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Leitartikel: Groko-Schauspiel hat Vertrauenskrise verschärft

Leitartikel

Groko-Schauspiel hat Vertrauenskrise verschärft

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    Die Statue von Willy Brandt in der SPD-Parteizentrale in Berlin.
    Die Statue von Willy Brandt in der SPD-Parteizentrale in Berlin. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Na also, es geht doch! Die Mitglieder der SPD schaufeln den Weg frei für eine neue Koalition mit der Union, Deutschland bekommt endlich wieder eine handlungsfähige Regierung. Fast ein halbes Jahr hat diese nervige Hängepartie gedauert – zum Verdruss vieler Bürger, zum Erstaunen ganz Europas, wo

    Das Hin und Her der vergangenen Monate – erst die gescheiterten „Jamaika“-Verhandlungen, dann der Eiertanz einer führungslosen SPD mitsamt dem ganzen Jobgeschacher – ist kein Ruhmesblatt in der Geschichte der parlamentarischen Demokratie. Die Bürger wissen, dass Koalitionsbildungen ein mühsames Geschäft sind. Doch dieses Gewürge hat die Geduld des Publikums überstrapaziert. Um das Vertrauen der Menschen in die Politik ist es seit langem schlecht bestellt. Das von parteipolitischen Winkelzügen, mangelnder Verantwortung fürs Ganze, Wortbruch und Postenjägerei handelnde Schauspiel hat diese Vertrauenskrise sicher weiter verschärft.

    Die Mitglieder der SPD hatten das letzte Wort darüber, ob die am Abgrund stehende Volkspartei ihre Rettung in der Opposition sucht oder noch einmal an der Seite Angela Merkels und der Union Politik konkret mitgestaltet. Das schweren Herzens erfolgte „Ja“ zur ungeliebten GroKo ist mit 66 Prozent klarer ausgefallen, als nach den turbulenten Debatten in der gespaltenen SPD zu erwarten war. Eine überwiegende Mehrheit hat den trügerischen Sirenenrufen der Nein-Kampagne widerstanden, wonach ein Wiederaufstieg nur mit „SPD pur“ aus der Opposition heraus möglich sei. Die Angst vor Neuwahlen und einem Absturz ins Bodenlose war noch größer als die Furcht, unter dem angeblichen Joch Merkels weiter marginalisiert zu werden. Das klare Votum zeigt überdies, dass die Basis pragmatischer denkt als die an den tatsächlichen Sorgen der Bürger häufig vorbeiredende Funktionärs- und Führungsschicht der SPD.

    SPD muss sich um Sorgen und Anliegen ihrer Stammklientel kümmern

    Nicht Merkel ist schuld am Elend der SPD, die seit der Wahl noch mal an Boden verloren hat. Auch der neue Koalitionsvertrag enthält, wie der alte, genug rote Duftmarken, um im Wettstreit mit einer im Herbst ihrer Karriere angelangten Kanzlerin bestehen und punkten zu können. Die SPD muss nur damit aufhören, die Last des Regierens zu beklagen und dem „linksliberalen Gedöns“ (Gabriel) mehr Aufmerksamkeit zu widmen als den Sorgen und Anliegen ihrer Stammklientel. Die Einwanderungspolitik ist ein Musterbeispiel für die von Ex-Kanzlerkandidat Steinbrück beklagte „Realitätsverweigerung“. Wieder Tritt fassen kann die SPD nur, wenn sie an Bodenhaftung gewinnt und das neue, für das Schulz-Desaster mitverantwortliche Führungstandem Nahles/Scholz das notorische Misstrauen weiter Teile der Partei gegenüber der Spitze überwindet.

    Angela Merkel hat jetzt, was sie wollte: Eine Koalition, die ihr das Weitermachen ohne die Risiken einer Neuwahl sichert. Und sie kann, so sie das vorhat, ihren Abgang in Ruhe vorbereiten. Die SPD wählt Merkel mit der Faust in der Tasche mit, wird sich aber öfter als bisher mit der Union anlegen. Insofern ist fraglich, ob dieses aus der Not geborene Bündnis bis 2021 hält. Die alte Sorge, Große Koalitionen schadeten der lebendigen Demokratie, ist unbegründet. Die Volksparteien haben ihre erdrückende Mehrheit verloren. Die Opposition ist stark genug, um der mit wenig neuen Ideen antretenden schwarz-roten Allianz ein bisschen Dampf machen zu können.

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