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Kommentar: Wer den Rechtsstaat infrage stellt, stellt das System infrage

Kommentar

Wer den Rechtsstaat infrage stellt, stellt das System infrage

Margit Hufnagel
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    Nicht nur der Fall Sami A. wirft ein schlechtes Licht auf die deutsche Politik.
    Nicht nur der Fall Sami A. wirft ein schlechtes Licht auf die deutsche Politik. Foto: Julian Stratenschulte, dpa (Symbolbild)

    Mit dem Gefühl ist das so eine Sache. Eine Diva ist das Gefühl, das dem einen „Hü“ zuruft und vom anderen „Hott“ verlangt. Launisch eben und allergisch gegen alle Regeln. Noch dazu mit einer multiplen Persönlichkeit ausgestattet: Wo beim einen die Schmetterlinge flattern, rumort es beim anderen gewaltig. Dass ausgerechnet das Gefühlige nun in der Politik zum Maßstab des eigenen Handelns erhoben wird, ist deshalb eine Tendenz, die Sorgen machen muss. Bauch über Kopf, Schlagzeile über Sachzwänge, Rechtsempfinden über Rechtsstaat, Mobilisierung statt Gewaltenteilung – eine gefährliche Taktik.

    Welchen Weg Länder gehen, in denen der Gradmesser nicht mehr der nüchterne Verstand ist, sondern sich die zittrige Nadel danach ausrichtet, welchen Teil der Bevölkerung man gerade in Wallung versetzen möchte, lässt sich ausreichend bestaunen. Deutschland tut gut daran, eine andere Abzweigung zu nehmen.

    Dass Sami A. zurückgeholt werden muss, ist das Versagend der Politik

    Es ist nicht alleine der Fall Sami A., der ein schräges Licht auf die deutsche Politik wirft. Doch es ist wahrscheinlich das grellste Beispiel. Normen werden ausgehebelt, Gerichte bewusst getäuscht, die Errungenschaften des Rechtsstaates schamlos ausgeblendet. Nicht nur Richter empören sich: Ihre Richtschnur muss das Gesetzbuch sein, nicht das Bauchgefühl eines Innenministers, der mit scharfem Vokabular und Abschiebe-Schwüren poltert. Wie billig! Dass ein Gefährder wie Sami A. nach Deutschland zurückgeholt werden muss, ist nicht das Versagen der Justiz, sondern der Politik. Wenn Horst Seehofer also die Rechtslage für fehlerhaft hält, ist es an ihm, sich Mehrheiten zu organisieren, Gesetze zu ändern, Abkommen mit anderen Ländern zu schließen. Alles andere ist Populismus in Reinkultur.

    Natürlich ist dieser Rechtsstaat bisweilen eine gnadenlose Zumutung. Bis an die Schmerzgrenze geht die Treue der Juristen zu den Paragrafen. Gut so. Man darf das gerne Leitkultur nennen. Gerade in Zeiten, in denen der Ton rauer wird, ist es wichtig, dass die Gewaltenteilung nicht in Gefahr gerät. Die strikte Trennung von Politik und Justiz ist unentbehrliches Wesensmerkmal unserer freiheitlichen Demokratie. Wer dies infrage stellt, stellt zugleich die Systemfrage.

    In den USA liefert sich Donald Trump regelmäßig Duelle mit der Justiz

    Polen hat uns vorgemacht, wie schnell aus Worten Taten werden können: Bei unseren Nachbarn werden Richter in den Zwangsruhestand verabschiedet, eine Justizreform soll den lästigen Widerstand in den Gerichtssälen einfangen. In den USA ist es Donald Trump, der sich regelmäßige Duelle mit der Justiz liefert und nun dem Supreme Court durch die Ernennung eines konservativen Richters für viele Jahre seinen Stempel aufdrückt. Trump, Putin, Erdogan, Orbán –sie alle haben das Jonglieren mit den Gefühlen und Stimmungen der Bevölkerung perfektioniert. Sie spielen Bevölkerungsgruppen brachial gegeneinander aus, sprengen alle Ketten der politischen Zivilisation mit ihrem Egoismus.

    Weit weg? Zumindest die CSU traktiert die Justiz auch hierzulande mit feinen, aber wohlgesetzten Nadelstichen: Seehofer will die „Spirale von ständigen Verfügungen und Gerichtsurteilen durchbrechen“, sein Kompagnon Dobrindt sieht in Anwälten eine „Anti-Abschiebe-Industrie“. So untergräbt man das Ansehen, so testet man Grenzen aus und überschreitet sie irgendwann. Und dann? Solange man selbst auf der Seite der schlagkräftigen Mehrheit steht, die ihr Gefühl zum Gesetzbuch erhebt, scheint die Taktik verführerisch. Was aber, wenn sich politische Vorzeichen umkehren? Der Rechtsstaat gibt Sicherheit. Wer ihn gefährdet, richtet größeren Schaden an, als es ein einzelner islamistischer Terrorhelfer jemals könnte.

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