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Memmingen: Zeugnisse des Artensterbens: Mewo-Kunsthalle blickt auf die bedrohte Natur

Memmingen

Zeugnisse des Artensterbens: Mewo-Kunsthalle blickt auf die bedrohte Natur

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    Der deutsch-israelische Bildhauer Gil Shachar zeigt in der Mewo-Kunsthalle Memmingen "The Cast Whale Project": den lebensgroßen Abguss eines Buckelwals, der tot an der südafrikanischen Küste angeschwemmt wurde.
    Der deutsch-israelische Bildhauer Gil Shachar zeigt in der Mewo-Kunsthalle Memmingen "The Cast Whale Project": den lebensgroßen Abguss eines Buckelwals, der tot an der südafrikanischen Küste angeschwemmt wurde. Foto: Matthias Becker

    Klimawandel, vergiftete Nahrungsketten, Plastikteppiche im Meer, fortschreitende Umweltzerstörung: Das alles sorgt dafür, dass wir uns heute im größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurierzeit vor 65 Millionen Jahren befinden. Diese Bedrohung hat auch vor der Kunst nicht Halt gemacht. Drei aktuelle künstlerische Positionen zeigt dazu noch bis November die Konzeptschau „vom Aussterben bedroht“ in der Memminger Mewo-Kunsthalle. Zu sehen sind Werke von Maximilian Prüfer (Augsburg), Gil Shachar (Duisburg) und Alexandra Daisy Ginsberg (London).

    Ein Abguss eines Buckelwals liegt in der Memminger Mewo-Kunsthalle

    In der Kunst geht es heute nicht nur darum, Geld auszutauschen für Bilder oder Plastiken, die man sich dann irgendwo hinhängt oder -stellt, siehe „documenta fifteen“. Künstlerinnen und Künstler werfen mit ihren Werken Fragen auf, reagieren auf die komplizierten Probleme unserer Zeit. In Memmingen führen jetzt drei raumfüllende, groß gedachte Exponate im Erdgeschoß der Kunsthalle eindringlich vor Augen, in welchem Ausmaß wir Menschen Leben auf unserem Planeten vernichten. Alle auf hohem ästhetischen Niveau.

    Fast versperrt er den Zugang zu dieser Ausstellung, der lebensgroße Abguss eines 2018 in Südafrika angeschwemmten Buckelwals. Ob die in nur zwei Teile zerlegbare, fast 14 Meter lange Skulptur des deutsch-israelischen Bildhauers Gil Shachar tatsächlich durch die schmalen Türen im historischen Bau in den Lichthof geschafft werden kann – und dort genug Platz für sie ist – blieb übrigens spannend, bis sie die Spedition dort abgeladen hatte. Doch Kunsthallenleiter Axel Lapp wollte den Koloss unbedingt nach Memmingen holen. Mehrmals musste das Vorhaben dann wegen der Pandemie verschoben werden. Ausgestellt war Shachars „The Cast Whale Project“ zuletzt Anfang des Jahres als erstes Rotundenprojekt in der Staatlichen Graphischen Sammlung München. In Memmingen hat der Wal durch die engen räumlichen Verhältnisse sogar noch mehr Präsenz.

    "Nashorn" - ein Werk von Alexandra Daisy Ginsberg, jetzt in Memmingen zu sehen.
    "Nashorn" - ein Werk von Alexandra Daisy Ginsberg, jetzt in Memmingen zu sehen. Foto: Matthias Becker

    Künstler wie Gil Shachar befassen sich mit dem Artensterben

    Wie angeschwemmt liegt er dort, Maul und Augen bleiben verborgen – und strahlt eine erhabene Ruhe aus. Ob er an der Meeresverschmutzung gestorben ist? Man weiß es nicht. Der mit Schrunden und Haibissen übersäte Körper gibt keine Antwort darauf. Shachar hat sich an das Projekt gemacht, nachdem er von einem Wal geträumt hatte. Die kleine Skizze, die er am Morgen danach gefertigt hat, ist ebenso in der Ausstellung zu sehen, wie ein gut gemachter Film, der das Mammutprojekt dokumentiert.

    Zunächst verbrachte Shachar als Stipendiat ein halbes Jahr in Südafrika, suchte ein Team zusammen, mietete eine Halle, hortete das Material für sein Wal-Abguss-Projekt. Aber so ein Wal wird ja nicht alle Tage angeschwemmt, also wartete er in Duisburg, bis das passende „Objekt“ am Strand lag. Nur wenige Tage blieben Zeit, den Abdruck zu nehmen, bevor die Wellen den verendeten Riesen wieder Stück für Stück ins Meer hinauszogen, wo er schließlich verrottet ist.

    Maximilian Prüfer beteiligt sich an der Schau "vom Aussterben bedroht"

    Viel Aufwand hat auch Maximilian Prüfer für sein Projekt „A Gift From Him“ betrieben, in dem es um das Bienensterben geht. Und auch ihm half ein Stipendium dabei: Der 2017 erhaltene Kunstpreis des Bezirks Schwaben war ein Reisestipendium für seine Recherche zur manuellen Bestäubung von Obstbaumblüten in der Nähe der Stadt Chengdu in der chinesischen Provinz Sichuan. Dort haben Pestizide die Bienen vollständig ausgerottet. Arbeiter bestäuben die Obstblüten nun selbst mit Stöckchen, Federn und Pollen. Prüfer hat dort ein paar Monate mitgearbeitet. Zurück in Augsburg schuf der Konzeptkünstler dazu eine Serie bildhauerischer Werke. In der Mewo-Kunsthalle sind jetzt vor einer großformatigen Fotografie in zwei selbst gebauten Vitrinen Bestäubungsutensilien kunstvoll arrangiert. Prüfer, der dort vor ein paar Jahren schon einmal seine Tier- und Spurenbilder gezeigt hat, musste allerdings erst mit dem Weltmuseum Wien verhandeln, ob er die zwei Objekte nach Memmingen geben darf, weil dort demnächst eine größere Einzelausstellung von ihm läuft.

    "Bestäubung" - ein Werk von Maximilian Prüfer aus dem Jahr 2018. Es ist Teil der Ausstellung "vom Aussterben bedroht".
    "Bestäubung" - ein Werk von Maximilian Prüfer aus dem Jahr 2018. Es ist Teil der Ausstellung "vom Aussterben bedroht". Foto: Matthias Becker

    Eine komplett ausgelöschte Spezies digital erfahrbar macht Alexandra Daisy Ginsberg in ihrer Videoarbeit „The Substitute“. 2018 haben Wilderer das letzte, streng geschützte Nördliche Breitmaulnashorn erschossen – zu verlockend war die Aussicht, das pulverisierte Horn als Potenzmittel zu Geld zu machen. Ginsberg lässt den massigen Körper aus Pixelwürfeln wieder auferstehen. In einem gespenstisch leeren, weißen Raum baut sich das Urtier bis fast zur Originalgröße auf. Es schnauft, trabt ein wenig verloren durchs vorgegebene Karree – und blickt dem Betrachter schließlich direkt in die Augen – und ins Herz.

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