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Kommentar: Paragraf 219a: Die alten Gräben, sie brechen wieder auf

Kommentar

Paragraf 219a: Die alten Gräben, sie brechen wieder auf

Margit Hufnagel
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    Aktivistinnen kämpfen für die Streichung des Paragrafen 219a. Der verbietet Werbung für Abtreibung.
    Aktivistinnen kämpfen für die Streichung des Paragrafen 219a. Der verbietet Werbung für Abtreibung. Foto: Christian Ditsch

    Das Thema hatte schon immer das Potenzial zum politischen Sprengstoff. Bis in die 70er Jahre hinein waren Abtreibungen in Deutschland strikt verboten. Frauenrechtlerinnen gingen unter dem Motto „Mein Bauch gehört mir“ auf die Straße. Der Zeitschrift „Stern“ gelang mit einer Titelseite ein handfester Skandal: „Wir haben abgetrieben“, bekannten dort prominente und nicht-prominente Frauen. Ein Tabu, das bis heute nicht gebrochen ist.

    Der Kompromiss um den Paragraf 219a ist wacklig

    „Auftragsmörder“ titulierte der Papst vor kurzem all jene, die sich zu diesem schweren Schritt entscheiden. Und jetzt rang auch noch die große Koalition wochenlang um den Paragrafen 219a, der Werbung beziehungsweise Information über Schwangerschaftsabbrüche verbietet. Es ist eine Art Stellvertreterkrieg, denn im Kern geht es nicht um juristische Details, sondern ums Prinzip. Die alten Gräben, die man längst überwunden glaubte, sie brechen wieder auf. Deshalb wird auch der mühsam und hochemotional ausgehandelte Kompromiss keinen Frieden in die Koalition bringen. In der SPD jedenfalls rumort es weiter und wenn der Plan im neuen Jahr zur Abstimmung kommt, ist noch längst nicht klar, ob er auch durchkommt.

    Abtreibung darf niemals normal werden

    Nun ist Abtreibung keine Sache wie jede andere. Der Staat ist zum Schutz des Lebens verpflichtet. Eine Gesellschaft muss daher darum ringen dürfen, wie sie mit ungeborenem Leben umgeht – und zwar sowohl Frauen als auch Männer. Der Eingriff mag kurz sein, doch harmlos ist er nicht. Abtreibung ist eben keine nachträgliche Verhütungsmethode, es ist kein bequemes Ausradieren eines Fehlers. Abtreibung ist eine Tragödie. Doch Tragödien sind Teil unseres Leben, die man auch nicht dadurch vermeiden kann, dass man sie totschweigt oder den Betroffenen die Umsetzung ihrer Entscheidung so schwer wie nur möglich macht. Und genau darum geht es in Paragraf 219a. Er ist ein Feigenblatt. Für einen Schutz ungeborenen Lebens ist der Passus unnötig, das ist mit dem Paragrafen 218 hinreichend geregelt. Die Leitlinien sind klar. Sie brauchen keine Verstärkung.

    Abtreibung: Werbung nein, Information ja

    Wie absurd ist die Annahme, dass Frauen sich dazu durchringen, ihr Kind abzutreiben, nur weil ein Arzt darauf verweist, dass er den Eingriff vornimmt. Schon der Hinweis auf der Homepage, dass in der Praxis Schwangerschaftsabbrüche zum Leistungsspektrum gehören, ist bislang verboten. Werbung? Information ist das richtige Wort. Und darauf haben Frauen ein Recht. Sie dürfen in einem der schwierigsten Momente ihres Lebens nicht darauf angewiesen sein, bei Google einen Zufallstreffer oder in Foren einen „Geheimtipp“ zu finden. Das ist unwürdig. Daran ändern auch die minimalen Änderungen nichts, die SPD und Union nun umsetzen wollen. Gerade weil Abtreibung so ein emotionales Thema ist, muss die Politik größtmögliche Sachlichkeit walten lassen.

    Das Misstrauen ist verletzend

    Doch zu oft ist die Debatte geprägt von einem tiefen Misstrauen. Frauen werden als naive Wesen stigmatisiert, die leichtfertig über Leben und Tod entscheiden. Ärzte als gerissene Geschäftemacher betrachtet, die mit flockiger Reklame ein paar Euro dazuverdienen wollen, womöglich noch mit Rabatten locken. Mit der Realität hat das kaum etwas zu tun. Niemand will in der Werbepause zwischen der Rosamunde-Pilcher-Schmonzette knallige Spots für Abtreibungen sehen. So viel moralische Grundfeste darf die Politik ihrem Volk ruhig zutrauen.

    Dass harsche Debatten und Stigmatisierung den Konflikt nicht lösen, zeigt ein Blick in die nähere und weitere Nachbarschaft. In Polen steigen die Abtreibungszahlen trotz strenger Restriktionen. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl fast verfünffacht.

    Lesen Sie hierzu auch, wie die Situation für betroffene Frauen in der Region ist. (Plus+)

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