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Interview: Petra Gerster: "Das generische Maskulinum hat ausgedient"

Interview

Petra Gerster: "Das generische Maskulinum hat ausgedient"

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    Petra Gerster hat lange die heute-Nachrichten im ZDF moderiert - und hat im Fernsehen gegendert. Nun hat sie ein Buch über das Gendern geschrieben.
    Petra Gerster hat lange die heute-Nachrichten im ZDF moderiert - und hat im Fernsehen gegendert. Nun hat sie ein Buch über das Gendern geschrieben. Foto: Henning Kaiser, dpa

    Frau Gerster, Sie haben zusammen mit Ihrem Mann Christian Nürnberger ein Buch übers Gendern und andere Folgen der Identitätspolitik geschrieben. Wie kam es dazu?

    Petra Gerster: Die Reaktionen auf mein Gendern in der heute-Sendung waren so zahlreich und heftig, dass sie mich bis in den Abend hinein beschäftigten – und bedrückten. Ich kam mir schon vor wie eine „Gender-Terroristin“, wie Oliver Welke in der heute-Show sagte. Mein Mann riet mir, das in einem Buch zu verarbeiten. Doch uns war bald klar, dass das Thema größer ist als Gendern allein – also das Sprechen, das auch Frauen benennt und sichtbar macht. Dass es nur ein Anzeichen für einen fundamentalen Wandel unserer Gesellschaft ist. Es gibt noch viele andere Zeichen für diesen Wandel, und der besteht darin, dass aus der einst relativ homogenen deutschen Nachkriegsgesellschaft im Verlauf von mehreren Jahrzehnten eine multikulturelle und sogar multigeschlechtliche Gesellschaft geworden ist.

    Petra Gerster: "Die Sprache ändert sich forwährend"

    Warum, glauben Sie, fühlen sich manche so angefasst beim Thema Gendern?

    Gerster: Mit unserer Muttersprache wachsen wir auf, sie prägt uns von klein auf, da wollen wir uns nicht reinreden lassen. So wie wir sie gelernt haben ist es richtig – denken wir. Deswegen wollen die Menschen so sprechen, wie ihnen „der Schnabel gewachsen ist“. Aber natürlich ändert sich die Sprache fortwährend mit der Gesellschaft, nur merken wir es nicht immer so deutlich wie beim Gendern. In meiner Kindheit wurden noch schreckliche Wörter wie Krüppel, Idiot oder Klapsmühle gesagt. Es ist doch ein Zeichen von Zivilisierung, dass wir so nicht mehr reden! Und die rein männliche Pluralform für alle Geschlechter – das generische Maskulinum – hat nun eben auch ausgedient.

    Führt gendergerechte Sprache tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit?

    Gerster: Gendergerechte Sprache allein führt nur zu mehr sprachlicher Gerechtigkeit, aber natürlich nicht automatisch zu sozialer Gerechtigkeit und echter Gleichstellung. Dafür wird man weiter kämpfen müssen. Durch das Gendern im täglichen Sprachgebrauch wird uns aber bewusster, dass wir noch lange nicht fertig sind mit diesem Kampf. Daher ist es auch unsinnig, hier einen künstlichen Gegensatz zu konstruieren nach dem Motto: Die einen gendern und betreiben nur Sprachkosmetik, ohne wirklich etwas zu ändern, die anderen ändern die Verhältnisse und brauchen daher keine Sprachkosmetik. Ich meine: Beides gleichzeitig zu tun ist effektiver, als nur eines von beiden zu tun.

    Gerster: "In Kunstwerke darf man nicht eingreifen"

    Sie verteidigen im Buch das Gendern als Mittel der Gleichberechtigung, warnen aber auch vor Auswüchsen der Identitätspolitik. Wo fängt für Sie vernünftige Identitätspolitik an und wo hört sie auf?

    Gerster: Eine solidarische Identitätspolitik fängt da an, wo es um Höflichkeit und Anstand geht, also beispielsweise um den Verzicht auf beleidigende Begriffe für Menschen anderer Hautfarbe, Ethnie, Sexualität oder Religion. Das sollte uns in Fleisch und Blut übergehen. Sie hört – für mich zumindest – aber da auf, wo in die Freiheit von Presse, Wissenschaft und Kunst oder einer persönlichen Meinungsäußerung eingegriffen werden soll – vorausgesetzt, es handelt sich nicht um verhetzende, strafbare Inhalte. Wenn zum Beispiel in literarischen Werken heute verpönte Begriffe stehen, wie das Wort „Mohr“ im „Mann ohne Eigenschaften“ von Musil, sollte man nicht im Entferntesten daran denken, diesen Begriff nachträglich zu zensieren. In Kunstwerke darf man nicht eingreifen, denn sie sagen ja auch etwas über ihre Zeit aus. Jede Anpassung an moderne Einstellungen würde ihren historischen Charakter verfälschen. Aber man könnte in Fußnoten erklären, warum ein Wort, das vor 100 Jahren keinen Anstoß erregte, heute nicht mehr geht. Nur bei Kinderliteratur finde ich Eingriffe richtig.

    Petra Gerster - ihre Karriere

    Nach 23 Jahren als Moderatorin der „heute“-Nachrichten verabschiedete sich Petra Gerster vor kurzem in den Ruhestand.

    Jetzt legt Gerster, geboren 1955, studierte Germanistin, ein neues Buch vor.

    Sie hat es mit ihrem Ehemann Christian Nürnberger geschrieben: „Vermintes Gelände. Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert“ (Heyne-Verlag, 208 Seiten, 16 Euro).

    Haben Sie in gewissem Sinne auch Verständnis für Menschen, denen das alles zu weit geht?

    Gerster: „In gewissem Sinn“ – ja, natürlich. Mir ging es vor kurzem ja auch nicht anders. Es zeugt aber auch von wenig Offenheit, wenn man sich einer so intensiven Debatte dauerhaft verschließt. Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen – wussten schon die alten Römer.

    Verzetteln sich die Anhänger der Identitätspolitik bei allen berechtigten Anliegen nicht oft auch in Nebensächlichkeiten – oder anders gefragt: Ist es wirklich wichtig, dass das Zigeunerschnitzel nicht mehr so heißen darf?

    Gerster: Wenn Sinti und Roma uns sagen, dass für die Nazis „Zigeuner“ Menschen waren, die man, wie die Juden, in Konzentrationslager stecken musste, um sie dort zu ermorden, und dass sie deshalb das Wort „Zigeuner“ als kränkend und diskriminierend empfinden, und ich denen sage, ach was, nun habt euch mal nicht so, ich meine das doch gar nicht so – dann sage ich im Grunde genommen: Mir sind eure Gefühle egal, und darum werde ich mir im Wirtshaus weiterhin ein „Zigeunerschnitzel“ bestellen. Kann man natürlich machen. Nur muss der- oder diejenige sich dann halt sagen lassen, dass er oder sie ein ungehobelter und beleidigender Mensch ist.

    Gerster: "Die Gesellschaft wird bunter"

    Sie schreiben, die Herrschaft des weißen Mannes geht zu Ende. Wer wird, nach Ihrer Meinung, an seine Stelle treten?

    Gerster: Ich hoffe nicht, dass die eine Herrschaft von einer anderen abgelöst wird. Aber ich denke, der weiße Mann wird in Zukunft nicht mehr allein das Sagen haben. Schwarze, Indigene, People of Color und Frauen und Menschen, die wir als „divers“ bezeichnen, werden mehr und mehr an seine Seite treten und einen Teil der Macht beanspruchen. Die Gesellschaft wird bunter, auch optisch, die Einheitsfront der dunklen Anzüge mehr und mehr aufgemischt – durch farbenfrohe Kleider und andere Gewänder. Das fördert die Kreativität und macht Lust auf Zukunft!

    Sie haben nicht das erste Mal zusammen mit Ihrem Mann ein Buch geschrieben. Wie gehen Sie bei gemeinsamen Projekten vor, wie teilen Sie sich die Arbeit auf?

    Gerster: Immer verschieden, je nach Thema. Es ist ja viel Arbeit, so ein Buch zu schreiben, da hilft es schon sehr, wenn man die Recherche auf beide Schultern verteilen kann. Wir schreiben getrennt, sitzen beim Redigieren aber oft nebeneinander am PC, um den roten Faden zu spinnen.

    Vermissen Sie eigentlich schon das Nachrichtengeschäft und „heute“?

    Gerster: Bis jetzt noch nicht, obwohl – rund um die Bundestagswahl wäre ich schon gern noch im Einsatz gewesen. Das sind ja besonders spannende Zeiten für Nachrichtenleute.

    Und wie finden Sie Ihre Nachfolgerin Jana Pareigis?

    Gerster: Wunderbar finde ich Jana – professionell und überaus sympathisch. Und mit Mitri Sirin, dem anderen Neuen, haben wir wieder ein perfektes Team für die 19-Uhr-Nachrichten im ZDF! Darüber freue ich mich sehr.

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