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Kommentar: Deutschland hat ein Führungsproblem - mitten in der Krise

Kommentar

Deutschland hat ein Führungsproblem - mitten in der Krise

Michael Stifter
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    Wer kümmert sich? Kanzlerin Angela Merkel und ihr wahrscheinlicher Nachfolger Olaf Scholz.
    Wer kümmert sich? Kanzlerin Angela Merkel und ihr wahrscheinlicher Nachfolger Olaf Scholz. Foto: Markus Schreiber, dpa

    Was macht eigentlich so eine geschäftsführende Regierung? Wer geglaubt hatte, dass sie die Geschäfte führt, bis die neue Regierung steht, wird gerade eines Schlechteren belehrt. Politikerinnen und Politiker von CDU und CSU klingen in diesen Tagen wie abservierte Ex-Geliebte, die nur noch eine Botschaft an die Bevölkerung haben: „Ihr wolltet ja unbedingt diese Ampel haben, jetzt werdet Ihr schon sehen, was Ihr davon habt!“ Das ist nicht nur unwürdig, sondern auch Unsinn.

    Olaf Scholz muss seine Kanzlertauglichkeit jetzt schon beweisen

    Erstens liegen große Teile der Corona-Politik in den Händen der Länder, in denen es gar keinen Machtwechsel gibt. Zweitens kann eine Koalition, von der noch nicht einmal sicher ist, ob sie überhaupt zustande kommt, nicht mal eben durchregieren. Und doch täuscht sich Olaf Scholz, wenn er glaubt, seine Kanzlertauglichkeit erst dann unter Beweis stellen zu müssen, wenn er den Amtseid abgelegt hat.

    Abgesehen davon, dass seine SPD ja auch bisher schon mitregiert, haben wir keine Zeit, so lange zu warten. Die Intensivstationen sind voll, das Pflegepersonal ausgebrannt. Die Booster-Impfungen kommen zu langsam voran. Das Virus nimmt keine Rücksicht darauf, dass alles gerade ein bisschen kompliziert ist in Berlin.

    Inmitten der vierten Welle kann sich Deutschland ein solches Führungsproblem nicht leisten. Wer Kanzler werden will, muss jetzt vorangehen, klar kommunizieren, Mehrheiten für einen entschlossenen Kampf gegen die Pandemie organisieren. Angela Merkel hat das phasenweise geschafft. Nun gehört es zur neuen Jobbeschreibung von Olaf Scholz.

    CDU und CSU schaden sich selbst, wenn sie jetzt beleidigt auf andere zeigen

    An diesem Donnerstag hat er die Chance, mit seiner Rede im Bundestag in die Offensive zu kommen. Es geht um Menschenleben. Das sollte sich auch die Union bewusst machen. Anstatt beleidigt auf andere zu zeigen, können CDU und CSU beweisen, dass ihnen der Schutz der Bürgerinnen und Bürger wichtiger ist als parteipolitisches Kalkül. Nicht nur, weil ihre Kanzlerin, ihre Minister und Ministerpräsidenten noch immer an entscheidenden Hebeln sitzen, sondern auch aus Selbsterhaltungstrieb.

    Die Union hat immer einen Regierungsanspruch für sich reklamiert. Wenn Sie diesen nun aufgibt und anderen die Verantwortung zuschiebt, stellt sie damit eher sich selbst bloß als die nächste Koalition. Die Wählerinnen und Wähler werden sich eines Tages daran erinnern, ob sich jemand mit kleingeistigem Gezänk aufgehalten oder alles dafür getan hat, die Krise zu überwinden.

    Ohnehin ist es hanebüchen, den Eindruck zu erwecken, die Ampel solle mal schön den Schlamassel ausbaden. Wenn die vierte Welle Deutschland nun so hart trifft, liegt das doch vor allem daran, dass die jetzt Regierenden die Bedrohung eklatant unterschätzt haben. Auch nach bald zwei Jahren Pandemie fahren wir immer noch auf Sicht. Allein der Vorsatz, einen Lockdown zu vermeiden, ist eben kein Konzept.

    Es wäre schon ein Fortschritt, zumindest keine neuen Fehler zu machen

    Noch immer hofft man darauf, Impfskeptiker mit Druck umstimmen zu können, wenn es schon mit Argumenten nicht klappt. Bisher ohne echten Erfolg. Eine Kampagne für die Auffrischung oder die Impfung von Jugendlichen wurde verschlafen. Die heruntergefahrene Infrastruktur der Impfzentren muss erst mühsam wieder aktiviert werden.

    Kostenlose Tests hat man ohne Not gestrichen, obwohl klar war, dass weniger Tests auch weniger Sicherheit bedeuten. Maßnahmen wie die 3G-Plus-Regel (geimpft, genesen oder mit einem zuverlässigen PCR-Test abgesichert) hätten längst ergriffen werden können.

    Das alles sind Versäumnisse der Vergangenheit. Um es in Zukunft besser zu machen, sollten sich die Regierenden ihrer Verantwortung stellen – die neuen, aber eben auch die alten.

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