Ist die Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen noch zeitgemäß?
Die Sperrklausel wurde nach dem Ende der Nazi-Diktatur mit Blick auf den Untergang der Weimarer Republik als Stabilitätsanker eingeführt, um die Demokratie zu schützen. Doch sie bleibt umstritten.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat die Parteigründung schon erledigt, auch die Werte Union wird wohl bald auf den Wahlzetteln auftauchen, auf denen sich immer mehr kleine und kleinste Parteien tummeln. Eine Entwicklung, die nicht zum ersten Mal die Frage aufbringt, ob die Zersplitterung des Parteiensystems in Deutschland unumkehrbar ist.
Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft im Jahr 1945 wurde debattiert, wie ein demokratischer Staat mit stabilisierenden Verstrebungen ausgestaltet werden kann, um auszuschließen, dass er – wie die Weimarer Republik – zur Beute von Extremisten wird. Eine Strebe sind Sperrklauseln, um zu verhindern, dass viele kleine Parteien in den Parlamenten das Regieren erschweren, ja unmöglich machen. Bei der Bundestagswahl 1949 war die Hürde überschaubar: Jede Partei, die in einem einzigen Bundesland fünf Prozent der Stimmen erzielte, war im Parlament vertreten – am Ende teilten sich elf Parteien das Plenum in Bonn. Vier Jahre später galt die Fünf-Prozent-Hürde dann bundesweit. Doch es wurde eine Ausnahme gemacht: Die Grundmandatsklausel besagte, dass jede Partei, die einen Wahlkreis direkt gewinnt, auch dann im Bundestag vertreten ist, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde reißt. Seit 1957 ist der Gewinn von drei Direktmandaten Pflicht. Auch bei Landtagswahlen greifen verschiedene Sperrklausel-Modelle.
Das Bundesverfassungsgericht kippte 2014 die Sperrklausel für die Europawahlen
Die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen wurde zwar 2014 vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Die Richter verwiesen aber zugleich darauf, dass das Europäische Parlament nicht mit dem Bundestag vergleichbar sei. Auch gegen die Sperrklauseln auf Bundes- und Landesebene wurde mehrfach erfolglos geklagt. Die Arbeitsfähigkeit des Parlaments wurde als höheres Gut bewertet als die exakte Wiedergabe des Wählerwillens.
„Ohne die Sperrklauseln droht politische Instabilität, es wäre ein großer Fehler daran zu rütteln“, sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, im Gespräch mit unserer Redaktion. Forsa zeigt in einer aktuellen Analyse, wie die Zersplitterung des Parteiensystems voranschreitet. Das Institut hat auf Basis seiner Februar-Sonntagsfrage errechnet, wie der Bundestag ohne Fünf-Prozent-Hürde aussehen würde – und stellt es der Sitzverteilung nach den Wahlen von 1930 entgegen. Tatsächlich ähneln sich die Diagramme in ihrer Zersplitterung mit einer Vielzahl von Parteien frappierend. Als „beängstigend“ bezeichnet Güllner „bei aller gebotenen Vorsicht mit Weimar-Vergleichen“ die Übereinstimmungen.
Kritiker halten die Fünf-Prozent-Hürde für undemokratisch
Gleichzeitig weisen die Forsa-Daten aus, dass – wieder auf Grundlage der Februar-Umfrage – derzeit 19 Prozent der Wähler für Parteien votieren würden, die an der Sperrklausel scheitern. Es wären Stimmen, die unter den Tisch fallen. Genau diesen Punkt monieren Gegner der Fünf-Prozent-Hürde, wie der Verein „Mehr Demokratie“, einige Politikwissenschaftler und Vertreter kleinerer Parteien: Die Sperrklausel würde etablierte Parteien auf undemokratische Weise begünstigen und das Wahlergebnis verzerren. Eine politische Mehrheit für eine Abschaffung der Klausel ist derzeit allerdings nicht in Sicht.
Fahrt aufnehmen könnte die Debatte jetzt durch die von der Ampel-Koalition durchgesetzte Streichung der Grundmandatsklausel. Das ist für die Linke und die CSU brandgefährlich. Die CSU, die nur in Bayern gewählt werden kann, lag bei den Wahlen 2021 bundesweit knapp über fünf Prozent. Gelänge ihr das 2025 nicht, würde ihr nach jetzigem Stand nicht ein einziger Sitz im Bundestag zustehen, egal, wie viele Direktmandate sie gewänne. Mit einer Absenkung der Sperrklausel könnte dieses Szenario verhindert werden. Die CSU will diesen Weg nicht gehen, sie hofft auf eine Rücknahme der umstrittenen Reform oder darauf, dass die Verfassungsrichter ein Machtwort sprechen und die Grundmandatsklausel doch beibehalten bleibt.
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