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Pfingsten: Hallo, Geist? Nein: Feuer frei! Zum fatalen Verfall unserer Debattenkultur

Pfingsten

Hallo, Geist? Nein: Feuer frei! Zum fatalen Verfall unserer Debattenkultur

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    Eigentlich kommt an Pfingsten der Geist auf die Menschen herab, ein Ende der trennenden Sprachverwirrung.
    Eigentlich kommt an Pfingsten der Geist auf die Menschen herab, ein Ende der trennenden Sprachverwirrung. Foto: adobe.stock

    Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt … Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer“ – ja, das was sich anhört wie ein ganz normaler Shitstorm, ist in Wahrheit aus der Apostelgeschichte zum Pfingstereignis, der Heilige Geist, Sie wissen schon, nicht dieser blaue Twitter-Vogel, der alles zuxxxxxxx.

    Jedenfalls ist schon wieder Pfingsten, und wieder stehen wir etwas ratlos da, scheint sich doch das Wunder von vor 2000 Jahren nicht nur nicht zu wiederholen (was genau genommen vielleicht auch Wesen von Wundern liegt), sondern die Kluft und die Verständnislosigkeit in letzten Jahren stetig zugenommen zu haben.

    Das wurde schon oft beklagt, oft auch an dieser Stelle, oft auch von diesem Autor. Doch wenn der Eindruck nicht trügt, steigerte sich das kollektive Missverstehen zuletzt sogar noch einmal exponentiell: Impertinenz und Ignoranz, unerbittliche Schärfe im Ton und andererseits Nicht-Verstehen-Wollen und dann wieder umgekehrt – tagtäglich werden wir Zeugen davon, kommentieren womöglich fleißig mit, schlagen uns auf die eine oder andere Seite.

    Cancel Culture, Gender, #allesdichtmachen, Boris Palmer und das N-Wort

    Es gibt aber keine Seiten. Nicht einmal die Mitte (sorry, Armin Laschet, aber das wieder ein anderes Thema). Es gibt dagegen sehr wohl ein Drittes, aber dazu später mehr.

    Erst einmal müssen mir sprechen. Über das, wie wir sprechen. Es geht also um Identität, Cancel Culture, Gender, sehr Grundlegendes, und vielleicht besser deswegen erst mal ein Witz: Saß neulich ein Schauspieler in einer Talkshow und sagte, dass man in diesem Land ja nicht mehr seine Meinung sagen dürfe. (Okay, der Witz ist alt, weil: das sagen seit Jahren all die vermeintlichen Dissidenten, auf allen Kanälen, in Interviews.) Und ja, es geht nun um #allesdichtmachen, jener Aktion von deutschen TV-Größen, die in Videos die Corona-Politik in Deutschland kritisiert haben und so viel Aufruhr erzeugten wie vielleicht ansonsten nur Greta Thunberg in einem von Palästinensern betriebenem Fast-Food-Restaurant. Die Erregung jedenfalls war groß, und die Fragen lauteten – bis auf wenige Ausnahmen – nicht etwa: Waren die Videos gelungen? Hatten sie, neben schön ausgeleuchteten Altbauwohnungen, Substanzielles beigetragen? Ist das Kunst? Produktive Ironie?

    Stattdessen: Darf man das denn sagen? Fühlen sich dadurch nicht alle, die in Krankenhäusern, Intensivstationen, und – ähem – auch in der Politik gegen die Pandemie stemmen, zutiefst verxxxxxx? Gegeninitiativen gab es jedenfalls sofort und zuhauf, bis hin zu der unsäglichen, dann zurückgenommenen Aufforderung eines Fernsehrats nach einem Quasi-Berufsverbot: Shitstorm eben. Doch genau das legt schon den grundlegenden Mechanismus, wenn man will: auch das Niveau, offen, auf dem mittlerweile die Debattenkultur angekommen. Denn solcherart „Antwort“ ist dann ja eigentlich nur der Beifall für den Gratismut der Kritisierten, die denn auch – siehe Jan Josef Liefers – wiederum vor DDR-Vergleichen nicht zurückschrecken, was ihn tölpelhaft in ein ganz anderes Fahrwasser geraten lässt. Doch bevor nun Alexander Gauland neuer „Tatort“-Kommissar in Potsdam wird (Folge: „Wer hat des Kaisers alte Kleider?“): Geht so Verständigung? Geht so Kritik? Ist das fruchtbar? Bringt uns das irgendwie weiter?

    Reden wir nur noch über Meinungen statt über Fakten?

    Wohl kaum. Es ist ein Grundsatz, der zum Glück immer noch an manchen Universitäten gelehrt wird: Greif dir immer das stärkste Argument des anderen heraus und an, nicht das schwächste. Aber vielleicht ist das ja auch altmodisch, wo es doch gar nicht mehr um Argumente geht, sondern um Meinung. Und wie gesagt, die kann man hierzulande sagen, wie man will, ungeachtet der Meinung derer, die sagen, dass das nicht der Fall sei, weil sonst könnten sie es ja nicht sagen. Die Frage eher: Reden wir mittlerweile eigentlich nur noch über Meinungen statt über Fakten?

    Der schon erwähnte CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat hat ja schon im letzten Jahr der Wissenschaft unterstellt, dass sie ihre „Meinungen“ dauernd wechsele, und man darf nicht unterschätzen, was solch Gerede dauerhaft auslöst, selbst wenn das nur auf einen Trend aufsattelt, politisch motiviert oder dusslig war. Denn wenn alles Meinung ist, ist nicht einmal mehr das logischerweise stets nur vorläufig Wahre wahr, es wird zur Verhandlungsmasse diverser Interessengruppen. Doch auch das ist nur ein vorläufiger Befund, war vielleicht schon immer so, aber nun wird ja – wie in dem genannten Beispiel – gar nicht mal mehr verhandelt, stattdessen gilt eher: „Feuer frei!“

    Was den Verdacht aufdrängt, dass es um etwas anderes geht, nämlich um so etwas diffuses wie Haltung. Mit anderen Worten: Kommunikation wird zum Mittel der Distinktion, dadurch, wie ich rede, unterscheide ich mich von anderen, setze mich ab, halte ich mich buchstäblich auf der „richtigen Seite“.

    Denn es ist natürlich so, dass Kommunikation nicht mit-, sondern eher einteilt, wie manche Soziologen noch wissen. Schon ein Smalltalk-Klassiker wie „Heiß heute, nicht?“ macht das deutlich, denn entweder, es geht mir genauso oder aber eben nicht und mir ist zu kalt – in jedem Fall muss ich mich aber dazu verhalten. Es ist ein kommunikativer Schnitt, und weil aber so ein banaler, fällt es einem je nach Grad der persönlichen Beziehung nicht schwer einfach zu sagen: „Ja“, ehe die Fahrstuhltür endlich aufgeht. Solche „Grenzen“ sind leicht zu überschreiten, fallen mitunter gar nicht auf. Doch das Wetter – obgleich vom Klixxxxxxxx kontaminiert und den bitte nie im Aufzug ansprechen! – ist eben noch immer das harmloseste aller Themen. Was damit jedenfalls nur gesagt werden soll: Sprache macht immer einen Unterschied, markiert immer erst einmal eine Grenze – und wer sie überschreitet, riskiert die Irritation des Gegenübers. Und ein Gespräch.

    Die einen wollen weg-X-en, der macht sich gerade das zunutze

    Wenn aber lediglich Haltungen aufeinandertreffen, wird das schwierig, zumal, wenn dann zwangsläufig die Bedingungen, unter denen überhaupt gesprochen werden kann, vorgegeben werden – ganz so, als handele sich etwa um die Handspielregeln des DFB (die bis heute nicht einmal dort jeder versteht). Verständigung? Schwierig. Ja, und damit sind wir bei Cancel Culture, beim Zxxxxxxxxxxxxxxxx, Nxxxxxxxxx, all dem. Und die Diskussion darüber ist wichtig, denn richtig ist: Sprache bestimmt auch Bewusstsein. Wenn aber der eine Nxxxx nur weg-x-en, ausradieren will (als wäre das nicht ob der damit einhergehenden Geschichtsvergessenheit durchaus problematisch), der andere Nxxxx nur als Selbstzweck und Mittel der Provokation beziehungsweise Aufmerksamkeitsproduktion verwendet (siehe Boris Palmer), so erfolgt daraus nichts.

    Wie gesagt: Sprache bestimmt das Bewusstsein, in Zeiten der Haltungs- und Erregungs-Demokratie dient sie aber auch erst mal der der Bewusstseinsbestimmung, besser: Versicherung des eigenen Standorts des Sprechende. Und ist damit das Gegenteil dessen, was eigentlich erreicht werden soll: nämlich ausgrenzend. Wer ohnehin auf der guten Seite steht (welche auch immer das wäre), braucht zudem nicht mehr über die andere Seite und den anderen nachdenken, oder, um mit Adorno zu sprechen: „Nur, was sie nicht erst zu verstehen brauchen, gilt ihnen für verständlich.“

    Vorschub leistet dieser Entwicklung dabei natürlich das, was man „soziale“ Medien nennt, die – siehe Interview unten – alleine aus ökonomischem Kalkül diesen Mechanismus bekanntlich noch befeuern. Und es wundert einen umso mehr die immer noch anhaltende Naivität, wenn etwa die SZ dieser Tage feststellt: „Der Nahostkonflikt wird in den sozialen Medien auf simple Parolen verkürzt.“ Ja, auf was denn sonst?

    Nun folgt statt dem Stamperl eben der Shitstorm am Stammtisch

    Umso mehr sind diese Plattformen aber das geworden, was früher vielleicht einmal der Stammtisch gewesen ist. Mit einem fundamentalen Unterschied: Bei letzterem war – auch bei heftigstem Disput und selbst wenn ein Maßkrug zerdepperte – nach einem abschließenden Stamperl (nicht Statement!) alles wieder gut. Stattdessen nun aber der Shitstorm, wie der Online-Furor genannt wird, denn es bleibt schließlich auch die ursprüngliche Aussage stehen im Netz. Selbst wenn man schnell die Löschen-Taste betätigt, ist es meist doch schon in der Welt und verdampft eben nicht so schnell wie ein wütendes Wort im Bier- und Tabakdunst. Vielleicht ist das auch wirklich mal eine Ironie (vor der man sich ja bekanntlich mittlerweile hüten muss), dass wir – wo doch allenthalben das Schwinden der Lesekompetenz beklagt wird – unser Reden im Netz verschriftlicht haben. Und damit aus dem Fahrstuhlgespräch eine Regierungserklärung machen.

    Dass da dann die Opposition, vielleicht auch: Inquisition, nicht weit ist, verwundert jedenfalls wenig, und befeuert wird das Ganze natürlich noch durch die gegenwärtige Pandemie. Nicht nur, was den erbitterten Streit über die erwähnte Corona-Politik anbelangt, sondern viel mehr und vor allem performativ: Denn wo soll man denn noch reden, wo sich zeigen, seine Haltung ausstellen als im digitalen Raum? Jetzt, wo alle anderen habituellen Codes – Hipster-Bart und Deutschland-Socken – unter Maske und Ausgangssperre unsichtbar geworden sind? Genau: Hau ich halt einen raus im Netz!

    Was bleibt, ist ein Streiten über das Streiten, wenn man so will eine leer- und gleichwohl immer höherdrehende Meta-Diskussion, die zunehmend absurde Züge zeigt. Wie etwa im Fall vom stets das Grundgesetz mit sich tragenden Wolfgang Thierse, der sich mit seinem Zottelbart dennoch im Unterholz der identitätspolitischen Debatte verheddert hat und doch nur davor warnen wollte, was diese anrichten könne. Nämlich: „Dass statt über Argumente über Gefühle und Verletzungen gesprochen wird“, und, so Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank weiter: wir „langsam – oder schneller – die Möglichkeit, eine sachliche Debatte zu solchen Themen zu führen“, verlieren.

    Ablenkung von der eigentlich Aufgabe: Etwas konkret besser zu machen

    Das ist die Diagnose. Und statt über Cancel Culture und Entkolonialisierung und Sternchen und Unterstriche zu streiten oder die Frage, ob Cevapcici von Aldi womöglich eine ungenießbare Form kultureller Aneignung darstellen, sollte man sich lieber mal mit den jeweiligen Inhalten befassen. Denn diese Art der Skandalisierung führt, wie gesagt, nicht weiter, wandelt vielleicht nicht einmal Bewusstsein, sondern verhärtet es – und ändert schon gar nicht das Sein. Darum aber sollte es wohl in erster Linie gehen, alles andere sind Krücken, und manchmal nicht mal das: Ablenkung von der eigentlichen Aufgabe, etwas konkret und in der Realität besser zu machen.

    Dabei liegt Verständigung zum Besseren nicht unbedingt in der Mitte, nicht im Kompromiss, auch wenn der natürlich oft genug nötig ist. Echte Verständigung ist aber wie eingangs erwähnt immer das Dritte, das aus einem offenen Austausch erwächst. Man könnte jetzt von These, Antithese, Synthese leiern, aber um den Weltgeist geht es gar nicht – es geht einfach darum, dass wir halt weiter kommen. Im Gespräch.

    Aber das nur meine Meinung. Sie dürfen diese natürlich, ebenso den pfingstlich-pastoralen Ton, ablehnen und wie die Wörter in diesem Text streichen statt sprechen xxxxxxxxx, xxxx xxxxx xxxx, xxxx xxx xxx xxxxx xxxxxxx xxxxxxxxxxx xxxxx, xxxxxxxx xxxx xxx xxxxxxxxxxx, xxx xxx xxxxxxxx xxx xx, xx xxxxxxxxxx, aber vielleicht probieren Sie’s auch einfach. Oder besser: wir.

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