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Interview: Franz Alt: Über die Liebe von Jesus zu Maria Magdalena

Interview

Franz Alt: Über die Liebe von Jesus zu Maria Magdalena

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    "noli me tangere": Sie war die Erste im Neuen Testament, die den Auferstandenen sah: Maria Magdalena mit Jesus in einem Kirchenfenster
    "noli me tangere": Sie war die Erste im Neuen Testament, die den Auferstandenen sah: Maria Magdalena mit Jesus in einem Kirchenfenster Foto: Adobe.Stock

    Warum hat Jesus Maria Magdalena so geliebt – weil sie eine reuige Sünderin oder weil sie seine Seelengefährtin war?

    Franz Alt: Natürlich weil sie seine Seelengefährtin war. Mit dem Wort Sünde ist Jesus sehr vorsichtig umgegangen. Nach Jesus gibt es keine Sünde, es gibt nur Menschen, die nicht erkannt haben, um was es geht. Maria Magdalena war seine engste Gefährtin, das hat die Kirche lange verdrängt. Die Kirchenmänner machten eine Hure aus ihr, obwohl sie die erste Päpstin war. Es müsste den heutigen Kirchenmännern viel zu denken geben, was da falsch gelaufen ist in 2000 Jahren Kirchengeschichte – ihr Verhältnis zur Sexualität zum Beispiel.

    Ist Maria Magdalena nicht die Frau mit der duftenden Salbe, die Jesus mit ihren Tränen die Füße wäscht und mit ihrem langen Haar trocknet?

    Alt: Das alles zeugt für ihre Schönheit und Demut. Was ist dagegen zu sagen? Maria Magdalena muss eine außergewöhnliche Frau gewesen sein, schon sehr emanzipiert in Zeiten, als Frauen, nicht als vollwertige Menschen anerkannt waren. Deshalb hat Jesus in erster Linie Männer als Apostel um sich gesammelt, weil es damals anders gar nicht ging.

    Trotzdem hat sich Maria Magdalena oft an seiner Seite aufgehalten?

    Alt: Sie lebte alleine, hatte ein großes Vermögen. Heute würde man sagen: Sie wurde die Managerin von Jesus. Sie hat das ganze Geld, das sie von ihren reichen Eltern geerbt hat, für Jesus ausgegeben. Und hat sich darum gekümmert, dass es ihm und seinen Aposteln gut geht. Ich war mehrmals in dieser Gegend am See Gennesaret, denn ich wollte wissen, welche Wege die beiden zwischen Magdala und Kafarnaum gelaufen sind, wenn sie zusammenkommen wollten. Es war damals außergewöhnlich, dass ein Mann eine allein lebende Frau besucht hat.

    Waren Jesus und Maria Magdalena ein Traumpaar?

    Im Neuen Testament steht davon nichts. Woher wissen Sie das?

    Alt: Seit wir das Evangelium der Maria Magdalena kennen, das erst vor wenigen Jahrzehnten in Ägypten aufgetaucht ist, seither wissen wir viel mehr über das Verhältnis von Jesus und Maria Magdalena. Er hat ihr mehr anvertraut als den Aposteln, weil er wusste, dass die Macho-Männer seiner Zeit diese eigentliche Botschaft nicht richtig verstehen.

    Das wird ihnen nicht unbedingt gefallen haben?

    Alt: Natürlich sind die Apostel nicht darüber erfreut gewesen, dass Jesus einer Frau als seine eigentliche Botschafterin auserwählt hat. Wir erfahren aus dem Maria-Magdalena-Evangelium, dass Petrus sehr ungeduldig und barsch war, weil Jesus Maria Magdalena ihm vorgezogen hat. Es gibt in diesem Evangelium eine Stelle, wo es heißt, dass die Apostel sehr eifersüchtig waren auf sie, weil Jesus und Maria Magdalena sich oft auf den Mund geküsst haben. Das muss bei den Männern um Jesus nicht der Fall gewesen sein.

    Das klingt nach einem Traumpaar? Hatten Jesus und Maria Magdalena etwas miteinander?

    Alt: Jesus hat Maria Magdalena geliebt, in welcher Form auch immer. Da gibt es wilde Spekulationen, ob die beiden verheiratet waren, ob sie Kinder hatten. Meine Frau sagt dazu: Ja warum nicht? Was immer Maria Magdalena vorher war: Jesus hat in die Seele geguckt und nicht auf Äußerlichkeiten. Wir wissen nicht, ob die beiden mehr als eine platonische Beziehung hatten. Es war auf jeden Fall ein ganz außergewöhnliches, gleichberechtigtes Paar. Er ging in ihre Schule und sie ging in seine Schule. Deshalb wurde sie die weibliche Stimme des Urchristentums. Über Maria Magdalena lernen wir die wahre Lehre Jesu kennen.

    Franz Alt ist Autor, Theologe und Politologe.
    Franz Alt ist Autor, Theologe und Politologe. Foto: Axel Thomae

    Es klingt ungeheuerlich: Jesus ist in Maria Magdalenas Schule gegangen?

    Alt: Das war anstößig in dieser patriarchalen Zeit. Jesus hat viel gelernt von Frauen. Sie waren nach diesem Mann – ich habe ihn in einem früheren Buch den „ersten neuen Mann“ genannt, weil er das Weibliche in sein Mannsein integrierte – geradezu verrückt. Leider hat deshalb die Männerkirche Maria Magdalena das Schmuddel-Image angehängt. Sie musste zur Hure gemacht werden.

    Was hat Jesus so attraktiv gemacht für die Frauen seiner Zeit?

    Alt: Seine Wertschätzung der Frauen und die Würde, die er in jeder Frau gesehen hat. Und das war in einer Zeit, wo wir totales Patriarchat hatten, etwas Außergewöhnliches. Ein Mann, der Frauen geschätzt hat und die Kinder, die genauso wenig anerkannt waren. Im Alten Testament werden Frauen immer gleichgesetzt mit Tieren. Männer standen auf einer höheren Ebene. Sechs Frauen sind im Neuen Testament namentlich genannt, aber keine so oft wie Maria Magdalena. Sie hat in der Urkirche eine außerordentliche Rolle gespielt, wie überhaupt die Frauen in den ersten dreihundert Jahren in der Kirche eine wichtige Rolle gespielt haben. Damals wurden viele Kirchengemeinden von Frauen geleitet. Die erste Christin in Europa, die Purpurhändlerin Lydia im mazedonischen Philippi, war eine Frau!

    Warum hat das Evangelium der Maria Magdalena keinen Eingang in die amtskirchliche Bibel gefunden?

    Alt: Diese Bibel kennt vieles nicht. Insgesamt haben wir heute etwa 1500 Schriften über Jesus. Doch im vierten Jahrhundert hat der römische Kaiser Konstantin entschieden, was offiziell im Neuen Testament stehen darf und was nicht. Das war eine reine Machtfrage. Alles, was den Herren damals nicht in den Kram gepasst hat, ist nicht in das Evangelium hinein gelangt. Vieles von dem, was in den sogenannten apokryphen, also den „verborgenen“ Evangelien über Jesus steht, davon könnte die Kirche sehr viel lernen. Eben dass Maria Magdalena die engste Vertraute von Jesus war und Judas sein Freund. Dies ist ein authentisches Evangelium. Auch das Judas-Evangelium, das ebenfalls erst in unserer Zeit in Ägypten wiedergefunden wurde, hat uns die Augen geöffnet, dass er nicht Verrat an Jesus begangen hat, sondern der große Freund von Jesus war. Ihm hat Jesus anvertraut, dass und warum er leiden muss und dass Judas ihm dabei helfen soll. Beide behandle ich in meinem neuesten Buch „Die außergewöhnlichste Liebe aller Zeiten“.

    Das Johannes-Evangelium erzählt, dass Maria Magdalena am Ostermorgen als erste den auferstandenen Jesus gesehen hat. Warum hielt sie ihn zunächst für den Gärtner?

    Alt: Das ist ein schönes Bild: Ein Gärtner ist jemand, der sät und Blumen pflanzt. Hat sie den Auferstandenen gesehen? Ich sage Nein. Ein Toter kann nicht wieder lebendig werden und Jesus hat mit Hokuspokus wirklich nichts im Sinn. Nein, er war ohnmächtig am Kreuz, er ist abgenommen worden durch seine Freunde Josef von Arimathäa und Nikodemus, er war verwundet und wurde von Karfreitag bis Ostermorgen gesund gepflegt. Jesus ist einfach wieder aufgewacht. In allen Evangelien heißt es auch, er sei auferweckt worden, nicht er sei auferstanden. Maria Magdalena war die Erste, die ihn am Ostermorgen gesehen hat, und ist natürlich total erschrocken. Alle waren entsetzt, dass Jesus scheinbar gestorben war. Nun geht sie ans Grab und sieht diesen Gärtner. Sie ist die Auferstehungszeugin und ohne Maria Magdalena würde es keine Kirche geben. Sie hat das entscheidende Wort der Christenheit gesprochen: Er lebt. Und nicht: Er ist tot, wie die Apostel vermuteten. Als sie die Botschaft den Männern überbracht hat, haben sie reagiert wie immer, wenn etwas Außergewöhnliches passiert: Die Frau ist verrückt! Aber Maria Magdalena wusste Bescheid, sie hat Jesus gesehen. Sie hat als erste verstanden, was wirklich passiert war: Jesus hat den Tod überwunden. Menschen, die wir lieben, sterben nicht. Das ist die Osterbotschaft.

    "Männerkirche": Jesus war gegen den Ausschluss der Frauen

    Papst Franziskus hat Maria Magdalena den Ehrentitel „Apostelin der Apostel“ verliehen.

    Alt: Das ist richtig! Aber wen hat die Kirche zum ersten Papst gemacht? Petrus, den eigentlichen Verräter von Jesus, der sagte: Ich kenne diesen Mann nicht!

    Was wäre aus der Kirche geworden, wenn nicht Petrus, sondern Maria Magdalena die erste Päpstin gewesen wäre?

    Alt: Dann hätten die Frauen in der ganzen Kirchengeschichte eine wichtige Rolle gespielt. Dann wären wir endlich so weit, dass wir eine Balance hätten in den Kirchen. Das Schlüsselwort, das Jesus zu Maria Magdalena sagte – und nur zu ihr, heißt „Nous“. Das griechische Wort hat viele philosophische Bedeutungen, vor allem das nur uns Menschen mögliche Bemühen, Gott und die Seele zu erkennen. Wenn man es kurz übersetzt, heißt „Nous“: Balance zwischen Verstand und Herz, zwischen Emotion und Rationalität, zwischen Männern und Frauen – und heute würde ich hinzufügen: zwischen Ökonomie und Ökologie. „Nous“ steht für spirituelle Intelligenz. Es ist das Schlüsselwort für eine bessere Welt, auch für Rettung in schwieriger Zeit. Wir leben ja in einer so einseitig verstandsorientierten Welt, dass die Spiritualität, die Religion immer schwächer wurde.

    Von einer echten Balance zwischen den Geschlechtern scheint die katholische Kirche noch ein gutes Stück entfernt.

    Alt: Warum müssen Frauen bis heute betteln, dass sie auch zu Priestern geweiht werden? Warum gibt es noch keine Päpstin? Weil die Frau in einer reinen Männerkirche verachtet ist und ausgeschlossen. Das, was Jesus genau nicht wollte. Er hat vorgelebt, dass er eine zwischen den Geschlechtern ausbalancierte Kirche will. Deshalb ist auch so ein furchtbares Gottesbild entstanden: der Herrgott. Jesus hat einen mütterlichen Gott propagiert. Er hat in jeder Frau – wie in jedem Mann – ein göttliches Abbild gesehen.

    Nennen Sie deshalb in Ihrem Buch Maria Magdalena „die verbotene Göttin des Christentums“?

    Im Johannes-Evangelium steht dieses revolutionäre Wort von Jesus: „Ihr alle seid Götter“. In jedem von uns steckt ein göttlicher Funke, wir alle haben dieses Gottesgen.

    Judas wurde für Antisemitismus missbraucht

    Sie scheuen sich nicht, wie auch die kirchliche Tradition, in Maria Magdalena drei biblische Marien übereinanderzulegen: die Sünderin, die von sieben Dämonen Geheilte von Bethanien und die Gefährtin von Jesus?

    Alt: Ich sehe eine Mirjam in drei persönlichen Entwicklungsstufen: von der „Sünderin“ zur besten Jesus-Versteherin. Ich stelle mir vor, dass die selbstständige Frau aus Magdala in einer patriarchalen Welt eine Außenseiterin war – und voller Widersprüche. Jesus wird im Gespräch mit ihr diese Widersprüche therapeutisch aufgelöst haben. Er gab ihr ein Gefühl für sich selbst, für ihren eigenen Wert, für ihre unverwechselbare Identität. Diese befreite Frau öffnete sich diesem Meister der seelischen Befreiung wie eine Sonnenblume der Sonne. Was bisher für sie Wahnsinn war, erhielt in seiner Nähe einen tiefen Sinn.

    Und dazu passen dann auch die sieben Dämonen, die Jesus aus dieser Mirjam ausgetrieben hat?

    Wie mag es in dieser Frau ausgesehen haben? Sie war als gebildete Jüdin vollgestopft mit dem mosaischen Gesetz, wahrscheinlich haben sie die Schriftgelehrten der Synagoge mit den 613 religiösen Vorschriften des Judentums traktiert. Die Folge waren sieben Dämonen. Doch dann hat sie Jesus von alldem befreit.

    Über Maria Magdalena sind schon viele Bücher geschrieben worden. Warum sollte ich Ihr Buch lesen?

    Alt: Ich habe viel gelesen, was feministische Theologinnen über Maria Magdalena geschrieben haben, aber es war mir zu viel Spekulation dabei. Es hat mich gestört, dass persönliche Projektionen da drin standen. Also: Jesus muss verheiratet gewesen sein, er muss drei Kinder mit Maria Magdalena gehabt haben … Im Maria-Magdalena-Evangelium ist das alles kein Thema. Mir war auch wichtig, in diesem Buch über Judas zu schreiben – gerade als politischer Journalist. Es bestürzt mich, wie Judas im Verlauf von 2000 Jahren für Antisemitismus so missbraucht wurde. Weil das Christentum die Juden mit Judas gleichgesetzt hat. Das führte letztlich zu Auschwitz. Und das muss endlich korrigiert werden.

    Zur Person:

    Franz Alt, geboren 1938 im badischen Kraichgau, studierte unter anderem katholische Theologie und Politische Wissenschaften. Ab 1971 moderierte er im Südwestfunk 20 Jahre das Politmagazin „Report Baden-Baden“. Für sein publizistisches und ökologisches Engagement erhielt er zahlreiche Preise. Sein Lebensthema wurde Ökologie, Frieden, Menschenrechte, wozu er eine Reihe von Bestsellern schrieb. Das Neueste heißt: „Die außergewöhnlichste Liebe aller Zeiten. Die wahre Geschichte von Jesus, Maria Magdalena und Judas“ (Herder, 320 Seiten, 24 Euro).

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