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Justiz: Urteil gegen Nawalny: Russland verbietet quasi die Opposition

Justiz

Urteil gegen Nawalny: Russland verbietet quasi die Opposition

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    Er will sich auch von diesem Urteil nicht einschüchtern lassen: Alexej Nawalny.
    Er will sich auch von diesem Urteil nicht einschüchtern lassen: Alexej Nawalny. Foto: Moscow City Court Press Office, dpa

    Es war eine Marathonsitzung hinter verschlossenen Türen. Zwölf Stunden verhandelte das Moskauer Stadtgericht etwas, was längst entschieden war: Alle Organisationen des inhaftierten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny sind als „extremistisch“ einzustufen. Das Urteil bedeutet das Aus für deren Arbeit – und nicht nur das. Es ist eine Zäsur im ohnehin politisch schwierigen Leben des Landes. „Wenn Korruption die Grundlage der Staatsmacht ist, sind Korruptionsbekämpfer Extremisten“, ließ Nawalny über seinen Instagram-Account nach dem Gerichtsurteil mitteilen. Das Team um den 45-Jährigen, der seine zweieinhalbjährige Strafe in einem der härtesten Strafkolonien des Landes absitzt, gibt sich optimistisch. „Wir klären das, ändern was, entwickeln uns weiter, werden uns anpassen. Von unseren Zielen und Ideen rücken wir nicht ab“, heißt es bei Nawalny. Der Entscheid aber erschwert das Leben seiner Mitarbeiter und auch seiner Anhänger enorm.

    Der Prozess glich einer Farce. Es waren zwölf Stunden, in denen Anwälte leere Seiten mit Seitenzahlen durchblätterten, in denen die Anträge der Angeklagten allesamt abgewiesen wurden, in denen Zeugen nicht zugelassen wurden, obwohl ihre Namen ständig in den 22 Bändern des als „geheim“ eingestuften Falles erschienen. Die Sitzung klärte nicht, welchen Gegenstand sie eigentlich verhandelt, aber sie zeigte – und nur dafür war der Prozess letztlich angesetzt –, dass das System Putin keine Opponenten duldet. Nirgends. Nicht in sich organisierenden Gruppen quer durchs Land, nicht auf der Straße und schon gar nicht bei Wahlen, egal, welcher Art. Selbst die demokratische Fassade, die der Kreml lange Zeit pflegte, ist nun dahin.

    Selbst Spender können in der Strafkolonie landen

    Nawalnys Antikorruptionsstiftung (FBK), seine Stiftung zum Schutz der Bürgerrechte, die als Ersatz für FBK gegründet worden war, sowie seine „Stäbe“ genannten Regionalvertretungen müssen nun überall als „extremistisch“ gekennzeichnet werden. Medien, die das nicht tun, drohen hohe Geldbußen, Internetnutzer, die nicht darauf verweisen, machen sich ebenfalls strafbar. Selbst Spender könnten bis zu acht Jahre in die Strafkolonie kommen. Wer weiter für eine der betroffenen Organisationen arbeitet, riskiert den Anwälten zufolge nun bis zu sechs Jahre Freiheitsentzug. Verboten sind außerdem die Organisation von Kundgebungen sowie das Ausführen von Finanztransaktionen. Und: Im Zusammenhang mit einem neu erlassenen Gesetz dürfen Nawalnys Unterstützer bei Wahlen künftig nicht mehr antreten – also auch nicht bei der Dumawahl im September. Es ist ein Minenfeld der Unsicherheit. Hunderttausende Russen sind durch das Urteil mit Terroristen wie jener der Miliz „Islamischer Staat“ gleichgesetzt. „Sie haben extremistische Tätigkeiten ausgeführt“, sagte der Staatsanwalt nach der Verhandlung. Worin der „Extremismus“ in den Tätigkeiten von FBK und Nawalnys „Stäben“ besteht, erklärte er nicht. Die Anwälte wollen in Berufung gehen.

    Die Arbeit hatten all diese Organisationen bereits vor Wochen einstellen müssen. Nawalnys Team hatte diese auf Druck der Behörden aufgelöst, um das Leben der Mitarbeiter nicht weiter zu gefährden. Das Gerichtsurteil von Mittwochnacht war nur noch eine Formalie.

    Angriffe auf die Opposition werden immer schärfer

    Seit Nawalny im Januar nach seiner Genesung nach dem Anschlag mit dem verbotenen Nervengift Nowitschok nach Moskau zurückgekehrt ist, rollt eine Welle der Repressionen durchs Land. Angst und Apathie bestimmen das Leben der Menschen mehr denn je, weil ihnen jedes Ventil zur Unmutsäußerung genommen wird. Das Regime geht mit immer plumperen Mitteln gegen die Opposition vor. Es sieht sich im Belagerungszustand und hat die Opposition zur fünften Kolonne des Feindes erklärt, die es zu vernichten gilt. Deshalb tauchen in der Gesetzgebung Begriffe wie „ausländischer Agent“ oder „unerwünschte Organisation“ auf, deshalb nehmen Verfahren wegen Landesverrat und Extremismus zu. Sich gegen die offizielle Linie aufzulehnen und die Arbeit der sogenannten „Macht“ offen infrage zu stellen, wird zur Bedrohung des Lebens. Viele Oppositionelle sind in Haft oder haben das Land verlassen. Aus Putin-Gegnern werden nach und nach Dissidenten.

    Lesen Sie hierzu auch: Alexander Graf Lambsdorff: "Chinas Vision ist Dominanz"

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