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Samenspende: Samenspende: Kinder dürfen jetzt wissen, wer ihr Vater ist

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Samenspende: Kinder dürfen jetzt wissen, wer ihr Vater ist

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    Kinder, die durch eine Samenspende gezeugt wurden, haben ein Recht darauf, den Namen ihres Vaters zu erfahren. Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs ändert das Leben Tausender.
    Kinder, die durch eine Samenspende gezeugt wurden, haben ein Recht darauf, den Namen ihres Vaters zu erfahren. Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs ändert das Leben Tausender. Foto: Jan-Peter Kasper (dpa)

    Sie erfuhr es, als sie 13 Jahre alt war. „Papa ist nicht euer richtiger Vater“, sagte die Mutter damals. Martina saß auf der Couch im Wohnzimmer der Familie in Augsburg, ihre ältere Schwester lümmelte auf dem Teppichboden herum. Der Bruder war erst acht, er war bei dem Gespräch nicht dabei. Bruder? Schwester? Die Geschwister waren für Martina plötzlich zu Halbgeschwistern geworden. Einfach so, aus heiterem Himmel. „Diesen Moment werde ich niemals vergessen“, sagt Martina heute.

    Samenbanken sichern Spendern Anonymität zu

    32 Jahre ist sie jetzt alt, sie lebt mittlerweile im Norden Deutschlands und erzählt am Telefon ihre Geschichte. Eigentlich trägt sie einen anderen Vornamen. Doch den will sie in der Öffentlichkeit nicht nennen. Martina wurde durch Samenspende gezeugt.

    Rund 100000 solche sogenannten Spenderkinder leben Schätzungen zufolge in Deutschland. Nur ein Bruchteil von ihnen weiß, dass er durch Sperma gezeugt wurde, das zuvor ein Spender in einem Labor abgegeben hatte. Die Identität des biologischen Vaters kennen aber nur die wenigsten. Denn Samenbanken und Reproduktionskliniken sichern ihren Spendern vertraglich Anonymität zu.

    Doch im Lauf der vergangenen Jahre wurde immer klarer ersichtlich, dass diese Vereinbarung nicht zu halten ist. 1989 entschied der Bundesgerichtshof, dass Kinder ein Recht darauf haben, zu erfahren, wer ihr Vater ist. In dem damaligen Fall ging es zwar um ein uneheliches Kind. Das Urteil lässt sich aber auf die Rechte von Spenderkindern übertragen.

    Seit 2007 gilt eine gesetzliche Regelung, nach der die Spender darüber aufgeklärt werden müssen, dass von ihnen gezeugte Kinder später womöglich Kontakt zu ihnen aufnehmen wollen. 30 Jahre lang müssen die Unterlagen deshalb seither aufbewahrt werden – früher wurden diese Daten oft schon nach zehn Jahren entsorgt.

    Spenderkinder: In Verein suchen Betroffene nach ihren Wurzeln

    Im Jahr 2013 klagte dann vor dem Oberlandesgericht Hamm eine Frau erstmals erfolgreich auf die Herausgabe des Spendernamens. Das neueste BGH-Urteil, das vor ein paar Tagen gesprochen wurde, ermöglicht solche Klagen jetzt auch für Minderjährige, wenn sie vor Gericht von ihren Eltern vertreten werden. Die Anonymitäts-Vereinbarung, die die Eltern dem Samenspender vor der Zeugung vertraglich zugesichert haben, gelte nicht für die so gezeugten Kinder, heißt es in dem Urteil.

    „Uns hat niemand gefragt, ob das für uns so alles in Ordnung ist“, sagt auch Martina, „das sind Verträge, die entstanden, bevor wir geboren wurden.“ Wenn ihre Eltern sich nicht im Streit getrennt hätten, hätte sie von der Art ihrer Zeugung womöglich niemals erfahren. Nach der Trennung von ihrem Mann zog Martinas Mutter mit den drei Kindern nach Augsburg. „Und sie wollte auch emotional Distanz zwischen uns und unserem sozialen Vater schaffen“, sagt Martina. „Sozialer Vater“ – so nennt sie heute den Menschen, der früher für sie einfach „Papa“ war. Kontakt hat sie zu ihm schon lange nicht mehr. Denn auch er wollte nach der Trennung nichts mehr von den Kindern wissen, die ja biologisch nicht die seinen waren.

    Die Eltern sind nicht mehr zusammen, der einstige „Papa“ ist überhaupt nicht verwandt und die beiden Geschwister sind es auch nur zur Hälfte – „das war keine schöne Situation“, erinnert sich Martina. Seit ein paar Jahren ist sie Mitglied des Vereins „Spenderkinder“, in dem sich etwa 60 durch Samenspende gezeugte Erwachsene zusammengeschlossen haben. Sie alle wollen erfahren, wie es um ihre tatsächlichen biologischen Verwandtschaftsverhältnisse bestellt ist. Weil jeder Samenspender ja womöglich mehrere Nachkommen gezeugt hat, vermuten sie unter sich auch einige Halbgeschwister.

    Die Suche nach Samenspendern ist schwierig

    Auch Martina hat über den Verein Bekanntschaft mit einer gleichaltrigen Frau gemacht, deren Mutter in der gleichen Klinik behandelt wurde wie ihre. Nur zwei Wochen Altersunterschied trennen die beiden Frauen. Und sie sehen sich auffallend ähnlich. „Wir vermuten, dass wir Halbschwestern sind“, fasst Martina den Verdacht zusammen. Einen Beweis dafür hat sie aber noch nicht. Denn an Informationen über ihre Abstammung zu kommen, ist für Spenderkinder trotz der jüngsten Urteile schwierig. Eine 25-jährige Frau etwa scheiterte im November 2014, also nach dem Urteil des OLG Hamm, mit ihrer Klage gegen einen Münchner Gynäkologen. Das Gericht gab der Frau zwar recht: Sie habe einen Anspruch darauf, die Identität ihres Spendervaters zu erfahren, hieß es.

    Der Frauenarzt, der die künstliche Befruchtung im Jahr 1989 durchgeführt hatte, beteuerte aber, er könne keine Auskunft geben: Die Akten aus dieser Zeit habe er längst in einem Reißwolf vernichtet. Weil sich die Rechtslage änderte, habe er erst ein paar Jahre später begonnen, solche Dokumente aufzubewahren. Die Frau forderte deshalb die Befragung früherer Mitarbeiterinnen des Arztes – doch auch diese ließen sich offenbar nicht ausfindig machen. Als Geste der Entschuldigung zahlte der Gynäkologe der Frau 1500 Euro Entschädigung.

    Das Interesse der Samenbanken und Reproduktionskliniken, die Namen der Spender herauszugeben, hält sich in Grenzen. Denn nach den Urteilen der jüngsten Zeit müssen Samenspender grundsätzlich damit rechnen, dass in Zukunft Unterhalts- und Erbansprüche auf sie zukommen. Bisher hat es in Deutschland solch einen Fall zwar noch nicht gegeben – und die rechtlichen Hürden dafür sind auch hoch. Doch alles scheint möglich. Um finanzielle Ansprüche zu erheben, müsste das Kind die Vaterschaft des „sozialen Vaters“ anfechten und den Samenspender vor Gericht als Vater feststellen lassen. All das muss innerhalb von zwei Jahren geschehen, nachdem das Kind von den Umständen seiner Zeugung erfahren hat.

    Amerikanische DNA-Datenbank gibt Aufschluss

    Martina sagt, sie habe keine solchen finanziellen Interessen. „Aber ich würde gerne mehr über meine genetische Herkunft wissen“, sagt sie. Deshalb will sie zunächst einmal herausfinden, ob es sich bei der optisch so ähnlichen Frau aus dem Verein „Spenderkinder“ tatsächlich um ihre Halbschwester handelt. Dazu wollen die beiden die Dienste einer amerikanischen DNA-Datenbank nutzen.

    Diese Methode empfiehlt der Verein „Spenderkinder“ auch anderen Betroffenen. 99 Dollar kostet der Test bei der Firma „Family Tree DNA“, der nach Verwandtschaften unter den Teilnehmern sucht. Erste Erfolge gab es schon: „Im April 2013 hatten wir unseren ersten Treffer zwischen einem Spenderkind und einem Spender“, heißt es bei dem Verein.

    Der 24-jährige Christoph fand so seinen leiblichen Vater. Eine Journalistin der Zeit begleitete den jungen Mann im November zu dem ersten Treffen mit seinem biologischen Vater – dem 69-jährigen Udo, einem pensionierten Sozialarbeiter. Mehrere Stunden lang saßen die beiden in einem Café in Essen, sprachen über ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Hoffnungen. Jahre nach den Samenspenden hatte auch Udo die Neugier geplagt. Auch er wollte wissen, ob aus seinen Spenden Kinder gezeugt worden waren – und was für ein Leben diese führten. Deshalb hatte auch er sich bei der amerikanischen DNA-Datenbank registrieren lassen.

    Arbeitsgruppe Abstammungsrecht entwickelt gesetzliche Regelung

    Ob auch Christian aus München einmal eines der Kinder kennenlernen wird, die aus seiner Samenspende gezeugt wurden, kann er heute noch nicht abschätzen. Auch der 39-Jährige trägt eigentlich einen anderen Namen, auch er möchte anonym bleiben. Der verheiratete Vater zweier Mädchen entschied sich zur Samenspende, „weil ich im Bekanntenkreis so viele Pärchen habe, die gerne Kinder bekommen würden – aber nicht können“. Solchen Menschen habe er helfen wollen, sagt Christian. Seine Frau sei mit dieser Entscheidung einverstanden. Die rund 1000 Euro, die er für 13 Spenden bekam, habe er an eine Wohltätigkeitsorganisation überwiesen.

    Angst davor, dass er eines Tages von einem seiner Spenderkinder auf Unterhalt verklagt werden könnte, habe er nicht: „Ich weiß, dass das denkbar ist, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich.“ Und falls ein Gericht doch so entscheiden würde, „dann muss ich eben zahlen“.

    Der Gesetzgeber will sich in nächster Zeit jedenfalls mit dem Thema beschäftigen. „Wir werden das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft bei Samenspende gesetzlich regeln“, heißt es im Koalitionsvertrag.

    Am Montag nahm zudem im Auftrag des Bundesjustizministeriums eine „Arbeitsgruppe Abstammungsrecht“ in Berlin ihre Arbeit auf. Das Gremium soll in den kommenden zweieinhalb Jahren regelmäßig tagen und Reformen vorschlagen.

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