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Ukraine-Konflikt: Wie Putin seine Drohung gegen den Westen inszeniert

Ukraine-Konflikt

Wie Putin seine Drohung gegen den Westen inszeniert

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    Gigantische Inszenierung in Moskau: Russlands Präsident Wladimir Putin spricht zur Nation.
    Gigantische Inszenierung in Moskau: Russlands Präsident Wladimir Putin spricht zur Nation. Foto: Evgeny Sinitsyn, dpa

    Selbstbewusst, knallhart, überlegen und immer als jemand, der noch etwas mehr weiß als alle anderen – so inszeniert sich Wladimir Putin. Zuletzt in seiner Rede an die Nation. Diesmal allerdings betonte der 68-jährige Autokrat ganz besonders seine bedrohliche Aura, die er auf Knopfdruck einsetzen kann. Adressaten waren die Ukraine und der Westen. Flankiert wurde der Auftritt auf der gewaltigen Bühne in Moskau durch einen militärischen Aufmarsch an der Grenze zur Ostukraine, auf der annektierten Krim und zur See im Schwarzen Meer. Die EU geht von mehr als 100.000 Soldaten aus, die in der Region stationiert sind. Mit einer gewöhnlichen Militärübung, von der Moskau spricht, hat das nichts mehr zu tun. Doch welche Ziele Putin verfolgt, ist auch für ausgewiesene Russland-Kenner ein Rätsel.

    Genau dies könnte beabsichtigt sein: „Putin hat in seiner Rede vor der Überschreitung roter Linien gewarnt. Fast interessanter ist für mich, dass er sagte, dass Russland selber entscheide, wo diese roten Linien im Einzelfall verlaufen. Damit lässt der Präsident die Ukraine und den Westen völlig in der Schwebe. Klar ist nur, dass es eine konkrete Bedrohung durch Moskau gibt“, sagte der FDP-Experte für Außenpolitik, Alexander Graf Lambsdorff, im Gespräch mit unserer Redaktion.

    Russische Fallschirmjäger warten darauf, in ein Flugzeug für Luftlandeübungen während Manövern in Taganrog am Schwarzen Meer zu steigen.
    Russische Fallschirmjäger warten darauf, in ein Flugzeug für Luftlandeübungen während Manövern in Taganrog am Schwarzen Meer zu steigen. Foto: Uncredited/AP, dpa

    Bis Ende 2020 schien die Kriegsgefahr tendenziell eher zu sinken – auch wenn es immer wieder Scharmützel mit Toten und Verletzten gab. Ein „eingefrorener Konflikt“, so der etwas zynische Fachbegriff. Doch er ist längst aufgetaut. Seit Januar wird in dem Krieg, der vor sieben Jahren ausbrach und nach Zahlen der UN mehr als 14.000 Todesopfer gefordert hat, wieder regelmäßig geschossen.

    Ab März beobachtete die Nato Truppenbewegungen, private Videos von schier endlosen Militärkonvois in Richtung Westen belegten diese Erkenntnisse. „Das ist unsere Sache“, blaffte der Kreml. Die Stoßrichtung hat sich jedoch geändert. Russland bezichtigt nun Kiew, mit Provokationen eine militärische Aggression vorzubereiten. Lambsdorff hält das für absurd. Der Vorwurf aus Moskau, ukrainische Truppen würden einen Einmarsch in die von russlandtreuen Separatisten besetzte Ostukraine erwägen, ist für den Bundestagsabgeordneten eine „Schimäre“. Lambsdorff: „Die russischen Nachrichtendienste dürften wissen, dass die Ukraine keinerlei Angriffspläne hegt und dazu militärisch auch gar nicht in der Lage ist.“

    Der Friedensplan aus dem Jahr 2015 droht endgültig zu scheitern

    Der im Jahr 2015 unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs ausgehandelte Friedensplan droht indessen endgültig zu scheitern. Russland setzt darauf – lange kaum beachtet von der Öffentlichkeit im Westen –, im Donbass vollendete Tatsachen zu schaffen. Glaubt man Moskau, wurden bereits 500.000 der gut 3,6 Millionen Bewohnern des Gebiets russische Pässe ausgestellt. Kiew fürchtet, dass Russland auf diese Weise eine Intervention kurzerhand als Einsatz zum Schutz der eigenen Bürger deklarieren könnte.

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bietet seinem Amtskollegen Wladimir Putin ein treffen im Donbass an.
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bietet seinem Amtskollegen Wladimir Putin ein treffen im Donbass an. Foto: Ukrainian Presidential Press Office, AP, dpa

    Verteidiger der russischen Politik in Deutschland verweisen darauf, dass Russland aggressiv handeln würde, weil es eine Einkreisung durch die Nato fürchtet. Für Lambsdorff ist das wenig stichhaltig: „Russland reicht von Finnland bis Japan, wie soll man dieses Land einkreisen?“ Unstrittig sei aber, dass der russische Machtbereich nach dem Ende der Sowjetunion kleiner geworden sei. Moskau wolle „seinen Anrainerstaaten nur eine eingeschränkte Souveränität“ zubilligen. Doch das sei völkerrechtswidrig.

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagiert zweigleisig auf die Bedrohung aus dem Osten. In einer Rede am Dienstag schlug er ein Treffen mit Putin „an jedem Punkt des ukrainischen Donbass, wo Krieg herrscht“ vor, um die „mörderische Mathematik künftiger Kriegsverluste“ noch zu stoppen. Andererseits forderte er den Westen mehrfach auf, der Ukraine Waffen zu liefern und den Weg für eine Nato-Mitgliedschaft freizumachen.

    Was die Erfüllung dieser beiden Wünsche aus Kiew angeht, ist Lambsdorff skeptisch. „Deutschland sollte sich nicht durch Waffenlieferungen in einen Krieg hineinziehen lassen, sondern politisch und diplomatisch agieren“, sagt der FDP-Politiker. Eine Aufnahme der Ukraine in die Nato, die bereits 2008 von den USA vorgeschlagen, aber von den EU-Mitgliedern abgelehnt wurde, hält der frühere Europaparlamentarier ebenfalls für nicht zielführend. Er sei damals dagegen gewesen und sei es auch noch heute, da eine Ausweitung der Nato-Beistandspflicht für die Nato „militärisch äußerst schwierig“ sei.

    Wilde Spekulationen beherrschen die Szenerie

    Darüber, wie es weitergeht in der Krisenregion, wird derzeit wild spekuliert. Denkbar ist, dass sich Putin damit zufrieden gibt, die Ukraine durch militärischen Druck zu destabilisieren und ihr ökonomisch zu schaden. Doch auch das Szenario eines Einmarsches russischer Truppen in die moskautreuen „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk wird durchgespielt. Graf Lambsdorff will sich an solchen Mutmaßungen nicht beteiligen. Der Westen müsse Putin unmissverständlich klarmachen, dass der wirtschaftliche und politische Preis für einen Angriff extrem hoch wäre: „Das Projekt Nord Stream 2 müsste sofort abgebrochen werden, Sanktionen müssten auf den Energie- und Finanzsektor ausgeweitet werden.“

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