"Flowers Forever": Jetzt sprechen die Blumen in der Kunsthalle München
Plus In München beginnt schon der Frühling – unter dem Titel "Flowers Forever" dreht sich in der Kunsthalle alles um die ewig faszinierenden Blumen und ihre oft delikaten Botschaften.
Als letzten Gruß wirft man Blumen ins Grab. Rosen als Zeichen der Liebe, Calla für die Unsterblichkeit, ihrem Großcousin Ludwig II. ließ Kaiserin Sisi Jasmin in den Sarg legen. Unter einem Blütenregen langsam zu ersticken, ist dann allerdings eine reichlich bizarre Variante dieses schönen Brauchs. Das jedenfalls wird von den Gästen des römischen Imperators Marcus Aurelius Antonius erzählt.
Unter seinem Beinamen Elagabal hat dieser jugendliche Kurzzeit-Kaiser die Klatschspalten des zweiten Jahrhunderts beherrscht, gewiss ist nur ein winziger Teil des dekadenten Wahnsinns wahr. Doch die Geschichte vom tödlichen Gelage hat immerhin Lawrence Alma-Tadema, Londons Superstar der Viktorianischen Ära, 1888 zu einem seiner opulentesten Gemälde inspiriert. Jetzt sind die millionenschweren "Rosen des Heliogabalus" aus der Pérez Simón Collection ein herrlich lasziver Höhepunkt in der Kunsthalle München. Unter dem Titel "Flowers Forever" geht es dort um Blumen in Kunst und Kultur.
Mit Blumen war schon immer Staat zu machen
Und nein, man muss keine Ansammlung gediegener Stillleben befürchten. Abraham Mignons 1665 minutiös gemalte "Vase mit Blumen" gehört sogar eher zu den Ausnahmen, so sehr ist das Thema mit den repräsentativsten und zugleich intimsten Bereichen des Lebens verknüpft. Mit Blumen war immer schon Staat zu machen. Die spätmittelalterlichen Millefleurs-Tapisserien oder Johann Joachim Kaendlers hyperfiligrane Blütenentwürfe für die Manufaktur Meißen zählen da zu den bekanntesten Beispielen. August der Starke, porzellanverrückter sächsischer Kurfürst, wollte selbst die Chinesen übertrumpfen.
Überhaupt war das Verlangen groß, die kurzlebigen Blüten in ein bleibendes Medium zu übertragen. Der englischen Künstlerin Ann Carrington gelingt das mit altem Silber, und man muss schon zweimal hinschauen, um bei diesem fantasievollen Upcycling Löffel und Gabeln auszumachen. Ziemlich echt wirken dagegen die botanischen Modelle aus der Lehrmittelproduktion von Robert und Reinhold Brendel. Papiermaché, Farbe und Draht genügen, und nur die Größe verrät den virtuosen Fake. Deshalb sind diese Objekte längst zur begehrten Kunsthandelsware geworden.
In der Kunsthalle München ist auch Digitalkunst-Pionier Miguel Chevalier präsent
Kunst und Wissenschaft haben sich gerade bei der Darstellung von Blumen gegenseitig beeinflusst und inspiriert. Davon künden Girolamo Pinis botanische Studien aus den Gärten der Medici, die genauso als dekorative Gemälde funktionieren. Heute ist es etwa der Blick durchs Rasterelektronenmikroskop, der auch in die Kunst hineinspielt. Stefan Eberhard hat Pollen von Kresse 100-fach vergrößert, die Aufnahme erinnert an eine Seeanemone und letztlich auch an die neusachlichen Fotografien eines Karl Blossfeldt. Doch das ist alles noch zu steigern. Der Digitalkunst-Pionier Miguel Chevalier füllt mit seinem virtuellen Blumengarten gleich einen ganzen Raum, der das Verhältnis von Natürlichkeit und Künstlichkeit vor Augen führt. Und genauso das Entstehen immer neuer unberechenbarer Veränderungen, die in der Realität u. a. durch Genmanipulationen befördert werden.
Wobei die Evolution das Ihre tut. Und wenn dann noch Samen durch die Welt geschippert werden, blühen irgendwann urdeutsche Geranien an deutschen Balkonen. Sie stammen ursprünglich aus Südafrika. Sowieso sind Tulpen lange schon holländischer fast als Gouda. Der Import der Zwiebeln aus China und die damit verbundene Tulpenmanie hat zur ersten dokumentierten Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte geführt. Eine einzige Zwiebel konnte so viel Wert sein wie ein ganzes Haus – bis 1637 der große Knall kam.
Maler wie Jan Brueghel d. J. haben darüber umgehend ihren Spott gegossen und Affen beim Blumenhandel gezeigt. Heute zieht die Künstlerin und Wissenschaftlerin Anna Ridler Parallelen zu Kryptowährungen wie Bitcoin: Auf ihrer Videoinstallation öffnen und schließen sich Tulpen entsprechend der Kursentwicklung. Und Andreas Gurskys Farbfeldkomposition ist nichts anderes als die Luftaufnahme einer Tulpenfarm, auf der irrwitzige Mengen in Monokultur produziert werden. Auch dieses Modell wird einmal böse explodieren. Nachhaltigkeit sieht anders aus.
Die Blumen sind mit Symbolik aufgeladen
Vor diesen vielsagenden Arbeiten vergisst man ganz, dass schon die Blumen an sich wie kein anderes Objekt mit Symbolik aufgeladen sind. Quer durch sämtliche Kulturen. Ob das nun der Lotus als Sinnbild für Regeneration und Auferstehung ist oder die Rose als Zeichen der Passion Christi, der Jungfrau Maria (Rose ohne Dornen) sowie der Göttin Venus. Mit Blumen kann man so ziemlich alles zum Ausdruck bringen, den politischen Protest, den Widerstand – und gerade auch das Verbotene, das Delikate und hoch Erotische.
Der Begriff Defloration sagt alles und wurde im berühmten Rosenroman des 13. Jahrhunderts in Literatur gegossen, die damals schon als frauenfeindlich galt. Edward Burne-Jones und William Morris bringen das elegant ins Bild, lassen ihren Pilger nach einem Mädchen im Blumenkelch greifen – und aus dessen Gewand gleich noch eine Ranke phallisch zur Rose ragen.
Die Kunsthalle hat sich in einen Garten Eden verwandelt, freilich mit menschlichen Erdungen. Und wer nicht nur die Schönheit des Floralen genießt, wird Blumen nach dieser Ausstellung anders sehen. Mehrdeutiger. Aufregender. Widerspenstiger. Insofern tut es gut, dass die überbordende Schau mit einem Hortus der besonderen Art endet: Aus tausenden getrockneter Blumen hat Rebecca Louise Law einen "hängenden Garten" geschaffen. In dem darf man wandeln, innehalten, den Duft inhalieren – und anders als Elagabals' Gäste betört den Saal verlassen.