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Tefaf Maastricht: Eine liegende Nackte und eine Sensation aus Augsburg

Tefaf Maastricht

Eine liegende Nackte und eine Sensation aus Augsburg

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    Niemand verstand sich in diesem Genre besser als Pierre-Auguste Renoir: "Liegende Nackte" aus dem Jahr 1903.
    Niemand verstand sich in diesem Genre besser als Pierre-Auguste Renoir: "Liegende Nackte" aus dem Jahr 1903. Foto: Dickinson, London

    Die Welt ist im Umbruch und mit ihr der Geschmack, das Sammelfieber, die Vermögensverteilung und der Markt der Kunst. Das Alte ist oder scheint alt, das Neue ist oder scheint neu, frisch, jung. Wer jetzt über die exklusive Kunstmesse Tefaf im holländischen Maastricht eilt, bei der an die 300 Kunsthandlungen und Galerien inspiziert sein wollen, weil sie nicht selten das Beste weltweit gerade erhältlicher Kunstobjekte feilbieten, dem sticht immer wieder ins Auge: Dort, wo vor fünf Jahren noch die mehr oder weniger humanistische Bildungstradition und ihre traditionellen Bildsujets hingebungsvoll gepflegt wurden, dort, wo einst auch reihenweise Venedig-Veduten und gischtschäumende Meeresmotive hingen, dort ziehen beschleunigt Moderne und Contemporary ein. Mitunter fühlt man sich in Maastricht inzwischen wie auf der hippen Art Basel. Kommentar aus einer traditionsreichen und renommierten bayerischen Kunsthandlung, die stets museale Werke präsentiert: „Wir sind ja froh, wenn sich noch jemand für alte Kunst interessiert.“

    Ja, es ist wohl so: Selbst von denen, die es sich leisten können und über geräumige Salons verfügen, werden nicht mehr Gobelins gesucht oder alte Schießgewehre, nicht mehr eine Geißelung, ein büßender Hieronymus, eine aus Elfenbein geschnitzte Madonna – und wäre der Faltenwurf ihres Mantels auch noch so elegant fließend. Alles zu haben in Maastricht bei expansiven Preisen. Aber eben nicht mehr so en vogue in Zeiten, da selbst die praktische häusliche Bibliothek und die Familienfotos ausgelagert sind in Netz und Cloud.

    Möbel und Silber sind nicht mehr so gefragt wie einst

    Hingegen versprechen moderne und zeitgenössische Kunst dem Besitzer – ohne aufwändige Studien von Geschichte und Stilistik – schnelle Wirkkraft im Freundeskreis, den Beleg von Aufgeschlossenheit und Fortschrittlichkeit; und, das muss jetzt auch raus, womöglich lohnendes Investment. Die Preise für alte Kunst stagnieren oder gehen gar zurück (Möbel! Silber!), aber mit den Heroen der zeitgenössischen Kunst ließen sich in den vergangenen 15 Jahren ganz saubere Schnitte machen. Das ist die Hoffnung mancher auch für die Zukunft. Mal schauen.

    Jedenfalls testen etliche Kunsthändler in Maastricht plötzlich, mitunter aber auch noch etwas verschämt, den Markt mit der Jetztzeitkunst. So, wie 2017 verblüffend ein Salvator mundi unter Zeitgenossen versteigert wurde, so taucht jetzt unerwartet ein Video neben Degas und Modigliani auf, schmückt selbst der Antikenhändler sich nicht nur mit dem Mythos, sondern auch mit der Gegenwart eines Gemäldes des kontemplativen Koreaners Lee Ufan. Recht eigentlich bleibt ja auch verständlich, dass der Mensch von heute auch mit der Kunst von heute leben will. War unter Kennern nie anders.

    Gleichzeitig muss festgehalten werden, dass sich das zunehmend für obsolet Gehaltene weiterhin verkauft. Etwa, oh là là, die liegende Nackte mit pumperlgesund durchblutetem Inkarnat von Renoir. In unseren Zeiten könnte das Gemälde als Affront verstanden werden. Indessen befand einst Matisse, der es gewiss auch beherrschte: „Aber diese Nackten … niemand konnte es besser als Renoir, niemand.“ Wofür die dunkle Schöne in der ersten Maastrichter Messestunde den Bewunderer wechselte, will man in der Platzhirsch-Galerie Dickinson/London keinesfalls verraten, aber deutlich über zehn Millionen Dollar, letzter erzielter Auktionspreis 2010, sei es schon.

    Ein deutscher Kunsthistoriker in New York

    Nun aber lernen wir an anderem Stand Wolfram Koeppe persönlich kennen, seines Zeichens Kurator für europäische Skulptur und europäisches Kunsthandwerk am Metropolitan Museum New York. Ein deutscher Kunsthistoriker, schrieb auch schon für die Kunstsammlungen Augsburg. Es heißt: Dieser Mann weiß alles. Maastricht 2019 erweist sich für ihn als Fundgrube – so, wie mancher Museumsdirektor hier zugreift, falls er das notwendige Geld hat. Das Eine, was Koeppe mit fliegenden Fahnen reserviert wird, ist bei Böhler/Starnberg eine Winzigkeit, sieben Zentimeter lang. Nämlich eine so genannte Mikroschnitzerei, ein Miniatursarg aus Buchsbaum, um 1515 in Holland entstanden, der auf geringstem Raum zwei Verwesungsstadien eines Toten zeigt und dazu himmlische Heerscharen mit ein Millimeter großen Köpfen rund um Petrus. Das Metropolitan Museum besitzt bereits den Sargdeckel des Kleinods. Wenn nun die Trustees und Restauratoren zustimmen, künftig auch die winzige Hauptsache.

    Höfische Apotheke mit Goldschmiearbeit vom Augsburger Meister Nicolaus I Kolb
    Höfische Apotheke mit Goldschmiearbeit vom Augsburger Meister Nicolaus I Kolb Foto: Kunstkammer Georg Laue

    Das Zweite ist eine bislang unbekannte Sensation aus Augsburg. 1617 hat Nicolaus I Kolb, jener Silberschmied, der für Philipp Hainhofer den weltberühmten Pommerschen Kunstschrank mitbestückte, eine überaus rare höfische Reiseapotheke geschaffen. Sie war versteckt bis 2018 in Pariser Privatbesitz, nun geht sie über die Kunsthandlung Laue/München nach New York ans Met. Hätte Augsburg auch gut getan. Und, wer weiß, vielleicht hätte Koeppe auch noch bei Kugel/Paris einen unglaublichen Melchior-Baumgartner-Kabinettschrank mit Elfenbein-Figuren und Schildpatt reserviert (2, 3 Millionen Euro), wenn nicht mittlerweile aus Artenschutzgründen ein US-Einfuhrverbot für altes Elfenbein gelten würde.

    Aber kommen wir zurück zum Maastrichter Wettbewerb zwischen Alt und Neu. Vielleicht haben ja jene Künstler das Ei des Kolumbus gelegt, die sich die Tradition aneigneten, um sie zu überwinden. Etwa Robert Rauschenberg mit einer verfremdeten Goya-Maja oder Niki de Saint Phalle, die 1962 einen weißen, (anti-)religiösen Klappaltar zimmerte, mit Kruzifixen und Heiligen ausstaffierte und anschließend mit schwarzer Farbe beschoss (Vallois/Paris, 1,2 Millionen Dollar). Oder der 1955 in Kalifornien geborene Barry X Ball, der mit halbdurchsichtigem Onyx aus dem Iran virtuose Bildhauereien zu klassischen Skulpturenthemen schafft (Pieta, Medusenhaupt, Hermaphrodite). Zwischen 100 000 und 2,5 Millionen Dollar bei MCCaffrey/New York.

    • Die European Fine Art Fair(Tefaf) findet im Ausstellungs- und Kongresszentrum von Maastricht-Randwyck statt. Aussteller sind 293 Kunst-, Antiquitäten-, Schmuck-, Design- und Buchhändler von mehreren Kontinentenzeigen Kunst und Kunsthandwerk. Die Tefaf läuft bis 24. März.
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