Nazi-Vergangenheit von Paul Winter: Braucht die Realschule einen neuen Namen?
Musiker Paul Winter ist seit 1955 Ehrenbürger von Neuburg, die Realschule trägt seinen Namen. Neue Erkenntnisse über seine NS-Vergangenheit stellen das infrage.
Neue Recherchen des ehemaligen Kreisheimatpflegers Manfred Veit bringen zahlreiche Details über die Nazi-Vergangenheit des Neuburger Ehrenbürgers Paul Winter ans Licht. Diese werden vermutlich eine Neubewertung der Person Paul Winter in Neuburg und darüber hinaus nach sich ziehen. In gut zwei Jahren Recherche hat Veit umfangreich herausgearbeitet, welche Rolle der in Neuburg als Komponist und Musikwissenschaftler verehrte Winter in der Zeit des Nationalsozialismus gespielt hat. Eine größere, als bisher bekannt.
Paul Winter ist seit 1955 Ehrenbürger der Stadt. Untrennbar verbunden ist sein Name mit dem Schloßfest, denn Winter komponierte die Musik des Steckenreitertanzes. Nach Paul Winter ist in Neuburg die Realschule benannt, die 2021 am Kreuter Weg eine neue Heimat gefunden hat. Eine Straße im Schwalbanger trägt seinen Namen, an der Fassade des Modehauses Brenner am Schrannenplatz erinnert eine Gedenktafel an einen "der großen Söhne unserer Stadt". Stadt und Landkreis ehren Winter anlässlich runder Geburtstage mit einem Besuch an seinem Grab auf dem städtischen Friedhof. All das könnte jetzt, nachdem mehr über die Nazi-Vergangenheit des Neuburgers bekannt geworden ist, unter neuem Licht betrachtet werden müssen und auf dem Prüfstand stehen.
Inzwischen ist klar, dass der in der Wehrmacht zum Rang eines Generalleutnants aufgestiegene Winter Büroleiter und Stellvertreter einer Person war, die später bei den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt wurde. Winter war die rechte Hand des Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW). Dort war er bis zum Kriegsende in Berlin tätig. Über seinen Schreibtisch liefen von Adolf Hitler direkt angeordnete, verbrecherische Befehle wie etwa der Sühnebefehl vom 16. September 1941. Dieser bestimmte, dass für jeden deutschen Soldaten, der aus dem Hinterhalt getötet wurde, 100 Geiseln und für jeden Verwundeten 50 erschossen werden sollten. Keitel beurteilte Winter im Jahr 1944 als "unbeirrbaren Nationalsozialisten".
Ehrenbürger mit Nazi-Vergangenheit: Welche Konsequenzen zieht Neuburg?
Manfred Veit hat die Details der Militärkarriere Winters im Bundesarchiv Berlin und im Militärarchiv Freiburg zutage gefördert. Die 34 Seiten Dokumentation seiner Rechercheergebnisse übergab er vergangenen Herbst an Landrat Peter von der Grün und Oberbürgermeister Bernhard Gmehling. Beide haben jetzt erste Konsequenzen angekündigt. „Wir werden gemeinsam eine Anfrage an Kultusministerin Anna Stolz vorbereiten, in der wir um eine Neubewertung des Falles Winter bitten“, erklärt von der Grün auf Anfrage. Noch 2014 hatte das Ministerium anlässlich des 120. Geburtstages von Paul Winter (1894 bis 1970) erklärt, dass es keinerlei Anlass gebe, an der Integrität des berühmten Neuburgers zu zweifeln. Winter sei als „nicht NS-belastet einzustufen“, hieß es damals, obgleich das Ministerium hinterherschickte, dass die Fälle nie abschließend festzulegen seien, weil sich Bewertung und Kenntnisstand jederzeit ändern könnten.
Das ist nun eingetreten. Von der Grün prophezeit, „dass wir im Kreistag um eine Debatte nicht herumkommen werden.“ Der Landkreis fungiert als Sachaufwandsträger der Paul-Winter-Realschule. Derzeit sei er mit deren Direktor Christian Aschenbrenner, OB Gmehling, dem Bildungsreferenten des Kreistages, Werner Widuckel, sowie der gesamten Schulfamilie (Elternbeirat, Kollegium, Schülermitverwaltung) im Austausch. Gmehling seinerseits betont, dass er die Recherchen von Veit über den Jahreswechsel zunächst an Stadtarchivarin Monika Schierl zur Prüfung weitergegeben habe, bevor er konkrete Schritte einleiten wolle.
Stadt Neuburg will die Ehrenbürgerwürde Paul Winters prüfen
Da auch sie eine Aufarbeitung für angemessen erachtet, habe er im März das Thema für den Ältestenrat, dem Gremium der Bürgermeister und Fraktionsvorsitzenden, angemeldet. Dort werde es im Juni behandelt, danach soll der Stadtrat eingebunden werden. „Dies ist deshalb wichtig, weil nicht meine Bewertung ausschlaggebend ist, sondern der Stadtrat über das weitere Vorgehen befinden muss“, sagt Gmehling. Eine erste Maßnahme hat der Rathauschef bereits in die Tat umgesetzt. Die übliche Ehrung am Grab von Paul Winter anlässlich seines 130. Geburtstages am 29. Januar dieses Jahres wurde auf seine Anordnung hin vorläufig ausgesetzt.
Steht nun auch eine Aberkennung der Ehrenbürgerschaft oder eine Umbenennung der Straße im Schwalbanger zur Debatte? Das sieht Gmehling ebenfalls als Entscheidung des Stadtrats, nötig sei eine enge Abstimmung mit dem Landratsamt und mit den Vertretern des Verkehrsvereins als Veranstalter des Schloßfestes. Eine Debatte über den weiteren Umgang mit Paul Winter werde auf jeden Fall stattfinden, gab Gmehling zu verstehen. „Ich lege mich da nicht fest, sondern möchte, dass wir offen über das Thema sprechen. Die demokratische Mehrheit wird eine Entscheidung treffen.“
Manfred Veit und die ehemalige Stadtarchivarin Barbara Zeitelhack, die bereits 2016 in einer Fachzeitschrift „Kritische Anmerkungen zur Biographie Paul Winters“ veröffentlicht und dabei überwiegend seine musikalische Vita beleuchtet hatte, führen den einseitigen Blick des Komponisten und General vor allem auf ein kollektives „Nicht-wissen-wollen“ zurück. Veit: „Solche Sichtweisen prägen das Neuburger Bild von Paul Winter bis heute. Es wird zäh daran festgehalten.“ Immerhin habe die Paul-Winter-Realschule auf ihrer Homepage jede Erinnerung an ihren Namensgeber getilgt, hat der frühere Kreisheimatpfleger festgestellt. Die Schulgeschichte beginne dort erst mit dem Neubau 2014.
Sie haben nicht die Berechtigung zu kommentieren. Bitte beachten Sie, dass Sie als Einzelperson angemeldet sein müssen, um kommentieren zu können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an moderator@augsburger-allgemeine.de.
Um kommentieren zu können, gehen Sie bitte auf "Mein Konto" und ergänzen Sie in Ihren persönlichen Daten Vor- und Nachname.
Bitte melden Sie sich an, um mit zu diskutieren.
Ist schon interessant. Jahrzehntelang wurden "solche" Personen hofiert; wurden als Ehrenbürger kommentarlos gewürdigt und gefeiert; wurden als Namenspatron hergenommen. Dann wird in akribischer detailverliebter Arbeit jahrzehntelange Geschichte nach und über den 2. Weltkrieg durchforstet, das Leben und Wirken damaliger Personen nach heutigen (!) Gesichtspunkten bewertet und, schub-die-wub, wird plötzlich ein möglicher Kriegsverbrecher daraus. Und natürlich von vorausschauenden kommunalen-politischen Vertretern werden sofort und kommentarlos Anfragen und Ansinnen gestellt, ohne den Sachverhalt selbst einer Prüfung zu unterziehen. Schon bemerkenswert, wie Deutsche kommentarlos und bewertungslos mit ihrer Geschichte und ihren damaligen Personen umgehen.