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Kommentar: Macht Joachim Gauck wirklich Nazis salonfähig?

Kommentar

Macht Joachim Gauck wirklich Nazis salonfähig?

Michael Stifter
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    Joachim Gauck war von 2012 bis 2017 Bundespräsident.
    Joachim Gauck war von 2012 bis 2017 Bundespräsident. Foto: dpa

    „Ey Gauck, mit Nazis regiert man nicht.“ Besser als mit diesem kurzen Satz kann man kaum beschreiben, wie es um die Debattenkultur in unserem Land bestellt ist. Geschrieben hat ihn nicht irgendein anonymer Internet-Troll, sondern Tiemo Wölken, Europa-Abgeordneter der SPD. Es ist seine erste Reaktion via Twitter auf ein Interview, das Altbundespräsident Joachim

    Im Qualm der Empörung bleiben nur knallige Überschriften

    Fangen wir also mit der wichtigsten Frage an: Was hat Gauck wirklich gemeint? Selbstverständlich nicht, dass irgendjemand mit Nazis regieren soll. „Wir müssen zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal unterscheiden“, stellt der 79-Jährige klar. Das kann nun nur missverstehen, wer es missverstehen will. Und genau da liegt das Problem. Es gibt heute in allen Lagern zu viele Leute, die nur darauf lauern, Zitate des politischen Gegners für ihre Zwecke zu missbrauchen. Wie einen Brandsatz werfen sie Unterstellungen in die sozialen Netzwerke und binnen Minuten brennt es lichterloh. Im undurchsichtigen Qualm öffentlicher Empörung macht sich dann kaum noch jemand die Mühe, mehr zu konsumieren als knallige Überschriften.

    Im aktuellen Fall von Joachim Gauck bedeutet das: Auf der einen Seite triumphieren AfD-Leute, die so tun, als habe das frühere Staatsoberhaupt ihre demokratieverachtende Vorstellung von Politik von jedem Verdacht freigesprochen. Auf der anderen Seite zetern Leute wie Tiemo Wölken, Gauck mache Nazis salonfähig. Beides ist Quatsch.

    Neben ein paar schwurbeligen Sätzen wie „Toleranz enthält das Gebot zur Intoleranz gegenüber Intoleranten“ hat Gauck in dem Interview viele kluge Dinge gesagt. Tatsächlich ist doch die Hilflosigkeit der etablierten Parteien im Umgang mit der AfD das Ergebnis der eingangs erwähnten kaputten Diskussionskultur. Es muss möglich sein, sich mit den Themen der Populisten auseinanderzusetzen, ohne unter Verdacht zu geraten, am rechten Rand zu fischen. „Wir verlieren uns selbst, wenn wir so tun, als wäre es zu gefährlich, in großer Offenheit Probleme zu debattieren, weil das Volk sofort wieder umkippen könnte und eine Diktatur wählen würde“, warnt Gauck – und hat recht.

    Gauck übernimmt die Märtyrer-Erzählung der AfD

    Solange die AfD die Verschwörungstheorie verbreiten kann, man dürfe bestimmte Dinge in Deutschland nicht mehr sagen, wird sie Erfolg haben. Und bevor das jetzt auch jemand bewusst missversteht: Sich mit diesem Erfolg zu beschäftigen, bedeutet nicht, die AfD zu imitieren. Es bedeutet, dass man die Probleme, von denen rechte Hetzer leben, nicht totschweigen darf, weil man sie nicht totschweigen kann.

    Und doch macht Gauck einen entscheidenden Fehler, indem er teilweise die Märtyrer-Erzählung der Rechtspopulisten übernimmt. Wenn er beispielsweise appelliert, „nicht jeden, der schwer konservativ ist, für eine Gefahr für die Demokratie zu halten und aus dem demokratischen Spiel herauszudrängen“, dann stimmt das natürlich. Aber einige AfD-Leute sind eben nicht „schwer konservativ“, sondern rechtsradikal. Wenn Abgeordnete Hitler-Bilder herumschicken oder den Holocaust verharmlosen, ist dann halt Schluss mit Toleranz. Gauck selbst würde sich im Übrigen laut eigener Aussage nicht mit AfD-Chef Alexander Gauland an einen Tisch setzen. Wo also endet die Gesprächsbereitschaft, die er einfordert?

    Grundsätzlich liegt der Altbundespräsident mit seiner Analyse richtig

    Und wo beginnt auf der anderen Seite das Nachplappern populistischer Thesen? Wenn der Altbundespräsident sagt, man müsse „darüber sprechen können, dass Zuwanderung in diesem Maße nicht nur Bereicherung ist“, stimmt das ja. Aber er unterstellt damit eben in AfD-Manier, dass man das bislang nicht darf. Und das ist Unsinn. Politiker aller Parteien haben es schließlich in den Wahlkämpfen der vergangenen Jahre getan.

    Die Aufregung über Gauck ist der Beweis, dass er mit seiner Analyse grundsätzlich richtig liegt. Weil er im Umgang mit dem rechten Lager aber selbst ständig zwischen Toleranz und Abgrenzung schwankt, entsteht der Eindruck einer gewissen Ratlosigkeit, wie das erkannte Problem zu lösen ist.

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