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Kommentar: Warum wir das Theater so dringend brauchen

Kommentar

Warum wir das Theater so dringend brauchen

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    Lars Eidinger wurde für seine ausgesprochen körperbetonte Darstellung des «reichen Mannes» minutenlang umjubelt.
    Lars Eidinger wurde für seine ausgesprochen körperbetonte Darstellung des «reichen Mannes» minutenlang umjubelt. Foto: Barbara Gindl/APA/dpa

    Nun starten – Corona zum Trotz – die Sommerspiele. Und zwar in schärfstem Kontrast: dort, in Tokio, die sportlichen Sommerspiele im olympischen Geist, aber selbst im Freien vollkommen ohne Publikum; hier die künstlerischen Sommerspiele vor allem im musikalischen Geist, voran Bayreuth, Bregenz, Salzburg, letztere sogar mit Vollbesetzung selbst in geschlossenen Räumen. Das so sind die extremen Umgangsformen mit dem Virus, die auch jederzeit über den Haufen geworfen werden können. Wer dabei wirklich angemessen und verantwortungsvoll handelt, wird sich womöglich erst später herausstellen.

    Allerdings haben die Salzburger Festspiele schon einmal viel gewagt – und dabei gewonnen. Das war im vergangenen Jahr zu jenem 100. Geburtstag des Festivals, dessen besonderer Charakter eher mit „Test-“ denn mit „Festspiele“ umrissen werden musste. Es ging gut. Dass es auch 2021 wieder gut gehen dürfte – trotz der Gefahren durch die Delta-Variante –, ist eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich. Momentan leben wir ja verschärft im Zeitalter von Statistiken und Wahrscheinlichkeitsrechnungen.

    Dass es in den Opern-, Schauspiel- und Konzerthäusern mutmaßlich gut gehen dürfte, dafür steht die 3-G-Auflage, wie sie nicht nur in Bayreuth, Bregenz und Salzburg, sondern auch auf der Augsburger Freilichtbühne einzuhalten ist. Nur wer geimpft, genesen oder getestet, darf rein zu den olympischen Spielen der darstellenden Kunst.

    Die Bühnen zeigen, woran weiterhin zu arbeiten ist

    Denn das sind sie ja zweifellos. Nicht nur in Tokio sind körperliche Höchstleistungen – mitunter auf die Zehntelsekunde genau – zu erbringen, auch in Bayreuth, Bregenz und Salzburg. Der Stabhochsprung braucht Technik, Virtuosität, physische wie psychische Kraft genauso wie der Ziergesang rund ums Hohe C. Jahrelang ist darauf hinzuarbeiten, wenn es dermaßen gut gehen soll, dass in den Rängen und Kurven das Publikum – so eingelassen und anwesend – ob der Sternstunde jubelt.

    Freilich kommt auf der Theaterbühne, über die angestrebte Hochleistung hinaus, noch etwas hinzu. Konfrontiert wird das Publikum in aller Regel mit zeiten-, ja epochenübergreifenden Konflikten, über die Gedanken zu machen sich durchaus lohnt. Ist doch bemerkenswert, dass in zwei zentralen Produktionen der Bregenzer und Salzburger Festspiele 2021 der gewalttätige oder zumindest rüde Umgang mit Frauen auch eine Rolle spielt: in „Rigoletto“ und „Don Giovanni“. Es stellt sich die Frage: Wie wird das, was zwar in der Vergangenheit spielt, aber durch die Gegenwart gewiss noch nicht erledigt ist, morgen sein? Wird es anhalten? Ebenso bemerkenswert bleibt, dass in Salzburg Luigi Nonos 60 Jahre altes Musiktheaterstück „Intolleranza“ Flüchtlingen, gefolterten Demonstranten und auch Hochwasseropfern (!) eine Stimme gibt. Man hört und sieht: Alles kann sich wiederholen, trotz der Beschwörung „Nie wieder!“: Krieg, Diktatur, Not, Homosexuellen-Diskriminierung, Frauenverachtung, Pandemien.

    Auch deshalb brauchen wir das Theater, und dies nicht nur in der sommerlichen Festspielzeit, sondern über das ganze Jahr hinweg: zur Selbstvergewisserung, zur Bekämpfung von Geschichtsvergessenheit, für die Aufstellung einer Agenda, woran weiterhin zu arbeiten ist. Ein Theaterabend kann ein kollektiver wie individualisierter Appell sein. Er verweist darauf, was geschehen sollte.

    Was wir aber in noch höherem Maße brauchen, das ist der auch von der bayerischen Staatsregierung sträflich vernachlässigte Musik- und Kunstunterricht an den Schulen. Dieser gehört nämlich zur Bildung menschlichen Wesens.

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