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Krieg in Syrien: Idlib wartet auf den Angriff

Krieg in Syrien

Idlib wartet auf den Angriff

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    Sie demonstrieren Entschlossenheit, Idlib zu verteidigen: Rebellen der als gemäßigt geltenden „Nationalen Befreiungsfront“ in einem militärischen Trainingslager im Norden der Region.
    Sie demonstrieren Entschlossenheit, Idlib zu verteidigen: Rebellen der als gemäßigt geltenden „Nationalen Befreiungsfront“ in einem militärischen Trainingslager im Norden der Region. Foto: Aaref Watad. afp

    Im syrischen Bürgerkrieg droht ein blutiger Höhepunkt. In der Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei haben Luftangriffe von russischen und syrischen Kampfflugzeugen begonnen, bei denen bereits mehr als ein Dutzend Menschen ums Leben gekommen sind. Die Bombardements sind Vorboten der lange erwarteten Offensive auf die Rebellen-Hochburg, in der hunderttausende Flüchtlinge leben. Ein Gipfeltreffen der Präsidenten von Russland, Iran und Türkei an diesem Freitag in Teheran könnte die letzte Chance sein, ein katastrophales Blutvergießen zu verhindern.

    Russland, Iran und die syrische Regierung wollen die Rebellen-Hochburg einnehmen und damit den Sieg von Präsident Baschar al-Assad im mehr als siebenjährigen Bürgerkrieg besiegeln. Offiziell gilt Idlib als „Deeskalationszone“, in der nicht gekämpft werden soll. Doch wie bei Angriffen in anderen Teilen Syriens begründen Damaskus, Russland und Teheran die geplante Offensive mit dem Hinweis auf „Terroristen“, die nicht geschont werden dürften. Für Assad und seine russischen und iranischen Verbündeten wäre die Einnahme von Idlib der Schlussakkord im Bürgerkrieg: Mithilfe seiner Partner hat Assad seit 2015 eine Rebellen-Gegend nach der anderen zurückerobert. Nur in Idlib harren die Aufständischen noch aus. Im Osten des Landes herrschen zwar die syrischen Kurden mit Unterstützung durch die USA, doch die Kurden zählen nicht zu den Regimegegnern: Sie verhandeln mit Assads Regierung über eine Autonomieregelung.

    In der Provinz leben drei Millionen Menschen

    In der Provinz Idlib leben drei Millionen Menschen, viele von ihnen sind Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Syriens, für die es keine andere Zuflucht innerhalb der Landesgrenzen mehr gibt. Zudem haben sich in Idlib einige zehntausend hartgesottene militante Assad-Gegner gesammelt. Zu ihnen gehört die Al-Kaida-nahe Miliz HTS, die weite Teile von Idlib beherrscht. Auch harren in der Gegend laut Medienberichten radikal-islamische Kämpfer aus Tschetschenien und anderen Teilen Russlands und der früheren Sowjetunion aus: Moskau will diese Extremisten an der Rückreise nach Russland hindern und in Idlib liquidieren.

    Während Assad und Putin in Idlib ihre Todfeinde besiegen wollen, kommt für die HTS-Kämpfer und andere Assad-Gegner eine Kapitulation nicht infrage: Diese Konfrontation erschwert die Bemühungen um eine Entschärfung der Lage. Die Türkei hat angeboten, die HTS und andere Milizen zu entwaffnen – doch es ist nicht klar, was anschließend mit den Kämpfern geschehen soll. Kurz vor seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem iranischen Staatschef Hassan Ruhani warnte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan deshalb, in Idlib drohe ein „Massaker“, das hunderttausende Syrer – und gewaltbereite Extremisten – über die Grenze in die Türkei treiben könnte. Die türkische Armee hat deshalb Panzerverbände in die Grenzregion geschickt. Militärisch hat Erdogan keine Möglichkeiten, auf Putin einzuwirken, doch völlig machtlos ist die Türkei nicht. Putin braucht die Türken als direkte Nachbarn der Syrer für seinen Plan, den Krieg möglichst bald zu beenden, Assad im Amt zu halten und Russland als Ordnungsmacht in Nahost zu etablieren.

    Es droht eine humanitäre Katastrophe

    Eine humanitäre Katastrophe in Idlib wäre ein Rückschlag für Putins Bemühungen, eine Formel für eine syrische Nachkriegsordnung zu finden und die Assad-Regierung auf internationaler Bühne wieder salonfähig zu machen, wie die Denkfabrik International Crisis Group jetzt anmerkte. Eine blutige Eroberung Idlibs könnte so zu einem Pyrrhus-Sieg für Russland werden – diesen Gedanken dürfte Erdogan bei seinem Gipfel mit Putin und Ruhani betonen.

    Wenn es überhaupt Wege gibt, den Großangriff auf Idlib zu verhindern, dann führen sie über diese politischen Überlegungen. Wie die erwartete Offensive so entschärft werden kann, dass sie Zivilisten schont, weiß derzeit allerdings niemand. Ein völliger Verzicht Assads und Putins auf einen Angriff in Idlib ist unwahrscheinlich. Viel Zeit für eine Lösung bleibt nicht: Assads Regierung will unmittelbar nach dem Syrien-Gipfel von Teheran mit der Offensive beginnen.

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