Die Kernfrage lautete seit Jahren: Wie groß ist die Macht der Frau, für die die Bezeichnung „faktische Regierungschefin“ erfunden wurde? Darauf haben die Militärs jetzt eine Antwort gegeben: Die Armee hat geputscht, den Ausnahmezustand verhängt und Aung San Suu Kyi festsetzen lassen.
Ob diese Antwort der Streitkräfte das letzte Wort ist, ist allerdings noch nicht ausgemacht. San Suu Kyi hat ihre Landsleute, die die 75-Jährige noch immer verehren, in einer Erklärung auf Facebook dazu aufgerufen, Widerstand zu leisten. Das Militär beteuerte gestern, dass es in einem Jahr Neuwahlen und eine Rückkehr zur Demokratie geben werde.
Die Informationen aus der Hauptstadt Naypyidaw fließen nur spärlich. Es gibt Berichte über Militäreinheiten, die in den Straßen patrouillieren. Oppositionelle meldeten sich in den sozialen Medien zu Wort und forderten die Soldaten auf, sich in die Kasernen zurückzuziehen. Neuer starker Mann ist Armeechef Min Aung Hlaing. Unstrittig ist, dass die Friedensnobelpreisträgerin San Suu Kyi nach wie vor die Mehrheit der Bevölkerung im früheren Birma hinter sich hat. Sie gilt in dem buddhistisch geprägten Land weiterhin als Ikone.
San Suu Kyi schloss sich der Demokratiebewegung in ihrem Land an
Am 19. Juni 1945 wurde San Suu Kyi im damals von den Briten besetzten Birma als Tochter des Generals Aung San geboren. Der Vater war ein charismatischer Freiheitskämpfer und hat bis heute den Status eines Nationalhelden – 1947 wurde er von politischen Gegnern im Alter von 32 Jahren ermordet.
Die Tochter war einige Jahre im Ausland. Sie arbeitete als Wissenschaftlerin in New York, heiratete in Oxford einen britischen Historiker, der 2009 starb. Später ging sie nach Japan. Erst als ihre Mutter 1988 lebensgefährlich erkrankte, kehrte sie zurück in ihre Heimat. Das Land wurde nach dem Putsch von 1962 von einem Militärregime regiert.
San Suu Kyi schloss sich, entsetzt über die verzweifelte Lage im Land, der Demokratiebewegung an. Schnell stand sie in der ersten Reihe der Opposition – das lag sicher an ihrer prominenten Herkunft, aber auch an ihrer Ausstrahlung. Eine Melange aus Würde, Eleganz und natürlicher Autorität. Die Führung der Streitkräfte war sich der Gefahr bewusst, die von der Frau mit den Blumen im Haar für ihren Machtanspruch ausging.
1991 erhielt San Suu Kyi den Friedensnobelpreis
Nach freien Wahlen im Jahr 1990 wurde die Repression wieder verstärkt. Insbesondere nachdem sie 1991 den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Mit Unterbrechungen verbrachte San Suu Kyi, die von ihren Anhängern stets Gewaltlosigkeit verlangte, 15 Jahre in Hausarrest. Sie weigerte sich beharrlich, das Land zu verlassen. Meditation und Musizieren, so erzählte sie später, hätten ihr geholfen, die Isolation zu ertragen.
2011 lockerte das Militär die Fessel
Doch im Jahr 2011 lockerte das Militär die Fesseln. San Suu Kyi, die in Myanmar respektvoll „Lady“ genannt wird, trat 2012 für ihre Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), bei den Unterhauswahlen an. Sie wurde Oppositionsführerin. Eigentlich schien der nächste Schritt folgerichtig: die Kandidatur für die Präsidentschaft.
Doch ein obskurer Passus in der Verfassung von 2008 verwehrte ihr dies – als Witwe eines Ausländers und mit Kindern, die die britische Staatsangehörigkeit hatten, durfte sie 2015 nicht antreten. Die NLD landete dennoch einen Erdrutschsieg. Doch eine Verfassungsklausel sicherte dem Militär ein Viertel der Mandate und damit eine Sperrminorität für Verfassungsänderungen.
Ihre Rolle im Rohingya-Konflikt brachten Suu Kyi heftige Kritik ein
So wurde San Suu Kyi zur „faktischen Regierungschefin“. Im Land eskalierte zu dieser Zeit ein Konflikt, der ihre Reputation im Ausland nachhaltig beschädigen sollte. Die nicht anerkannte muslimische Minderheit der Rohingya begehrt gegen ihre systematische Unterdrückung auf.
Zehntausende flüchteten nach Bangladesch. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Seid al-Hussein, sprach gar von einer gewaltsamen Vertreibung, die „ein Paradebeispiel für ethnische Säuberungen“ sei. San Suu Kyi ging nicht entschlossen gegen die Diskriminierung vor. Aus wahltaktischen Gründen, monierten Kritiker. Zudem wurde ihr Regierungsstil in den letzten Jahren deutlich autoritärer. Aktuell gab es Konflikte mit der Armee, die ihr vorwerfen, für Wahlmanipulationen im November 2020 verantwortlich zu sein.
Doch nun geht in Myanmar die Furcht um, dass das Militär die moderaten demokratischen Reformen wieder kassiert und dem Land erneut eine bleierne Zeit unter der Knute der Generäle bevorsteht.
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