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Popmusik: Phil Collins feiert 70. Geburtstag: Gutmensch und Besessener

Popmusik

Phil Collins feiert 70. Geburtstag: Gutmensch und Besessener

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    Phil Collins hat viele Phasen des Scheiterns erlebt. Dadurch kommt er uns allen sehr nahe – noch näher als durch viele seiner Songs.
    Phil Collins hat viele Phasen des Scheiterns erlebt. Dadurch kommt er uns allen sehr nahe – noch näher als durch viele seiner Songs. Foto: Rebecca Blackwell, dpa

    Michael Jackson, Paul McCartney – und Phil Collins. Alles korrekt in dieser Aufzählung? Wie bitte, Collins stört? Von wegen. Er hat sich diesen exponierten Platz neben Jackson und McCartney redlich verdient, auch wenn ihm viele diese Weltstar-Position a) nicht zugestehen, b) nicht zutrauen, c) nicht gönnen oder d) nicht zugestehen, nicht zutrauen und nicht gönnen.

    Phil Collins ist einer der drei erfolgreichsten Musiker überhaupt dank jeweils mehr als 150 Millionen verkauften Platten mit Band sowie als Solist. Sein Problem: Er verhält sich nicht wie ein Weltstar, er klingt nicht so, er sieht nicht danach aus. Eigentlich drei Eigenschaften, die für ihn sprechen, aber ständig nicht zu seinem Vorteil ausgelegt werden.

    30. November 1991, Hannover: Phil Collins mit seiner Band Genesis auf Deutschland-Tournee.
    30. November 1991, Hannover: Phil Collins mit seiner Band Genesis auf Deutschland-Tournee. Foto: Holger Hollemann, dpa

    Über die vielen Jahre seiner Karriere hat sich Philip David Charles Collins, am 30. Januar 1951 in London geboren, mit nur mäßigem Erfolg gegen sein schlechtes Image aufgelehnt und in seiner Autobiografie mit dem Titel „Da kommt noch was – Not dead yet“ von 2016 einen weiteren, letzten Versuch der Korrektur versucht. Wahrscheinlich haben zu viele Menschen unter seiner Omnipräsenz als singendes, schlagzeugspielendes, produzierendes, komponierendes, schauspielerndes, scheidungsfreudiges Multitalent gelitten; ganze Jahrzehnte prägte er schließlich mit seinen imposanten, massenkompatiblen Künsten.

    Phil Collins, Gutmensch und Genie

    Hits wie „I Can’t Dance“, „In The Air Tonight“, „Another Day In Paradise“, „Two Hearts“, die Musik zum „Disney-Film „Tarzan“, Darsteller in „Buster“, Steven Spielbergs „Hook“ oder „Miami Vice“, Gutmensch bei Bob Geldofs Band-Aid- und Live-Aid-Projekten, Synchronsprecher in „Dschungelbuch 2“, Autor der historischen Studie „Alamo“.

    Eine kleine hastige Auswahl, die reichen sollte, um noch einmal kurz in Erinnerung zu rufen, weshalb sich Collins trotz seines kommerziellen Erfolges und vieler Preise (sieben Grammys, zwei Golden Globes, ein Oscar) nicht nur vom genervten Schriftsteller Nick Hornby in dessen Roman „High Fidelity“ eine verbale Watschn einfing.

    Die vielen Kritiker, Zweifler und Nörgler verziehen ihm irgendwann aber die eine oder andere Kitschpathosballade und zollten Respekt für ein hart erarbeitetes Gesamtwerk, weil Phil Collins das verdammt teuer bezahlt hat: mit chaotischem Privatleben und massivem körperlichen Verschleiß. Collins ist ein Workaholic (den Begriff mag er selbst aber nicht), der seinen Job, seine Pflicht tut, der nicht Nein sagen kann, ein gutmütiger und fleißiger Besessener, der über die Jahre vernachlässigt, was nur geht: Familie, Freunde, Gesundheit.

    Die Schuld an seinen drei auch in Songs verarbeiteten gescheiterten Ehen sucht er, mit dem Abstand der Zeit, allein bei sich. Heute hat Collins fünf Kinder. Die 31-jährige Lily Collins tritt in seine Fußstapfen als Schauspielerin – aber doch maximal anders als ihr Vater. Sie ist die Hauptdarstellerin in der weltweit bejubelten und diskutierten Netflix-Comedy-Serie „Emily in Paris“, die im schrillen Modebusiness spielt.

    Collins' Vater war in der Vergangenheit verhaftet

    Das Leben ihres Vaters kreuzten alle Stars der jüngeren Musikgeschichte ganz selbstverständlich, aber der Rock‘n’Roll-Lifestyle war bei ihm partout nicht zu finden. Keine Yachten, keine Ferraris, keine Penthäuser. Nur Ex-Ehefrauen, ein ungewollter Luxus, und Alkohol, als die Leere unerträglich wurde. Sowieso ist er „kein auffälliger Typ“, auch keiner, der vor Selbstbewusstsein nur so strotzt; Unsicherheit und Schwarzseherei gelten ihm als treue Begleiter.

    Als Kind wurde er gehänselt und gepiesackt, Tristesse und Langeweile durchzogen die Tage. Der liebevollen, großzügigen Mutter stand der engstirnige, unnahbare, in der Vergangenheit verhaftete Vater gegenüber. Mit drei Jahren bekam er ein Plastikschlagzeug geschenkt, wodurch die erste Leidenschaft geweckt war, die zweite Leidenschaft der Schauspielerei erfuhr einen ersten Höhepunkt als 14-jähriger Kinderdarsteller im Musical „Oliver!“.

    Phil Collins verrichtet seine Arbeit mit sympathischer Bodenständigkeit

    Beim Debütfilm der Beatles hatte er einen kleinen Auftritt (und wurde rausgeschnitten), auf George Harrisons Solodebüt hatte er einen kleinen Auftritt (und wurde rausgeschnitten). Beharrlichkeit war seine Stärke, um den Traum vom Profimusiker wahr werden zu lassen, und so kam irgendwann das Vorspielen bei seiner späteren Band Genesis – und die Zusage. Der Stress ging los: Songs einspielen, Alben aufnehmen, Konzerte geben, ein monotoner Kreislauf, den der Schlagzeuger bald als Sänger absolvierte. Der Popstar war geboren.

    Hamburg 2008: Phil Collins bei der Deutschland-Premiere des von ihm mitgestalteten Musicals Tarzan.
    Hamburg 2008: Phil Collins bei der Deutschland-Premiere des von ihm mitgestalteten Musicals Tarzan. Foto: Ulrich Perrey, dpa

    Ein halbes Jahrhundert verrichtet nun Phil Collins, immerhin rechtmäßiger Träger eines Ehrendoktortitels, seine Arbeit im oberflächlichen Unterhaltungsgeschäft mit sympathischer Bodenständigkeit; an ihm zeigt sich exemplarisch, wie unspektakulär und unattraktiv das Popstardasein eigentlich sein kann. Bei Collins, längst auf Krücken angewiesen, ist das millionenschwere Leben als dramatisches Experiment zu verstehen, das erst im Scheitern seine wahre Größe offenbart. Dadurch kommt er uns allen sehr nahe – näher als durch viele seiner Songs.

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