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Der Druck auf die Jungen

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Der Druck auf die Jungen

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    christian imminger
    christian imminger Foto: wagner

    Jung sein ist eine Herzensfrage, so schrieb einmal der Soziologe Wolfgang Pohrt anlässlich einer tödlichen Messerattacke in einer sächsischen Schule. Und prophezeite, dass es mit der Gewalt unter Heranwachsenden nicht aufhören würde, im Gegenteil.

    Zwei Jahre später, am 26. April 2002, erschoss der 19-jährige Robert Steinhäuser am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt zwölf Lehrer, eine Sekretärin, zwei Schüler, einen Polizisten und schließlich sich selbst. Es war das, was man einen „Amoklauf“ nennt, es war das, was man zuvor nur aus den Nachrichten kannte, von irgendwelchen Highschools in den USA, es war das erste Mal in Deutschland.

    Man fragte sich damals: Wie kann so etwas passieren? Und man antwortete: mit einer geringfügigen Verschärfung der Waffengesetze, einer Novelle des Jugendschutzgesetzes (in Bezug auf Computerspiele) und ein paar Sozialpädagogen mehr an Schulen. Es folgten: Emsdetten, Ansbach, Winnenden.

    Was also ist los mit den Jungen? Falsche Frage, Herz. Die richtige wäre wahrscheinlich eher: Was stellen wir mit unseren Jungen an?

    Es mag ja in Zeiten, in denen von „Anschlussverwendung“ gesprochen wird, wenn es um Menschen geht, ein wenig aus der Mode geraten sein, aber: Muss man in diesem Fall nicht auch die Frage nach unserer Gesellschaft stellen?

    In den Trauerreden damals, vor zehn Jahren, wurde immer wieder gemahnt, wir alle müssten achtsamer miteinander umgehen. Achtsamkeit, ein schönes, altes Wort. Wann haben Sie es das letzte Mal gehört? Nein, verändert hat sich seitdem nichts. Wenn die erste, auch medial vermittelte Aufregung sich legt, geht der Alltag eben weiter – und der ist in den vergangenen zehn Jahren allenfalls noch ein wenig ruppiger, kälter geworden.

    Damit kein Missverständnis aufkommt: Entschuldigen tut das natürlich nichts, aber Robert Steinhäuser stand nach seinem Verweis ohne Schulabschluss und somit auch ohne berufliche Aussichten da. Eine Folge von Erfurt war denn auch die (von Schülern durchgesetzte) Änderung des thüringischen Schulgesetzes, seitdem gibt es die Möglichkeit der mittleren Reife nach der zehnten Klasse. Immerhin. Aber der Druck auf Heranwachsende – teilweise bereits im Vorschulalter – hat seitdem nicht nachgelassen, im Gegenteil. Es ist der Druck, der auch von Eltern ausgeht, es ist der Druck, den auch diese verspüren, wenn sie schlicht Angst haben, dass es ihre Kinder später mal nicht schaffen werden. Leistung ist so gesehen das Einzige, was überhaupt Bestand hat, denn gleichzeitig lernen die Heranwachsenden heutzutage ja auch, dass ansonsten so ziemlich alles verhandelbar ist. Von der Ehe der Eltern bis hin zur politischen Position. Wenn aber alles verhandelbar ist, hat nichts mehr wert. Im schlimmsten Fall nicht einmal mehr ein Leben.

    Es gibt natürlich bei jeder Tat individuelle Faktoren, daneben spezifische Umwelteinflüsse. Aber das Problem lediglich darauf zu reduzieren, greift ebenso zu kurz wie die Klage über die angebliche Verwahrlosung der Jugend, über „Killerspiele“ und „Flatrate-Partys“ (wie sollte diese Jugend nach Maßgabe der ökonomischen Vernunft und in einer Geiz-ist-geil-Gesellschaft denn auch sonst trinken als billig und effizient?).

    „Jung sein ist eine Herzensfrage“, fürwahr. Doch das Zitat geht weiter: „Jung sein ist eine Herzensfrage, sagen unsere Alten. Von denen behauptet übrigens niemand, dass sie immer säuischer und bestialischer würden, wenn wieder mal ein Kinderpornoring aufgeflogen ist.“

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