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Unterdrückung: Lang erhoffte Worte: Papst entschuldigt sich bei indigenen Völkern

Unterdrückung

Lang erhoffte Worte: Papst entschuldigt sich bei indigenen Völkern

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    Vertreter jener Völker, die schon lange vor der Ankunft der Europäer in Kanada lebten, waren zu Gast auf dem Petersplatz, wo sie mit Gesängen und Trommeln zu hören waren.
    Vertreter jener Völker, die schon lange vor der Ankunft der Europäer in Kanada lebten, waren zu Gast auf dem Petersplatz, wo sie mit Gesängen und Trommeln zu hören waren. Foto: Andrew Medichini, dpa

    Erstmals hat sich ein Papst für das entsetzliche Leid entschuldigt, das indigenen Kindern in den kirchlich geführten Internatsschulen Kanadas, den sogenannten Residential Schools, widerfuhr. Bei einer Audienz mit Delegationen der drei indigenen Völker Kanadas sprach Papst Franziskus laut kanadischen Medien die lang erwarteten Worte: „Es tut mir sehr leid.“ Das Treffen mit dem Papst am Freitag im Vatikan war Höhepunkt einer als „historisch“ bezeichneten Woche, in der Vertreter der drei Ureinwohnervölker Kanadas mit dem Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche zusammenkamen.

    Im Zentrum der Gespräche stand das Verlangen der indigenen Völker, dass sich der Papst für die maßgebliche Mitwirkung der katholischen Kirche an der Unterdrückung und Kolonisierung der Ureinwohnervölker Kanadas entschuldigt. Nun aber sprach Papst Franziskus bei der Audienz, an der neben den Delegationen der First Nations, der Inuit und der Métis auch sieben katholische Bischöfe aus Kanada teilnahmen, diese wichtigen Worte.

    Er fühle „Trauer und Scham wegen der Rolle, die eine Anzahl von Katholiken, besonders solche mit Verantwortung in Erziehung, bei all den Dingen innehatten, die euch verwundeten, und für die Missbräuche, die ihr erlitten habt, und den Mangel an Respekt, der gegenüber eurer Identität, eurer Kultur und sogar euren spirituellen Werten“, sagte der Papst laut Berichten des kanadischen Rundfunks CBC und der kanadischen Tageszeitung Globe and Mail aus Rom.

    Entschuldigung kam noch vor Reise des Papstes nach Kanada

    „Für das beklagenswerte Verhalten dieser Mitglieder der katholischen Kirche bitte ich um Gottes Vergebung und ich möchte euch aus vollem Herzen sagen, es tut mir sehr leid, und zusammen mit meinen Brüdern, den kanadischen Bischöfen, erbitte ich eure Verzeihung“, wird der Papst zitiert.

    Eine formelle Entschuldigung war eigentlich bei diesem Treffen nicht erwartet worden – denn eine päpstliche Reise nach Kanada ist für dieses Jahr vorgesehen. Nach Angaben der Globe and Mail sollen diese Worte, die erste formale, öffentliche Entschuldigung des Papstes, eine spätere Entschuldigung auf kanadischem Boden nicht ausschließen. Der Papst selbst nannte Ende Juli als möglichen Zeitpunkt einer Reise nach Kanada.

    Auf dem Petersplatz waren in dieser Woche Trommeln und Gesang der indigenen Völker Kanadas zu hören. In drei Einzeltreffen kam Papst Franziskus mit den Delegationen der First Nations, der Inuit und der Métis zusammen. Delegationsmitglieder trugen traditionelle Kleidung und Kopfschmuck der indigenen Völker, der Papst erhielt von ihnen Geschenke, darunter eine weiße Feder.

    Für die indigenen Völker in Kanada ist eine formelle Entschuldigung des Papstes so wichtig, weil die katholische Kirche im System der Residential Schools eine bedeutende Rolle spielte. Kanada wurde durch die Entdeckung tausender unmarkierter und anonymer Gräber indigener Kinder rund um die früheren Internatsschulen zutiefst aufgewühlt.

    Papst Franziskus entschuldigte sich noch vor seinem geplanten Kanada-Besuch bei den indigenen Völkern.
    Papst Franziskus entschuldigte sich noch vor seinem geplanten Kanada-Besuch bei den indigenen Völkern. Foto: Andrew Medichini, AP/dpa

    Tausende Kinder sind in kanadischen Internaten ums Leben gekommen

    Die Schulen dienten dem Ziel, die Kinder in den von europäischen Einwanderern geprägten Staat einzugliedern. Die Kinder wurden ihren Familien entrissen und in die Schulen gebracht, die meist außerhalb ihrer Reservationen lagen, viele sehr weit entfernt, ihre Identität und Kultur wurde so beschädigt oder zerstört. Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission hatte 2015 einen tausende Seiten langen Bericht über die Residential Schools veröffentlicht und Berichte von Betroffenen festgehalten, die von Missbrauch berichteten, den sie in den Schulen erlitten.

    Die Kommission stellte überdies fest, dass mindestens 4100 Kinder durch Krankheiten, Vernachlässigung oder Unfälle in den Schulen ums Leben kamen. Viele wurden, oft ohne Mitteilung an ihre Familien, in unmarkierten Gräbern beigesetzt. Vermutlich liegt die Zahl der in Schulen gestorbenen Kinder deutlich höher. Mit Boden durchdringendem Radar und anderen modernen Technologien werden jetzt rund um die Missionsschulen Gräber entdeckt.

    Der kanadische Staat hatte bereits 2008 um Verzeihung gebeten. Zwar hatten sich auch schon einzelne Diözesen der katholischen Kirche Kanadas entschuldigt, vom Papst stand diese Entschuldigung im Namen der weltumspannenden Kirche jedoch noch aus. Franziskus’ Vorgänger Papst Benedikt hatte sein Bedauern und seinen Schmerz über Residential Schools ausgedrückt, sich aber nicht entschuldigt. Auch Premierminister Justin Trudeau hatte an den Papst appelliert, die ersehnte Entschuldigung auszusprechen.

    Eingerichtet wurden die Residential Schools zwar vom kanadischen Staat, sie wurden aber überwiegend von Kirchen, vor allem der katholischen Kirche und katholischen Ordensgemeinschaften, betrieben. Residential Schools waren das dominierende Schulsystem für die Kinder der Ureinwohnervölker. Sie bestanden immerhin bis in die Neunzigerjahre. Ihr Niedergang setzte aber bereits Ende der Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts ein, als erstmals die schrecklichen Folgen dieses Schulsystems immer deutlicher wurden.

    Weitere Bitte der indigenen Völker an den Papst

    Die indigenen Völker haben noch weitere Wünsche an den Papst: Sie hoffen, dass die katholische Kirche Dekrete aus dem 15. Jahrhundert widerruft, die die Grundlage für die sogenannte „Doktrin der Entdeckung“ ist.

    Die europäischen Monarchien hatten diese „Doctrine of Discovery“ als ein Rechtsinstrument entwickelt, das die Kolonialisierung von „nicht christlichem“ Land außerhalb Europas rechtfertigte. Die Doktrin wurde 1493 etabliert und sie bedeutete, dass Kanada, das als „leer“ und nicht bewohnt galt, nun als „entdeckt“ bezeichnet und dem Herrschaftsbereich des jeweiligen Monarchen zugeschlagen werden konnte.

    Es war die Vorstellung einer „Terra nullius“, und indigene Völker galten, weil sie nicht christlich waren, nicht als menschliche Bewohner des Gebiets. Doktrinen des Beherrschens und Eroberns bildeten die Grundlage für Landraub und Missachtung indigener Rechte und Kulturen.

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