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Kommentar: Joe Kaeser hat seine moralische Messlatte zu hoch gelegt

Kommentar

Joe Kaeser hat seine moralische Messlatte zu hoch gelegt

Stefan Stahl
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    Siemens-Chef Joe Kaeser ist sich seiner sozialen und ökologischen Verantwortung als Konzernchef von Siemens bewusst. Doch sein Unternehmen ist noch nicht so weit, wie er es sich vorstellt.
    Siemens-Chef Joe Kaeser ist sich seiner sozialen und ökologischen Verantwortung als Konzernchef von Siemens bewusst. Doch sein Unternehmen ist noch nicht so weit, wie er es sich vorstellt. Foto: Sebastian Kahnert, dpa

    Das ist tragisch: Da bekennt sich ein Konzern-Chef wie Joe Kaeser endlich einmal zu seiner sozialen Verantwortung. Er macht sich Sorgen um die Verlierer der Digitalisierung und grätscht twitternd dazwischen, wenn Ausländerhass und neuer Antisemitismus um sich greifen. Ein derart reflektierter und mutiger Mann, der riskiert, dass er und seine Familie bedroht werden, müsste der Traum aller vernünftigen Menschen sein. Denn so einen aufgeklärten Siemens-Chef gab es noch nie.

    Moralischer Anspruch: Ein Konzernchef wie Joe Kaeser ist ein absolutes Vorbild

    Der Bayer hat sogar die Herausforderungen des Umweltschutzes früh erkannt und ist vorgeprescht: Es war Kaeser, der früher als andere Industriekonzerne angekündigt hat, Siemens werde 2030 klimaneutral sein. Dabei setzt er immer mehr auf Windkraft, selbst wenn die Form sauberer Energie von CSU-Landsmännern torpediert wird.

    Einem Mann wie Kaeser müsste man eigentlich Kränze flechten und ihn anderen Konzernlenkern, die nur Rendite im Blick haben, als Vorbild empfehlen. Der Siemens-Chef hat gar den Graben zwischen Politik und Wirtschaft aufgebrochen, indem er Debatten anstieß. Der Manager nahm die Philosophie des Konzern-Gründers Werner von Siemens „Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht“ wirklich ernst.

    Dabei – und das wird ebenso immer eingefordert – sollen sich Manager Kritikern stellen. Kaeser tat das selbst, wenn er wie in der Energiesparte Jobs abbauen musste.

    Klima-Aktivisten sind gewiefte Taktiker - ihre Waffe ist das Smartphone

    Letztlich hat der 62-Jährige die moralische Messlatte für den Boss einer im Kern vor allem auf Gewinn ausgerichteten Aktiengesellschaft maximal hoch gelegt. Das ist eine problematische Strategie, schließlich führt sie auch zu einer größtmöglichen Fallhöhe. Die Falle hat sich Kaeser selbst gestellt. Sie besteht darin, dass im Zeitalter sozialer Medien selbst kleine Schwachstellen in Windeseile groß aufgeblasen werden können, sodass der Eindruck entsteht, Siemens sei für das ganze Klima-Elend der Welt verantwortlich.

    Da spielt es keine Rolle mehr, dass es nur um einen Auftrag von 18 Millionen Euro geht. Da ist es egal, dass Siemens nur ein Unter-Unterlieferant für eine natürlich indiskutable Kohlemine in Australien ist. Da interessiert es kaum noch, dass sich mit moderner Siemens-Technik in hohem Maße der Ausstoß des Klimakillers CO2 reduzieren lässt.

    Die jungen Klimaaktivisten blenden das vorsätzlich aus. Sie sind gewiefte Taktiker, die cleverer vorgehen, als es noch ihren Eltern in Wackersdorf oder Gorleben im Kampf gegen die Kernenergie vergönnt war. Die Waffe der Fridays ist das Smartphone. Sie sind vernetzt, gehen konzertiert vor und identifizieren die kommunikativ optimal auszuschlachtenden Achillesfersen. Hätten ihre Mütter und Väter Smartphones und soziale Medien gehabt, Deutschland wäre schneller aus der Atomkraft ausgestiegen.

    Joe Kaeser will Aktivisten einbinden - doch die Klimaschützer nutzen kleine Wunden aus

    All das hat Kaeser altersbedingt unterschätzt. Als ehrliche Haut wollte er eine Aktivistin wie Luisa Neubauer sogar einbinden. Er hat das ernst gemeint. Es war kein PR-Gag. Dennoch wird ihm die Aktion zum Verhängnis. Denn in der Debatte kam heraus, wie stark die Siemens-Energiesparte nach wie vor auf Kohle setzt. Der Konzern ist noch nicht so grün, wie es sein Vorstandsvorsitzender behauptet.

    Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Aus der Falle kommt Kaeser nicht mehr heraus. Selbst wenn er den Kohle-Auftrag in Australien doch noch sausen lassen würde, fänden die Klimaschützer weitere Kohle-Schwachstellen bei Siemens. Sie würden Kaeser weiter vor sich hertreiben. Etwas mehr Ruhe kehrt wohl erst dann wieder bei Siemens ein, wenn der Manager abtritt und sein Nachfolger die moralische Messlatte Stück für Stück wieder etwas tiefer legt.

    Lesen Sie dazu auch: Klimaaktivisten protestieren gegen Siemens-Chef Kaeser

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