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Interview: Schauspieler Henry Hübchen: „Wir haben eine Chance vertan“

Interview

Schauspieler Henry Hübchen: „Wir haben eine Chance vertan“

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    "Frieden schaffen mit noch mehr Waffen, ist nicht die Lösung": Schauspieler Henry Hübchen.
    "Frieden schaffen mit noch mehr Waffen, ist nicht die Lösung": Schauspieler Henry Hübchen. Foto: Jens Kalaene, dpa

    Herr Hübchen, „Stasikomödie“ ist ein neuer Film, der sich um Ostdeutschland zur Zeit des Mauerfalls dreht. Wird es einen Zeitpunkt geben, wo Sie sich sagen: Es reicht mit diesen Geschichten?
    Henry Hübchen: Wenn alles auserzählt ist, dann reicht es auch. Aber es ist ja nicht auserzählt. Das sieht man ja an diesem Film, der endlich eine humorvolle Sicht auf die Stasi bietet. Die ist bislang zu kurz gekommen.

    Ist diese Sicht bei einem derartigen Unterdrückungsapparat angebracht?
    Hübchen: Nicht nur angebracht, sondern notwendig. Denn Humor ist befreiend. Ich habe mit Frank Castorf in Anklam Theater gemacht. Natürlich wurde da die ein oder andere Inszenierung verboten oder behindert und wir wurden von der Stasi beobachtet. Aber für uns war sie nicht nur ein angstmachendes Organ. Sie wurde eben auch verachtet, verhöhnt und verlacht.

    Haben Sie sich Ihre Stasiakte besorgt?
    Hübchen: Wie kommen sie darauf, dass eine Akte über mich existiert? Aber tatsächlich.

    Was steht denn drin?
    Hübchen: Nur Banalitäten. Dabei hätte es auch interessante Sachen zu berichten gegeben. Als ich zum Beispiel Schauspieler in Magdeburg war, hatte ich eine Bekanntschaft mit einem Westberliner Chemiestudenten, der einen Handel mit Accessoires, die in der Hippiezeit en vogue waren, betrieb. Der besorgte uns diese Sachen, die wir nicht bekommen konnten und auch Bücher wie Wilhelm Reichs „Die Funktion des Orgasmus“ oder „Massenpsychologie des Faschismus“ oder Mao-Bibeln. Und im Gegenzug bekam er meterweise unsere Marx-, Engels-, Lenin-Ausgaben. Damit habe ich sozusagen die Westberliner Studentenszene infiltriert. In meiner Akte steht zwar, dass dieser Student mich besucht hat, aber nichts über unseren Tauschhandel, was das eigentlich Interessantere gewesen wäre.

    Das spricht nicht für die Intelligenz der Mitarbeiter …
    Hübchen: Ja. Ich fühle mich nicht richtig wahrgenommen. Die haben einfach Nachbarn im Mietshaus befragt, und dann kamen so Aussagen wie: „Das ist ein netter Kerl.“

    Können Sie verstehen, warum sich die Stasi für Sie interessierte?
    Hübchen: Ich bin mit dem Theater zu Gastspielen oft ins westliche Ausland gefahren. Da wollten die natürlich eine Hoffnung und eine Sicherheit, dass derjenige auch wiederkommt und nicht im Westen bleibt. Also hat man Erkundigungen über mich eingeholt.

    Hat eigentlich die Stasi versucht, Sie anzuheuern?
    Hübchen: Als ich zur Armee eingezogen werden sollte, war ich zur letzten Musterung geladen, und da hieß es: „Gehen Sie doch mal zwei Türen weiter, da möchte jemand etwas mit Ihnen besprechen.“ Da saß dann ein netter Genosse, der mir erklärte, ich könne auch etwas in zivil für den Frieden tun, anstatt zur Armee zu gehen. Mir wurde sofort klar, welcher „Friedensdienst“ gemeint war. Und ich sagte: „Tut mir leid, ich bin völlig untalentiert. Denn ich bin ein sehr geschwätziger Typ, der kein Geheimnis für sich behalten kann.“ Das Gespräch dauerte nicht mehr als fünf Minuten.

    Konnten Sie danach Freiheitsbedürfnis mit der Theaterarbeit ausleben? Oder wären Sie vielleicht doch gerne bei einer Tournee im Westen geblieben?
    Hübchen: Ich hatte keinen Anlass dazu. In der DDR hatte ich wunderbare Arbeitsmöglichkeiten und interessante Freunde. Ich konnte an einer tollen Hochschule Schauspiel studieren und dann in einzigartigen Konstellationen mit wichtigen Regisseuren arbeiten, zunächst in Magdeburg und dann an der Volksbühne mit Benno Besson, Manfred Karge oder Fritz Marquardt und später mit Frank Castorf. Nebenbei machte ich Filme. Da musste ich mich nicht irgendwo in der westdeutschen Provinz rumschlagen.

    "Wir müssen in diese sogenannte Künstlerszene eindringen": Henry Hübchen spielt in "Stasikomödie" von Leander Haußmann einen Stasi-Offizier.
    "Wir müssen in diese sogenannte Künstlerszene eindringen": Henry Hübchen spielt in "Stasikomödie" von Leander Haußmann einen Stasi-Offizier. Foto: Constantin Film AG, dpa

    Im Film erteilen Sie als Stasi-Offizier Kommandos. Sind Sie persönlich jemand, der Befehle von Autoritäten wie etwa Regisseuren entgegennehmen kann?
    Hübchen: Da haben sie ein falsches Bild von Regisseuren und dem Beruf des Schauspielers. Ich habe am Theater keine solchen Erfahrungen gemacht. Schon am Anfang in Magdeburg hatte ich keine Regisseure, die Anweisungen gaben. Vielmehr wurde das gemeinsam besprochen, und dann näherte man sich einer Möglichkeit an, wie man eine Szene spielt. Es geht nicht um soldatischen Befehlsempfang. Es geht um Spielen und Spielen bedeutet Befreiung, also das Gegenteil vom Kommandodrill. Dinge in eine andere Ordnung rücken, um sich vielleicht zu erkennen. Das muss man sich auch einfordern. Das Ziel war, mit dem Regisseur, der da unten vor der Bühne saß, eine Verbindung und gleiche Chemie zu bekommen, aus der man wiederum Ideen entwickelt. Da hatte ich das Glück, Frank Castorf zu treffen, wo ich gemerkt habe, da habe ich so etwas wie ein Alter Ego.

    Wenn zwei gleich gepolte Personen aufeinandertreffen, gibt es da keine gegenseitige Abstoßung?
    Hübchen: Wir sind ja nicht in der Physik, wir sind im Theater und da ziehen gleiche Pole sich an. Der Abstand ist trotzdem groß genug. Der eine ist auf der Bühne und der andere davor. Das ist ein Riesenunterschied und dann gibt es noch genug Missverständnisse. Wichtig ist bei null zu starten und nicht immer nur zu denken. Einfach auch mal machen und dann erst denken. Keine Angst vor „blöden“ Einfällen und vor dem Satz „Ich weiß es nicht“. Oder „Mach doch mal was, ich habe keine Idee.“ – „Ich habe auch keine.“ – „Dann gehe erst mal auf der Bühne, damit die nicht so leer ist.“ – „Wenn es dir hilft“. Und indem ich ideenlos hin und her ging, bekam der andere Part, der da unten saß, vielleicht einen Einfall.

    Gibt es eigentlich etwas im heutigen Deutschland, was Ihren Widerspruchsgeist herausfordert?
    Hübchen: Die Beurteilung von Situationen, die wir jetzt fürchterlicherweise haben. Dass wir jetzt am Rande eines Krieges stehen, ist eine Katastrophe. Meine Großeltern sind in den Ersten Weltkrieg geschlittert und im Zweiten Weltkrieg ausgebombt worden, mein Vater ist mit einem zerfetzten Bein aus dem Zweiten Weltkrieg herausgekommen. Frieden schaffen mit noch mehr Waffen, die neue Losung der moralisch Guten, ist nicht die Lösung. Davon bin ich in der aktuellen Situation überzeugt.

    Das Jahr 1989, das ja auch im Film eine zentrale Rolle spielt, war ja geprägt von optimistischer Aufbruchsstimmung. Kann es die wieder geben?

    Hübchen: Wohin wollen sie aufbrechen? Ich bin pessimistisch. Seit 1990 gab es die Chance, ein gemeinsames Europa mit Russland zu bilden, was ja auch zu Europa gehört. Und diese Chance ist vertan. Jetzt ist das Ding in den Brunnen gefallen und ein neuer Eiserner Vorhang wird hochgezogen.

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