autoradio wird der Zauber der Dauer fehlen, weil es mal so, mal so wird.

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