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Jubiläum: 100 Jahre Institut für Sozialforschung: Eine richtige Kritik im falschen Leben

Jubiläum

100 Jahre Institut für Sozialforschung: Eine richtige Kritik im falschen Leben

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    Eine Bierbank für Kritik: Blick auf die Terrasse des Instituts für Sozialforschung (IfS) in Frankfurt, das zumindest eine Zeit lang den Diskurs in Deutschland zu prägen vermochte.
    Eine Bierbank für Kritik: Blick auf die Terrasse des Instituts für Sozialforschung (IfS) in Frankfurt, das zumindest eine Zeit lang den Diskurs in Deutschland zu prägen vermochte. Foto: Frank Rumpenhorst

    Ein jeder hat wohl schon mal gedacht, er sei im falschen Film aufgewacht. Aber Leben? Nein, das meist dann doch nicht. Morgens Schichtbeginn oder Konferenz oder Dings, abends dann Traumschiff oder neuerdings Netflix – ist halt so. War schon immer irgendwie so. Ganz normal. Ein Pizza-Dienst bringt die Pizza, ein Postbote zuvor die Nebenkostenabrechnung, das Private wird teurer, aber leben lässt sich doch und noch. Das wie aber, das wie und insbesondere: unter welchen Bedingungen, ist allerdings offen. Obwohl, seit mindestens hundert Jahren wird wenigstens danach gefragt.

    Denn vor hundert Jahren erging ein Erlass nicht etwa vom Kaiser Augustus, sondern vom preußischen Kulturminister, in dem es hieß, dass in Frankfurt am Main ein Institut für Sozialforschung (IfS) gegründet werde. Welches dann auch nur wenig später und gefördert durch eine Stiftung des Kaufmanns und Mäzens Hermann Weil in die Welt gesetzt wurde – und damit zum zeitweise wirkmächtigsten Organ der Kritik an den bestehenden Verhältnissen überhaupt.

    Warum wurde trotzdem NSDAP gewählt?

    Dem ureigenen Programm voraus ging eigentlich eine Niederlage: Nachdem sich die Hoffnung eines manchen auch Intellektuellen auf eine sozialistische Revolution spätestens mit der Konstituierung der dem Kaiserreich nachfolgenden und dann doch recht bürgerlichen Republik zerschlagen hatte (aber eigentlich schon seit dem Erfurter Programm der SPD), widmete man sich in Frankfurt erst mal einem akademischen Zugang, wenn man so will: dem wissenschaftlichen Besteck des Marx’schen Theoriegebäudes. Historischer Materialismus, ein auf links gewaschener Hegel, Ideologiekritik und so. Das mag einem vielleicht oll vorkommen, aber nicht zu vergessen: Damals gab es noch keine Pizzaboten, kein Prekariat, es hieß und war halt einfach Proletariat. Aber: Wie hielten die das wohl aus? Und: Warum wählten sie am Ende, also am Anfang der Dreißiger, zu einem nicht geringen Teil die NSDAP?

    Ohne zu wissen, was da kommt, war das vielleicht von Anfang an der zentrale Forschungsansatz des an der Goethe-Universität angesiedelten Instituts. Für dessen anhaltenden Ruf und Leitung dann vor allem ab 1931 der Sozialphilosoph Max Horkheimer stand, mit namhaften Mitarbeitern und einem eigenwilligen und zugleich zeitgemäßem Theoriemix (a bisserl Freud geht immer). Es war jedenfalls eine bohrende Forschung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln an dem, was man gesellschaftliche Machtverhältnisse nennt oder mittlerweile vielleicht eher: Strukturen. Weil Macht, das klingt uns heute ja schon verdächtig. Es war die Geburtsstunde der „Kritischen Theorie“. 

    Das Hauptwerk: "Dialektik der Aufklärung"

    Mit Horkheimer, Leo Löwenthal, Theodor W. Adorno und einigen mehr stellten aber vor allem jüdischstämmige Forscher diese bohrend-forschenden Fragen, und eines von beidem hätte schon gereicht, dass die Nazis, die Gestapo das Institut 1933 wegen „staatsfeindlicher Bestrebungen“ auflösten. Die folgenschwere Folge: das Exil. Ein Jahr später emigrierte Max Horkheimer jedenfalls in die USA, wo er an der Columbia University das IfS weiter führte, 1941 ging es an die Westküste. Es wurde weiter geforscht, gebohrt, auch empirisch, es entstanden Studien zum totalitären Charakter.

    Vor allem aber reifte in diesen expatriierten Jahren das, was später einmal als das wirkmächtigste Hauptwerk der „Frankfurter Schule“ gelten sollte: die „Dialektik der Aufklärung“. Die eigentlich als „Philosophische Fragmente“ zu Recht untertitelte Aufsatzsammlung sorgte im Nachhinein vor allem mit zwei Texten für Resonanz: Einmal dem über die „Kulturindustrie“, also die Medien im weitesten Sinn als Institutionen einer „Aufklärung als Massenbetrug“, vor allem aber mit den Reflexionen zum klassischen Odysseus-Mythos, darin enthalten eigentlich die zentrale Kernthese nicht nur des genau deswegen so betitelten Buches, sondern der Kritischen Theorie überhaupt: „Wir hegen keinen Zweifel, daß die Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden Denken untrennbar ist. Jedoch glauben wir, genauso deutlich erkannt zu haben, daß der Begriff eben dieses Denkens, nicht weniger als die konkreten historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft, in die es verflochten ist, schon den Keim zu jenem Rückschritt enthalten, der heute überall sich ereignet.“

    „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“: Theodor W. Adorno, der wohl einflussreichste Theoretiker der Frankfurter Schule.
    „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“: Theodor W. Adorno, der wohl einflussreichste Theoretiker der Frankfurter Schule. Foto: akg-images

    In anderen, verkürzten Worten: Der Fortschritt gerinnt zu Formen, die ihre eigenen Kinder fressen, ja, eigentlich erstarren lassen. Deswegen weiß der Pizzadienst nicht um sich, der Postbote ebenso und man selbst nimmt die Nebenkostenabrechnung zur Kenntnis, ehe auf Netflix geschaltet wird – es ist die Unbehaustheit inmitten einer formalisierten, institutionalisierten Welt, die wir uns erfolgreich selbst eingerichtet haben. Und wer das jetzt für ziemlich deprimierend und negativ hält, liegt vollkommen richtig.

    Theodor W. Adornos bittere Schlussfolgerungen

    Es ist (oder besser: war) aber genau diese klare, kalte und wenn man so will kulturpessimistische Sicht auf die Dinge, die das kritische Potenzial der Theorie erst entfaltet. Allein, es bleibt halt dann nur die Kritik, die Theorie. Wie Adorno selbst in seinen ebenfalls im Exil geschriebenen „Minima Moralia“ formulierte: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Und noch bitterer später in seiner „Negativen Dialektik“: „Wahrscheinlich wäre für jeden Bürger der falschen Welt eine richtige unerträglich, er wäre zu beschädigt für sie.“

    Was also tun? Die Ideologie-Kritiker von unrecht. Denn 1951 wurde das Institut in Frankfurt unter der Leitung von Max Horkheimer und später Adornos wiedergegründet und leistete somit einen entscheidenden Beitrag zur geistigen Rekonvaleszenz Post-Nazi-Deutschlands. Es wirkte also durchaus in die Realität, was einst Theorie gewesen.

    Das Busen-Attentat linker Studentinnen

    Doch mit der Studentenbewegung, die zwar nicht wenige Stichworte der „Frankfurter Schule“ im Munde führte (und mit der der großbürgerliche Adorno nicht viel anfangen konnte), kam der theoretisch angelegte Grundkonflikt wieder zum Vorschein. Und damit ironischerweise die marxistischen Anfänge: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Der zweite Teil des Satzes von Marx war aber und konnte nie der Anspruch Adornos sein. Es folgte also das berühmt-berüchtigte Busen-Attentat von linken Studentinnen, es gab berühmte Schüler wie Jürgen Habermas, es folgten Institutsleiter wie Axel Honneth und aktuell Stephan Lessenich, es folgt aus all dem vor allem aber ein gewaltiger Anspruch.

    Ob das IfS, das zwar auf „Schultern von Riesen“ steht (Lessenich), gerade deshalb noch Antworten findet auf die Fragen unserer diffusen und nach irgendwelchen Taten verlangenden Zeit, vor allem aber Gehör, darf dann allerdings doch leicht bezweifelt werden.

    Dennoch: Am Montag wird erst einmal und völlig zu recht Geburtstag gefeiert.

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