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Kommentar: Europa droht eine neue Flüchtlingswelle

Kommentar

Europa droht eine neue Flüchtlingswelle

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    Weiterhin suchen viele Menschen in Europa Schutz. Ihr Weg führt sie häufig über das Mittelmeer.
    Weiterhin suchen viele Menschen in Europa Schutz. Ihr Weg führt sie häufig über das Mittelmeer. Foto: Sima Diab, dpa

    Die Europäische Union versucht, die Kontrolle über die Masseneinwanderung zurückzugewinnen. Sonderlich weit ist sie damit noch nicht gekommen. Zwar ist es gelungen, die Zahl der Schutzsuchenden drastisch zu reduzieren. Aber die Krise ist nicht im Griff, sondern nur eingedämmt. Und noch immer hat das zerstrittene Europa keine Antwort auf die Frage, wie es die illegale Migration in geordnete Bahnen lenken will.

    Es ist bezeichnend für den Zustand der EU, dass selbst die akutesten Aufgaben unerledigt sind. Von den 160 000 Flüchtlingen, die von Griechenland und Italien aus auf ganz Europa verteilt werden sollten, sind gerade mal 6000 untergekommen. Der Plan scheitert am Widerstand zahlreicher Staaten, Muslime aufzunehmen und Deutschland, das die Hauptlast trägt, zur Seite zu springen. Auch die Sicherung der EU-Außengrenzen kommt nicht recht voran.

    Das Abkommen mit der Türkei hat die Lage entspannt

    Dass der Massenansturm gebremst werden konnte, ist in erster Linie dem entschlossenen Handeln einiger Balkanstaaten zu verdanken. Die „Balkanroute“ ist nicht völlig dicht. Aber die Grenzschließungen und das Abkommen mit der Türkei haben die Lage deutlich entspannt. Der Deal mit dem türkischen Autokraten Erdogan, der gegen gutes Geld Syrer und Iraker an der Überfahrt über die Ägäis hindert, mag moralisch fragwürdig sein. Doch er funktioniert – um den hohen Preis, dass die EU erpressbar wurde. Öffnet Erdogan wieder die Schleusen, womit er gerne droht, dann rollt auf Griechenland und die EU eine neue Flüchtlingswelle zu.

    So oder so bleibt der Migrationsdruck unverändert stark. In Afrika träumen Millionen Menschen von einer Zukunft in Europa. 2016 sind rund 180 000 Afrikaner über die „Mittelmeer-Route“ nach Italien gelangt; fast 5000 Menschen sind ertrunken. Käme es nun auch noch zu einem unkontrollierten Zustrom aus Afrika, würde die überforderte, vom Zerfall bedrohte EU vollends aus den Fugen geraten.

    Angela Merkel ist die treibende Kraft bei dem Versuch, diese Entwicklung frühzeitig zu unterbinden und nordafrikanische Staaten für Abkommen nach dem Muster des Türkei-Deals zu gewinnen. Dahinter steckt die alte Idee des früheren SPD-Ministers Schily, große Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen, dort über Asylansprüche zu entscheiden und „Kontingente“ für die legale Einreise zu bilden. Ob dies in einem Bürgerkriegsland wie Libyen unter menschenwürdigen Bedingungen gelingt, steht dahin.  Einen Versuch ist es wert.

    Grüne bezeichnen die Pläne der EU als unmenschlich

    Es geht ja auch darum, Schleuserbanden das Handwerk zu legen und zu verhindern, dass tausende, auf maroden Booten eingepferchte Menschen im Mittelmeer sterben. Europa muss seine Tore für Menschen in Not offen halten. Aber wenn die Einwanderung gesteuert werden soll, dann ist es durchaus sinnvoll, diesen Prozess schon in den Herkunfts- und Transitländern der Flüchtlinge zu beginnen – verbunden mit einer großen Kraftanstrengung, um die Lebensverhältnisse der Menschen in ihrer Heimat zu verbessern. Europa redet viel darüber, tut aber nicht genug.

    „Unmenschlich“ und „schmutzig“ seien die jüngsten Pläne der EU, urteilen Grüne, Linke und Flüchtlingsorganisationen von einem hohen moralischen Podest herab. Wer alle, die Einlass begehren, aufnehmen will, mag das so sehen. Verantwortliche, an Realitäten orientierte Politik hat – bei aller Hilfsbereitschaft – auch die (begrenzten) Integrationsmöglichkeiten und den inneren Frieden des aufnehmenden Landes im Blick. Und, so bitter dies klingt: Es ist eine Illusion zu glauben, dass eine Begrenzung der Zuwanderung ohne menschliche Härten und ohne die Kooperation mit Staaten außerhalb der EU möglich ist.

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