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Porträt: Das ist der afghanische Ex-Minister, der jetzt Pizza in Leipzig ausfährt

Porträt

Das ist der afghanische Ex-Minister, der jetzt Pizza in Leipzig ausfährt

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    Syed Ahmad Shan Sadaat ist in Leipzig mit seinem Fahrrad unterwegs. Der ehemalige Minister für Kommunikation in Afghanistan arbeitet nun als Fahrradkurier für einen Lieferdienst in Leipzig.
    Syed Ahmad Shan Sadaat ist in Leipzig mit seinem Fahrrad unterwegs. Der ehemalige Minister für Kommunikation in Afghanistan arbeitet nun als Fahrradkurier für einen Lieferdienst in Leipzig. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Hendrik Schmidt

    Vom Tellerwäscher zum Millionär: Diese Geschichte ist nicht neu. Die eines ehemaligen Staatsministers, der nun Pizza und Burger ausliefert, anstatt Regierungsbefehle zu erteilen, hingegen schon. Es ist die Lebensgeschichte von Syed Ahmad Shah Sadaat. Einst Teil der afghanischen Regierung, arbeitet er heute in Leipzig als Kurierfahrer. Manches an seiner Geschichte lässt sich kaum überprüfen, doch bewegend ist sie allemal.

    Syed Sadaat soll in Oxford studiert haben

    Der 50-Jährige stammt aus Nangarhar, einer Provinz im Osten Afghanistans. Als Kind habe er den Einmarsch sowjetischer Truppen erlebt, erzählt er der Leipziger Volkszeitung. 1988 sei seine Familie vor dem Krieg nach Großbritannien geflohen. Seine Eltern, beide Lehrer, investieren ihr Geld in die Ausbildung ihrer acht Söhne. Er habe in Oxford Ingenieurwesen studiert, zwei Master in Telekommunikation gemacht und für verschiedene Firmen gearbeitet.

    Er verdient gut, hat einen teuren Wagen vor seinem Haus in Oxford stehen. Aber er ist einsam. Da kommt ein Anruf aus Afghanistan im Frühjahr 2016 genau richtig: Der afghanische Präsident Aschraf Ghani bietet dem Experten einen Posten im Kommunikationsministerium an. Sadaat will seinem Heimatland dienen, plant, jedes Dorf in den Gebirgen und abgelegenen Tälern Afghanistans ans Internet anzuschließen. Fotos zeigen ihn staatsmännisch im Anzug, der Blick meist ernst und stolz.

    Was dann passiert, lässt sich ebenfalls allein aus Sadaats Perspektive erzählen: Weil die Taliban im ganzen Land auf dem Vormarsch ist, zweigen offenbar bereits 2018 Regierungsmitglieder Gelder aus allen Ministerien ab. Sadaat sträubt sich dagegen und muss deshalb die Regierung verlassen. Seit Dezember 2020 ist er in Deutschland. Er lerne täglich, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern; für einen Job in seiner Branche reichen sie noch nicht aus. Und so wird aus dem Kommunikationsminister ein Fast-Food-Bote. Die feinen Anzüge und teuren Autos tauscht er gegen Funktionskleidung und ein gebrauchtes Mountainbike.

    Sadaat kann sich Rückkehr nach Afghanistan vorstellen

    Seine Geschichte geht um die Welt. Die mediale Präsenz beschert ihm neue Jobangebote. Sein jetziger Arbeitgeber wolle ihn für die Unternehmenskommunikation gewinnen. Auch aus Afghanistan erhält der Ex-Minister Nachrichten. „Manche fragen sich, warum ich bereit bin, Essen auszutragen“, sagt er. „Andere sind stolz auf mich, weil der Job der Beweis ist, dass ich nie ein korrupter Politiker war.“

    Warum Sadaat, der vor Krieg und Korruption in seinem Land geflohen ist, sich dafür ausspricht, dass der Westen die Taliban-Regierung anerkennt und Gespräche aufnimmt? „Wenn ihr sie nicht anerkennt, wird alles noch viel schlimmer“, sagt er dem Spiegel. Und was für den Westen gilt, scheint auch für ihn selbst zu gelten. Eine Rückkehr nach Afghanistan kann er sich jedenfalls – trotz allem – immer noch vorstellen.

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