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Foto: Alexander Kaya, Symbol
Foto: Alexander Kaya, Symbol

Gutachter im Prozess: Das Baby wird lebenslang geschädigt sein.

Nördlingen/Augsburg
03.10.2015

Säugling fast zu Tode geschüttelt - Mädchen lebenslang geschädigt

Von Klaus Utzni

Im Prozess um einen fast zu Tode geschüttelten Säugling stand die angeklagte Mutter offenbar nahe davor, ihre Aussage zu ändern. Und ein Gutachter erklärte die Folgen der Tat.

Es sind die Minuten in einem Prozess vor dem Schwurgericht, vor denen sich viele Angeklagte fürchten. Wenn der Gerichtsmediziner sein Gutachten erläutert, wenn er in schonungsloser Offenheit bis ins kleinste Detail Verletzungen des Opfers erklärt, wenn er drastisch die Folgen der Schädigungen anspricht, dann bleiben die wenigsten Angeklagten ohne Gefühlsregung. Vor allem dann, wenn das Opfer das eigene Kind ist. Am dritten Verhandlungstag im Prozess vor dem Augsburger Schwurgericht wegen versuchten Totschlags an einem zwei Monate alten Baby, wird die angeklagte Mutter, eine 25-jährige Syrerin, mit dem für sie wohl brutal klingenden forensischen Gutachten von Professor Randolph Penning, dem renommierten Münchner Rechtsmediziner, konfrontiert. Die Frau bricht in Tränen aus, verbirgt das Gesicht auf ihren Händen auf dem Tisch. „Ich kann das nicht hören“, lässt sie von einem Dolmetscher übersetzen.

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Mutter soll stundenlang keinen Arzt gerufen haben

Dem Sachverständigen, der einige schwierige Fragen sogar mit drei weiteren erfahrenen Medizinern, alles Kapazitäten auf ihrem Fachgebiet, besprochen hat, kommt in diesem Verfahren eine durchaus entscheidende Rolle zu. Denn das Gericht muss sich mit vier verschiedene Versionen des Tatgeschehens auseinandersetzen. Und nur der Gutachter kann sagen, welche Version anhand der Verletzungen und der Folgen die wahrscheinliche ist. Wer das kleine Mädchen an jenem 12. Januar in Nördlingen so schwer verletzt haben könnte, dass es ein Leben lang schwerst hirngeschädigt sein wird, dass es nie mehr ein normales Leben wird führen können.

Wie berichtet, soll die Mutter damals um die Mittagszeit das nicht gewollte Baby beinahe zu Tode geschüttelt und es außerdem mit dem Kopf gegen einen harten Gegenstand geschlagen haben. Und sie soll, so lautet die Anklage, es stundenlang unterlassen haben, einen Arzt zu rufen. Der wurde erst am Abend durch den Vater alarmiert, nachdem dieser – so die Ermittlungen – nach Hause gekommen war und den Säugling, der kaum mehr reagiert habe, gefunden hatte. Zu Beginn der polizeilichen Ermittlungen hatte die 25-Jährige erklärt, sie habe das Baby nur im so genannten Wiegegriff, also auf beiden Händen tragend, hin und her geschüttelt und es auch geschlagen. Im Prozess hatte sie am ersten Verhandlungstag alle Vorwürfe jedoch bestritten und ihren Ehemann belastet. Sie habe gesehen, wie ihr Mann das Kind misshandelt habe. Professor Penning sagte aber, ein derartiges Schütteln im Wiegegriff könne nicht die später im Augsburger Zentralklinikum diagnostizierten Schäden am Gehirn hervorgerufen haben.

Schütteln für einen Säugling dramatisch

Ein so genanntes Schütteltrauma entstehe, wenn man ein Baby mit beiden Händen hochhalte und es dann kräftig hin und her bewegt, bis zu dreimal pro Sekunde. Die Folgen des Schüttelns seien für den Säugling deshalb so dramatisch, weil sich die Gehirnmasse noch im Kopf hin und her bewegen kann. Bei dem zwei Monate alten Mädchen waren, wie der Gutachter ausführte, die feinen Rückenvenen im Kopf gerissen, was zu Einblutungen im Gehirn führte. Das Gehirn schwoll an, Teile des Hirngewebes wurden nicht mehr durchblutet, es starb ab. In den Augen kam es zu Netzhautblutungen. Ob das Kind je wird normal sehen können, ist offenbar unklar. Penning hat für das heute elf Monate alte Mädchen eine furchtbare Zukunftsprognose: „Die extrem schwere Schädigung wird bleiben.“ Die Folgen der „massiven Hirnrückbildung“ würden sich nun nach und nach mit dem Älterwerden des Kindes zeigen.

Die Angeklagte schilderte dem Gericht auch wie sie 2010 zuerst nach Holland flüchtete, dort ihren Mann, einen Afghanen, in einer Asylunterkunft kennenlernte, ihn 2012, nachdem sie in Deutschland lebte, nach islamischen Recht heiratete. Sie gebar zuerst ein Mädchen, wurde schon drei Monate nach dessen Geburt wieder schwanger. „Ich wollte das zweite Kind nicht, weil es uns wirtschaftlich schlecht ging. Aber dann haben wir uns doch entschlossen, dass ich es austrage.“ Ihre Ehe und die Geburt ihrer Kinder hielt sie bis zuletzt vor ihren Eltern geheim. Das zweite Kind habe viel geweint, sie habe großen Stress gehabt. „Ich weiß nicht, was mit mir los war. Ich habe mein Leben aus der Hand gegeben, ich konnte nicht mehr Gut und Böse unterscheiden“, sagte sie.

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Diese Worte waren für den Vorsitzenden des Schwurgerichts, Richter Christoph Wiesner, Anlass zu der Frage: „Haben Sie dem Kind etwas angetan, wollen Sie dazu etwas sagen?“ Für alle Beteiligten im Saal stand zu diesem Zeitpunkt ein mögliches Geständnis im Raum. Doch Anwalt Stephan Lucas, der die Angeklagte neben Florian Engert verteidigt, bat sogleich um eine Unterbrechung des Prozesses. Nachdem beide Anwälte lange mit der Frau in einer Zelle des Gerichtsgebäudes gesprochen hatten, machte diese bei der Fortsetzung der Verhandlung keine Angaben mehr.

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