Debatte um kulturelle Aneignung: Fridays For Future sind lebensfern rigoros
Wer jeder Kultur nur ihre ureigensten Bezüge zugesteht, befördert eine Spaltung der Gesellschaft – und schwächt sich selbst. So wie Fridays for Future kürzlich...
Ganz sicher wollen sie alles ganz richtig machen: Die Leute von Fridays for Future, die da kürzlich Aufsehen erregten, weil sie eine weiße Sängerin aufgrund ihrer Frisur ausgeladen haben – Dreadlocks nämlich stünden für schwarzen Protest.
Und wie Fridays For Future schreiten ja seit Jahren immer wieder Wohlmeinende mit dem Vorwurf der „kulturellen Aneignung“ gegen irgendetwas ein. Aber gerade, wenn alles dem Ideal nach eben so ganz moralisch richtig, also gut sein soll, ist das Resultat im Handeln mitunter ein besonders schlechtes.
Das zeigt sich meist schon an der Oberfläche. Und nicht nur im Fall einer schon mehrfach beanstandeten Frisur, die im Lauf der Kulturgeschichte aber bereits für so viele Glaubens-, Protest- und Stilbekenntnisse gestanden hat, dass eine eindeutige Zuweisung nun selbst einer Aneignung gleichkommt. Nicht selten wirkt es dabei, als habe vor den absoluten Ansprüchen der Gegenwartsaktivisten die Geschichte zu schweigen, sonst würde das Bild von Moral und Wirklichkeit bloß unangenehm diffus.
Moral als eine Kraft, die Gutes will und Böses schafft?
Die Künstlerin Dana Schulz wurde Ziel der Empörung, weil sie den schwarzen Jungen Emmett Till im Sarg gemalt hat, der 1955 von zwei Rassisten getötet worden war. Es wurde mitunter sogar die Zerstörung des Bildes gefordert, denn die Malerin ist weiß. Wie der Sängerin von Fridays for Future angeboten wurde aufzutreten, wenn sie sich den Kopf rasiere.
Eine Vorzeigemoral, die sich so gegen Freiheit in Kunst und Leben stellt und gegen das historisch ja stets bedeutsam Gewesene wendet, dass gerade auch Menschen, die nicht Betroffene einer Unterdrückung sind, sich gegen diese engagieren: Kann das eine gute Moral sein? Eine, die wirklich taugt, eine Schneise zwischen Gut und Böse ins kulturelle Referenzdickicht der Moderne zu schlagen?
Auch das heute hierzulande hippe Attribut, „woke“ zu sein, also umfassend wachsam ums Richtige bemüht, ist ja eine kulturelle Aneignung, weil „Wokeness“ aus der schwarzen Anti-Rassismusbewegung von vor bald hundert Jahren stammt …
Auf den Grund dieser Widersprüche an der Oberfläche führt ein bemerkenswerter Satz von Barack Obama (der Dreadlocks tragen dürfte). Am Ende seiner Präsidentschaft und angesichts der Tatsache, dass ihm Trump ins Amt gewählt nachfolgen würde, fragte er: „What if we were wrong?“ Was, wenn wir uns geirrt haben? Und meinte: Was, wenn gerade der Versuch, das der liberalen Überzeugung nach Richtige und Gute in der Gesellschaft zum Durchbruch in Herrschaft zu setzen, das Gegenteil bewirkt hat? Spaltung erzeugt, die Gegner gestärkt, die Untauglichkeit des Ideals gezeigt.
Und wenn Firmen plötzlich mit queerem Regenbogen werben?
In der Moral entscheidet nicht die Erhabenheit des Standpunkts, sondern die Lebenspraxis. Das sollte gerade Fridays for Future nicht vergessen. Eine moralische Haltung hat keine 99-prozentige Sicherheit wie ein Befund der Klimawissenschaft. Und lebensferner Rigorismus wie in Debatten um „kulturelle Aneignung“ liefert nicht nur Gegenkräften Futter, sondern verprellt auch Sympathisanten, schadet damit der Sache selbst.
Sogar rein oberflächliche Aneignungen wie die des (heute) queeren Regenbogens durch Firmen für Imagewerbungen ist viel mehr als eine verlogene Heuchelei. Sie ist ein Indiz, wie mächtig und wichtig die Interessen der Gruppe heute sind.
Wer jeder Kultur nur ihre ureigensten Bezüge zugesteht und Moral nur in Reinform akzeptiert, wird jedenfalls nur in immer kleineren Gruppen Zusammenhalt herstellen, ideologische Gräben vertiefen und sich dem Charakter der entscheidenden Komponenten der Gesellschaft entfremden: dem Leben und der Politik. Richtig kann daran dann nichts mehr sein.
Die Diskussion ist geschlossen.
Wahnsinn, welche ellenlange Kommentare und Meinungen hier hinein interpretiert werden. (edit/mod/NUB 7.2)
Schön, hier auch mal etwas Kluges zu lesen.
Der Diskurs über die kulturelle Aneignung per se ist wichtig, wird aber mitunter falsch geführt, hier stimme ich dem Artikel zu. Dieser konkrete Fall ist meiner Ansicht nach unzureichend erklärt. Ganz so wie Autokratien (allgemein gesprochen) Symbole der Rebellion mit Repression entgegnen, so vereinnahmt die ökonomisch geleitete Gesellschaft politische Symbolik , gerade im Mode und Fashionbereich und dazu zähle ich Frisuren, und entleert sie dadurch ihrer Botschaft und ihrer Kraft. Die Kritik an Personen(gruppen) die diesen sinnentleerten "Trend" weitertragen und das Aufmerksam machen ist nicht verkehrt, man sollte sie allerdings nicht generalisieren. Auch da stimme ich dem Kommentar zu, es gibt gewiss Menschen die sich bewusst dieser Symbolik bedienen und so ihre Sympathie und Unterstützung zeigen und die sich jetzt auf einmal falsch klassifiziert sehen.
Dieser Diskurs braucht aber auch einen möglichen Lösungsansatz.Ein weiteres Aufzeigen der Aneignungen ist als Erkenntnismoment gut, findet ohne Verständnis und Akzeptanz aber auch kein positives Ende. Wollen wir wirklich bis Ultimo auflisten ( ich sehe da zukünftig Diskussionen bis hin zur Kartoffel, Mais und Tomate als Symbol für Imperialismus und Versklavung gepaart mit kultureller Aneignung, eine Katastrophe für die hiesige Kulinarik) um der puren Aufarbeitung willens? Oder sollten wir nicht lieber anfangen einen Weg in die Zukunft zu wagen? Eine Zukunft die das Unrecht und die Fehler der Vergangenheit und der Gegenwart kennt und diese durch eine ernst gemeinte (!) Entschuldigungskultur befriedet und die Chance für einen Neuanfang ebnet?
Eine Entschuldigungskultur ohne schlechtes Gewissen ,dafür mit Gleichberechtigung und Respekt , zukunftsfähig.
Es wird vermutlich ein Wunsch bleiben, sich zu entschuldigen ist nicht Teil dieser Kultur, wir könnten (und sollten)es dennoch versuchen uns von anderen Anzueignen.
Es gibt keinen „Diskurs“ über irgendetwas, dass Sie „kulturelle Aneignung“ nennen. Es gibt ideologisch hingebellte Dogmen, die ein bestimmtes Klientel in der Gesellschaft durchzudrücken versucht. Sie dienen dem Zweck, diesen Klientel Zugang zu Macht über andere zu verschaffen.
Stellen Sie sich vor - es gibt Menschen, denen sind Ihre Symbole völlig egal sind. Die wissen, dass schon weiße Nordmänner vor 2000 Jahren Dreadlocks trugen, eine Swastika schon vor 10.000 Jahren in Asien verwendet wurde, die Regenbogenfahnen Bauern in die Schlacht begleitete, die Stämme in Afrika seit 2000 Jahren Sklaverei als legalen Broterwerb empfinden, es in Südafrika vor 100 Jahren keine schwarze Mehrheit gab, Moslemische Herrscher in Europa und auf dem Mittelmeer auf „Menschenfang“ waren. Es ist absurd Gut und Böse in schwarze oder weisse Hautfarbe zu teilen und dann noch Erb- und Kollektivschuld auszusprechen.
Und wenn es so etwas Absurdes wie kulturelle Aneignung tatsächlich gibt, die man bis zu Kartoffel Tomate und Naus verfolgen muss, dann müssen Schwarze Musiker alle Gitarren und Violinen weglegen, nichts vertonen, dass auf irischer Volksmusik basiert, Inder müssten sofort die Produktion von Medikamenten stoppen, Amerikaner den Bau von Automobilen einstellen, die Araber sich von den Erkenntnissen griechischer Wissenschaftler lossagen, niemand auf dieser Welt dorisches Säulen bauen und alle multikulturelle Konzepte in Ablage P entsorgt werden.
Dieses Dogma ist so absurd und dient einzig dazu, sich die, die es gebrauchen Macht aneignen.
Diese Welt kennt das Unrecht der Vergangenheit längst und sie weiß seit den ägyptischen Pharaonen, dass weder Kollektiv- noch Erbschuld Konzepte eines friedlichen Zusammenlebens sind.
Und gerne wiederhole ich es für Sie nochmals - es gibt keinen Diskurs. Dogmen sind nicht diskursfähig. Und die FFF-Dogmatiker haben nichts weiter als die Maske des „Guten“ fallen lassen um darunter das Antlitz antidemokratischer Menschenfeinde hervorblicken lassen.
@Thomas T. Nun ja, einen Diskurs führen wir ja gerade. Sie konnten Ihre Meinung einbringen und den 3F Einwand als hingebellte Dogmen bezeichnen und das Thema als Diskurs negieren. Auch wenn 3F hier dogmatisch auftritt so muss man doch konstatieren das es zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema kommt., sprich- einen Diskurs, der Sich aus meiner Sicht aber schnell wieder erledigen wird. Auch denke ich das Sie mich falsch einordnen ( "es gibt Menschen, denen sind IHRE Symbole völlig egal) oder mich missverstanden haben ( beim Bsp der Kartoffel,Tomate etc)
Die Menschheitsgeschichte ist meiner Meinung nach voller Aneignungen, einige davon wurden und werden sicherlich auch zb als Beleidigung oder Raub aufgefasst, den Lauf der Dinge verändert dies allerdings de facto nicht.Sollten wir trotzdem darüber reden könne? Ich denke ja. Ist das möglich mit jemandem der sich in seinen ideologischen Graben festgegraben hat? Wohl eher nicht. Und da sehe ich mein Problem mit ihrem Kommentar. Während 3F hier ein völlig irregeleitetes Thema angeht erkennen Sie die Gunst der Stunde um auf Bandbreite auszuteilen ("die FFF-Dogmatiker haben nichts weiter als die Maske des „Guten“ fallen lassen um darunter das Antlitz antidemokratischer Menschenfeinde hervorblicken lassen") - nun gut, ihre Meinung, aber auch nicht mehr.
"Und gerne wiederhole(n) Sie es für mich nocheinmal"... was ich zu glauben und akzeptieren habe - damit sind Sie nicht besser als die "hingebellte Dogmatik" und scheinen der von Ihnen erwählten Gegenseite verdächtig zu ähneln. Ganz im Sinne des Zeitgeists, wie mir scheint.
"Stellen Sie sich vor, es gibt Menschen.." die die von Ihnen aufgezählte(n) Geschichte(n) genau kennen und sie nicht fatalistisch hinnehmen - und nun?
Sollen wir also so weitermachen? Grabenkampf?
Es kann doch jeder seine beste(n) Idee(n) einbringen um unserer Welt- oder unsere Umgebung die wir dafür halten- liebenslebenswerter zu machen, einige davon werden sich als nicht gut oder falsch herausstellen. Damit muss man klar kommen
Danke Herr Schütz für diesen Kommentar.
Passen Sie aber auf! Andere wurden für solches Gedankengut schon zu Schwurblern, Neurechten aber mindestens Reaktionären erklärt.
Und nur so nebenbei- die Regenbogenfahne trugen schon die Kämpfer in den deutschen Bauernkriegen um 1524.
Das wäre doch ein wunderbarer Grund zur Diskussion um „kulturelle Aneignung“.