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Corona-Proteste: In den Niederlanden zieht erneut der Mob durch die Straßen

Corona-Proteste

In den Niederlanden zieht erneut der Mob durch die Straßen

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    Die Scheiben des Fast-Food-Restaurants in Rotterdam wurden eingeworfen, ein Mitarbeiter versucht, die gröbsten Schäden zu beseitigen.
    Die Scheiben des Fast-Food-Restaurants in Rotterdam wurden eingeworfen, ein Mitarbeiter versucht, die gröbsten Schäden zu beseitigen. Foto: Peter Dejong, dpa

    Es ist eine Schneise der Verwüstung, die die Chaoten seit Tagen in den niederländischen Städten hinterlassen. Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Geleen, Haarlem – überall brennen seit dem Wochenende in den Abendstunden Autos, Polizeifahrzeuge und sogar Berge der von unseren Nachbarn so heiß geliebten Fahrräder. Im Bahnhof von Eindhoven und an vielen großen öffentlichen Plätzen wurden Geschäfte geplündert und zerstört. „Das hat nichts mit Protesten zu tun, sondern ist kriminelle Gewalt“, zeigte sich Ministerpräsident Mark Rutte zutiefst betroffen von der Eskalation, die nach der Verschärfung der Corona-Beschränkungen in dem Oranje-Staat mit gut 16 Millionen Einwohnern ausgebrochen war.

    Bisher konnte nicht einmal die deutlich verstärkte Polizeipräsenz den Mob auf der Straße aufhalten. Inzwischen wird offen über einen Einsatz des Militärs diskutiert. Ein Ende der Straßenschlachten war zunächst nicht in Sicht. „Wir schlittern in einen Bürgerkrieg“, befürchtete der Bürgermeister von Eindhoven, John Jorritsma. Die bisherige Bilanz: 184 Festnahmen, zehn verletzte Polizisten in Rotterdam, die Schäden gehen in die Millionen.

    Am zweiten Abend in Folge sind in mehreren Städten in den Niederlanden - hier in Rotterdam -  Unruhen ausgebrochen.
    Am zweiten Abend in Folge sind in mehreren Städten in den Niederlanden - hier in Rotterdam - Unruhen ausgebrochen. Foto: Peter Dejong, dpa

    Woher die gewalttätigen Demonstranten kommen, lässt sich nach Aussagen der Polizeibehörden nur schwer sagen. Von Corona-Leugnern, marodierenden Fußball-Hooligans, die sich bisher in den Stadien austoben konnten, aber auch Neonazis ist die Rede. In den sozialen Netzwerken wurde schon seit Wochen zu Gewalt aufgerufen und der Hass gegen die Politik sowie den mit ihnen verbundenen „Mainstream-Medien“ geschürt. Es geht vor allem um Jugendliche. Der bisher jüngste Randalierer, der festgenommen wurde, war 14 Jahre alt. Um was für Gruppen es genau geht, ist unklar, sagt der Kriminologe Henk Ferwerda im TV-Nachrichtenmagazin Nieuwsuur. „Das sind Virusleugner, solche mit politischer Agenda und solche, die einfach draufhauen wollen.“ Wut gegen die Regierung, Langeweile, Aussichtslosigkeit, Lust an Randale – das ist ein giftiger Cocktail.

    Rechte Politiker wie Wilders befeuern den Frust

    Doch zur ganzen Wahrheit gehört wohl auch, dass die Radikalisierung von rechten Politikern befeuert wurde, die zum Widerstand gegen die nächtliche Ausgangssperre aufriefen. Die Gewaltexzesse begannen am Samstagabend in einem kleinen Fischerdörfchen namens Urk, nordöstlich von Amsterdam, wo sogar ein Testzentrum niedergebrannt wurde. Aber es gab eine Vorstufe, die in den Niederlanden wie eine Kopie des Sturms auf das Kapitol in Washington gedeutet wird. In der Woche davor und im Angesicht der neuen Corona-Maßnahmen hatte der Rechtspopulist Geert Wilders im Parlament polemisch zugespitzt: „Wir werden gefangen genommen. Leute werden im eigenen Haus eingeschlossen. Wir verlieren unsere Freiheit.“

    Gemeinsam mit dem rechten „Forum für Demokratie“, das bei den vergangenen Parlamentswahlen immerhin 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, rief er zum Widerstand gegen die Ausgangssperre auf, die erste in den Niederlanden seit dem Zweiten Weltkrieg. Eine wichtige Rolle spielt aber auch der prominente Event-Unternehmer Michel Reijinga, der die ersten Demonstrationen angemeldet und nach deren Verbot die Kundgebungen in ein „gemeinsames Kaffeetrinken“ umbenannt hatte. Das wirkte: Unternehmer und Gastronomen, die gegen Lockdown-Maßnahmen protestierten, dazu Rechte, Ultras aus den Stadien sowie Verschwörungstheoretiker bildeten eine radikale und explosive Mischung.

    Sorge in Deutschland und Belgien wegen möglicher Krawalle

    Dass solche Botschaften wie von Wilders und Reijinga auf fruchtbaren Boden fielen, hat wohl auch mit der bevorstehenden Parlamentswahl im März zu tun – und mit Fehlern, die das Kabinett Rutte beim Kampf gegen die Pandemie machte. Man setzte zunächst auf den falschen Impfstoff und war dann für das Biontech-Vakzin mit seinen komplizierten Kühlanforderungen nicht vorbereitet. Die Umstellung dauerte, in den Niederlanden begannen die Impfungen mit fast zweiwöchiger Verspätung gegenüber den meisten Ländern der EU.

    Inzwischen grassiert die Angst, aus den Gewaltexzessen in den Niederlanden könnte ein Flächenbrand werden. Die belgischen Behörden registrierten entsprechende Aufrufe für die kommende Samstagnacht. Und auch die deutsche Bundespolizei prüft Hinweise, denen zufolge Radikale aus der Bundesrepublik an der Randale im Oranje-Staat beteiligt waren – oder eine Ausweitung nach Deutschland vorbereiten.

    Lesen Sie hierzu auch den Kommentar von Detlef Drewes: Das Feuer wurde erst geschürt

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