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Interview: Chef des Beamtenbundes: Es fehlen vor allem Richter und Polizisten

Interview

Chef des Beamtenbundes: Es fehlen vor allem Richter und Polizisten

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    Polizist bei Beamtenbund-Protest in Stuttgart.
    Polizist bei Beamtenbund-Protest in Stuttgart. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

    Am 9. November ist es 30 Jahre her, dass die Mauer gefallen ist. In Ostdeutschland beklagen viele Menschen nach wie vor, dass sie weniger als im Westen verdienen. Wie ist die Lage bei Beamten im Osten?

    Ulrich Silberbach: Es ist schwer, die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in Ostdeutschland zu halten. Viele wandern in den Westen ab, etwa wenn sie in benachbarten Bundesländern wie Hessen oder Niedersachsen mehr verdienen. Das blutet die Verwaltung immer mehr aus. Die ohnehin schon große Personalnot in ostdeutschen Kommunen wird verschärft. Gerade immer mehr junge Leute wandern ab. Angesichts der demografischen Entwicklung, also einer immer älter werdenden Gesellschaft, ist das besorgniserregend.

    Wie kann man dieser Entwicklung entgegenwirken?

    Silberbach: Indem wir den Menschen in Ostdeutschland wieder eine Perspektive bieten. Wir fordern daher die volle Angleichung der Gehälter im Öffentlichen Dienst an das Westniveau. Es geht nicht an, dass wir in den neuen Ländern auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung im Öffentlichen Dienst noch eine spürbare Lohnlücke gegenüber dem Westen haben. Das verstehen die Menschen nicht.

    Wie hoch sind hier die Gehaltsunterschiede zwischen Ost und West?

    Silberbach: Beschäftigte im Öffentlichen Dienst in Ostdeutschland verdienen – je nach Besoldungsgruppe – bis zu 400 Euro weniger im Monat als etwa ihre Kollegen in Bayern oder Hessen. Derart große Besoldungsunterschiede lassen sich mit der unterschiedlichen Wirtschaftskraft der Bundesländer nicht mehr erklären. Auch was Weihnachtsgeld oder Beförderungen betrifft, gibt es große Unterschiede zwischen West und Ost. Gerade das verstehen die ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen am wenigsten. Es darf nicht sein, dass es Beamte zweiter Klasse in Ostdeutschland gibt.

    Personalnot existiert aber auch im Öffentlichen Dienst in Westdeutschland. Wie kann die Attraktivität dieser Berufe erhöht werden?

    Ulrich Silberbach, der Bundesvorsitzende des dbb Beamtenbundes fordert attraktivere Arbeitsbedingungen für Angestellte im öffentlichen Dienst.
    Ulrich Silberbach, der Bundesvorsitzende des dbb Beamtenbundes fordert attraktivere Arbeitsbedingungen für Angestellte im öffentlichen Dienst. Foto: Uli Deck/Archiv (dpa)

    Silberbach: Die Attraktivität des Öffentlichen Dienstes hängt nicht allein vom Geld ab. Um mehr junge Leute zu gewinnen, müssen wir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, von Beruf und Pflege von Angehörigen, ja auch von Beruf und Freizeit verbessern. Wir brauchen also mehr flexible Arbeitszeitmodelle. Und wir müssen Menschen finden, die etwas für das Gemeinwohl tun wollen. Da gibt es ja viele. Es ist also nicht damit getan, Menschen mehr Geld hinterherzuwerfen. Aber mit dem ewigen Gelübde der Armut kommen wir im Öffentlichen Dienst auch nicht weiter.

    Wo ist der Personalmangel derzeit am größten?

    Silberbach: Bei IT-Fachkräften. Hier haben wir gegenüber der freien Wirtschaft, die solchen Kräften viel höhere Löhne zahlt, fast keine Chance. Wir müssen stärker an die gesellschaftliche Verantwortung solcher Computer-Spezialisten appellieren, nach dem Motto: Du arbeitest für das Gemeinwohl, für unser Land. Außerdem können wir den Beamtenstatus mit der damit verbundenen Sicherheit ins Feld führen. Das alles lockt heute junge Menschen leider nicht mehr in dem Maße an, selbst wenn man noch ins Feld führt, dass sie als Beamte ja auch noch über eine auskömmliche Pension verfügen.

    Wo fehlt außerdem Personal im Öffentlichen Dienst?

    Silberbach: In der Justizverwaltung ist der Personalmangel derzeit besonders akut. Hier fehlt überall Personal, gerade was Richter betrifft. Auch bei der Polizei fehlt in hohem Maße Personal, was fatal ist: Denn so bekommen Bürger den Eindruck, sie könnten sich nicht mehr sicher im öffentlichen Raum bewegen. Das führt zu Spannungen, Unruhe und Unzufriedenheit, ja stärkt letztlich Parteien wie die AfD.

    Welches Ausmaß hat der Personalmangel bei der Polizei?

    Silberbach: Nachdem hier jahrelang gespart und auf Kante genäht wurde, versucht man ja jetzt wieder mehr Stellen für Polizisten zu schaffen. Die müssen aber auch erst einmal ausgebildet werden, was in der Regel drei Jahre dauert. Doch für die Ausbildung fehlen vielerorts Kapazitäten. Es wird also dauern, bis es wieder mehr Polizisten gibt. Dramatisch ist der Personalmangel auch in der Steuerverwaltung. Uns geht es gar nicht darum, beim kleinen Mann mehr Steuergroschen rauszuholen, sondern Betriebe intensiver zu prüfen. Es kann doch nicht sein, dass Unternehmen im Schnitt nur alle hundert Jahre geprüft werden. Da lässt sich eine Menge mehr holen. Ein zusätzlicher Betriebsprüfer generiert im Jahr rund 700000 Euro Steuermehreinnahmen. Wenn man die Personalkosten abrechnet, bleibt ein Plus von 600000 Euro pro Stelle für den Staat.

    Warum werden Wirtschaftsbetriebe nach Ihrer Darstellung nicht so intensiv geprüft wie Angestellte?

    Silberbach: Das ist in manchen Bundesländern auch ein Instrument versteckter Wirtschaftsförderung. So hoffen Politiker, ihre Unternehmen zu stärken, indem sie nicht so intensiv geprüft werden. Experten beraten sogar Unternehmen dahingehend, in welchem Bundesland sie mit der geringsten Steuerquote rechnen können.

    Wie ist die Lage des Öffentlichen Dienstes in Bayern?

    Silberbach: Nach dunkleren Jahren hat die Politik schon seit geraumer Zeit erkannt, dass es keinen Sinn macht, die Verwaltung kaputt zu sparen. In Bayern hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein funktionierender Öffentlicher Dienst nicht nur gut für das Gemeinwohl, sondern auch die Wirtschaft ist. Deshalb hat der Öffentliche Dienst in Bayern einen sehr hohen Stellenwert, bis hinauf zu Ministerpräsident Markus Söder. Bayern ist somit die Blaupause auch für andere Bundesländer. In Bayern werden die Beschäftigten des Staates auch angemessener bezahlt. Und im Freistaat gibt es das modernste Dienstrecht. Das alles zeigt die Wertschätzung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen in dem Bundesland.

    Doch auch in Bayern gibt es die Tendenz, jungen Menschen nur befristete Stellen im Öffentlichen Dienst anzubieten. Das schreckt Berufsanfänger ab, in den Öffentlichen Dienst zu gehen.

    Silberbach: Ich zitiere hier unsere Jugendorganisation: Das ist das beste Verhütungsmittel, das man sich für den Öffentlichen Dienst ausdenken kann. Denn junge Menschen haben auf dieser Grundlage keine Planungssicherheit: Mit einer befristeten Beschäftigung bekommen sie keinen Kredit und nur schwer eine Wohnung. Angesichts des leer gefegten Arbeitsmarktes gehen junge Menschen dann eben in die freie Wirtschaft. Selbst wenn sie auch dort nur einen befristeten Arbeitsvertrag bekommen, erhalten sie immerhin mehr Geld als beim Staat.

    Wie groß ist der Überstundenberg im Öffentlichen Dienst?

    Silberbach: Die Beschäftigten schieben hunderttausende Überstunden vor sich her. Genauere Zahlen haben wir nicht. Durch die Zuwanderung ist die Arbeitsbelastung noch einmal deutlich gestiegen. Die hohe Zahl an Überstunden führt zum Beispiel bei der Polizei und Justiz zu einer Überbelastung der Mitarbeiter, die wiederum den Krankenstand erhöht. Es besteht hier dringend Handlungsbedarf.

    Zur Person: Ulrich Silberbach, 58, ist seit 2017 Vorsitzender der Organisation dbb Beamtenbund und Tarifunion. Der gebürtige Kölner ist CDU-Mitglied. Mit über 1,3 Millionen Mitgliedern vertritt der Verband Beamte und Angestellte im Öffentlichen Dienst.

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