Was ist Mut? Oft ein spontaner Entschluss, in einer Notsituation zu helfen, ohne zuerst an die eigene Sicherheit zu denken. Mutig ist es aber auch, sich trotz aller Hemmnisse auf eine lange Strecke zu engagieren. Diese Phasen hat der Augsburger Henryk Pich bereits durchlebt. Der 48-jährige Anästhesist organisiert, begleitet und leitet seit dem Frühjahr 2022 Hilfsprojekte für die Ukraine, die sich seit fast drei Jahren gegen den verbrecherischen Großangriff Russlands wehrt.
Ich fühlte, dass nicht weit von uns einem Volk großes Unrecht geschieht. Ich musste etwas tun.
Henryk Pich, Leiter eines Hilfsprojekts
Pich hatte im Februar 2022 nicht damit gerechnet, dass die Russen, die schon seit 2014 im Osten der Ukraine Krieg führten, tatsächlich versuchen würden, Kiew einzunehmen. Doch am 24. Februar geschah genau dies. „Ich bin in Stralsund geboren, in der DDR aufgewachsen. Ich hatte zwar eine Affinität zu Osteuropa, habe auch eine Zeit lang in Moskau gelebt. Aber die Ukraine war für mich eine Blackbox. Doch ich fühlte, dass nicht weit von uns entfernt einem Volk großes Unrecht geschieht, Menschen in ihrer Existenz bedroht sind. Ich musste etwas tun.“
Pich, zu dieser Zeit Oberarzt an der Uniklinik Augsburg, war nicht der einzige. „Im Klinikum haben sich nach dem russischen Angriff 150 Mitarbeiter per Videoschalte verabredet, Unterstützung für die Ukraine zu leisten.“ Unter Federführung des Augsburger Lions-Clubs Elias Holl startete im März 2022 über Rumänien der erste Hilfstransport mit Dingen des täglichen Bedarfs nach Czernowitz im Südwesten der Ukraine – Henryk Pichs erste Fahrt in das Kriegsland.
Ist es mutig, Hilfsgüter in ein Kriegsgebiet zu fahren?
War das mutig? Pich, der medizinische Hilfe koordinierte, winkt ab. „Natürlich wussten wir nicht, was auf uns zukommt, aber Czernowitz gehörte zu den sichersten Gegenden in der Ukraine.“ Dennoch sei der Druck greifbar gewesen. Keiner habe gewusst, wo genau die russischen Truppen stehen, Kiew war nicht erreichbar. Bei späteren Hilfseinsätzen sollte die Gruppe aus Augsburg dem Krieg deutlich näherkommen. Ganz grundsätzlich sind die Helfer immer darauf bedacht, das Risiko für das Team möglichst gering zu halten. Pich warnt davor, Mut mit Leichtsinn zu verwechseln.

Die große Spendenbereitschaft ermöglichte der Augsburger Hilfsinitiative den Ausbau der Unterstützung – geliefert wurden beispielsweise vom Augsburger Universitätsklinikum zur Verfügung gestellte Hochfrequenz-Chirurgie-Geräte, ohne die viele Notoperationen nicht möglich sind.
Die Russen attackieren Krankenwagen gezielt mit Drohnen.
Henryk Pich, liefert mit seiner Organisation Krankenwagen in dei Ukraine
„Entscheidend war, ein Netz von Kontaktpersonen in der Ukraine aufzubauen. Das ist nicht nur wichtig für eine effektive Verteilung der Güter, sondern ermöglicht es, zielgenau zu helfen. Es geht um Professionalisierung statt Gießkannenprinzip“, erklärt Pich. Die Einbeziehung von Ukrainern ist unverzichtbar, da sie den Umgang mit den Behörden beherrschen und genau wissen, wie man mit den Checkpoints und den Militärs umgehen muss. Pich: „Besonders wichtig für uns ist Karina – sie ist eine unserer Übersetzerinnen, aber noch weit mehr als dies.“ Die junge Frau ist die erwachsene Tochter einer vierköpfigen ukrainischen Familie, die die Pichs im Frühjahr 2022 in ihrem Haus in der Hammerschmiede in Augsburg aufgenommen haben. „Wirklich faszinierend finde ich die Entwicklung, die sie durchlaufen hat. Im April 2022 habe ich eine junge, verängstigte Frau kennengelernt, die psychisch traumatisiert ihr Land verlassen musste. Jetzt sehe ich eine Managerin, die Geld einwirbt, Kontakte knüpft und andere Frauen motiviert, das Land auf ihre Art zu unterstützen. Und die keine Angst hat, dorthin zu fahren, wo der Krieg hör- und sichtbar wird.“
Gefühlslage der Nation
Wahlen werden inzwischen mehr denn je auf den letzten Metern entschieden, und oft sind es nicht Programme, die den Ausschlag geben, sondern Stimmungen und Emotionen. Deshalb haben wir uns entschieden, in unserer Wahlserie Gefühle in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um Mut, Überforderung, Glück, Hoffnung und Angst, die Menschen hinter diesen Gefühlen und um Politik. Alle Teile der Serie sammeln wir auf einer Übersichtsseite, auf der Sie jeden Tag bis zur Wahl am 23. Februar eine neue Folge finden.
Pich, der seit 2022 eine eigene Praxis in Augsburg betreibt, hat einen langen Atem. Heute verfolgt er ein modifiziertes Konzept: Er leitet ein kleines Team, das sich darauf spezialisiert hat, gebrauchte Krankenwagen oder geländegängige Wagen, die von den ukrainischen Einheiten sehnsüchtig erwartet und nahe der Front eingesetzt werden, in die Ukraine zu bringen. Elf Fahrzeuge, vollgepackt mit akribisch ausgewählten Hilfsgütern, wurden in die Ukraine überführt. „Der Bedarf gerade an Krankenwagen ist gewaltig. Die Russen attackieren sie gezielt mit Drohnen – deshalb werden sie umlackiert, bevor sie an die Front kommen.“
Der Mut Wolodymyr Selenskyjs hat Henryk Pich beeindruckt
Pichs Gruppe nennt sich „Wir sind hier“ – diese Worte hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einer Pressekonferenz an die Welt gerichtet, als er und sein Kabinett sich unmittelbar nach dem Vorstoß der russischen Streitkräfte auf Kiew aus der Hauptstadt meldeten – damals gab es Gerüchte, Selenskyj und die Regierung seien ins Ausland geflohen. „Das war ein starkes und mutiges Signal des Präsidenten, das mich beeindruckt hat. Schließlich rechneten zu diesem Zeitpunkt fast alle mit einem schnellen Sieg der Angreifer.“

Wie ist das mit der Angst? „Das spielt natürlich immer im Hintergrund mit. Aber wir sind sehr vorsichtig. Unter direkten Beschuss bin ich noch nie geraten, passieren kann das aber“, sagt Pich.
Gegner der Unterstützung der Ukraine verweisen oft auf die Korruption in dem Land. Pich hat positive Erfahrungen gemacht: „Natürlich weiß ich, dass es so etwas gibt. Persönlich habe ich aber große Transparenz erlebt. Die junge Generation beeindruckt mich, sie ist gut ausgebildet und europäisch orientiert. Ich bin mir sicher, dass sie Korruption nicht mehr akzeptieren wird“, sagt Pich.
Mehr Mut - für die Unterstützung der Ukraine
Henryk Pich, Was er sich von der neuen Bundesregierung wünscht
Die militärischen Erfolge der russischen Invasoren beunruhigen Pich. „Die Leute sind sehr müde. ,Wir können doch nicht immer im Keller leben´, sagen viele angesichts der ständigen Angriffe.“ Doch der Widerstandsgeist sei nicht gebrochen – die Menschen wüssten ja, welche unfassbaren Gräueltaten die Russen in von ihnen eroberten Gebieten begehen. „Mehr Mut“ – das wünscht er sich von der Bundesregierung, wenn es darum geht, die Ukraine energischer zu unterstützen.
Ein Lastwagen als rollende Praxis für die Ukraine
Henryk Pich hat schon ein neues Projekt im Blick. Im Garten steht bereits der weiße Lastwagen, der zu einer rollenden Mini-Praxis für die Ukraine ausgebaut werden soll. Es sind nicht zuletzt einzelne Begegnungen, die ihn immer wieder antreiben: „Bei der Übergabe eines unserer Krankenwagen habe ich dem ukrainischen Soldaten gesagt, dass es die Sache schon wert sein würde, wenn nur ein Mensch mit diesem Wagen gerettet werden kann. Es bewegt mich noch immer, wenn ich an seine Antwort denke: ‘Es werden Hunderte sein´, sagte der Mann.“
Als Teil unserer Bundestagswahl-Serie schauen wir uns auch die Parteiprogramme genauer an und dröseln auf, wie die Parteien zu unterschiedlichen Sachthemen stehen.

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