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Lesetipp: Manchmal wäre ich lieber Hausfrau: Wie die Kita-Krise mich in die Knie zwingt

Lesetipp

Manchmal wäre ich lieber Hausfrau: Wie die Kita-Krise mich in die Knie zwingt

Christina Heller-Beschnitt
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    Weil Erzieherinnen fehlen, müssen Kitas ihre Öffnungszeiten anpassen. Unsere Autorin lässt das verzweifeln – und sie stellt die Gleichberechtigung infrage.
    Weil Erzieherinnen fehlen, müssen Kitas ihre Öffnungszeiten anpassen. Unsere Autorin lässt das verzweifeln – und sie stellt die Gleichberechtigung infrage. Foto: Jan Woitas, dpa (Symbolbild)

    Vier Tage ist es her, dass ich nicht mehr konnte. Dass ich weinend auf dem Boden eines Büros saß und mich fragte: Wie soll irgendwer das schaffen? Dieser Nervenzusammenbruch folgte auf eine Mail aus der Kita. Besser: auf eine weitere Mail. Diesmal schrieb die Kita-Leitung lesbar geknickt, zu viele Krankheitsfälle zwängen sie, Notbetreuung anzubieten und die Öffnungszeiten zu verkürzen. Schon wieder. Noch bitterer: Mein Kind fiel an diesem Tag nicht unter die Kinder, die in die Notbetreuung durften. Wer kommen darf und wer nicht, folgt einem strengen Plan.

    Zuerst war ich wütend. Dann heulte ich. Diese Woche ist die fünfte in Folge, in der unsere Kinderbetreuung nicht rundläuft. Eigentlich verlief das letzte Dreivierteljahr holprig, meine Flexibilitätsakkus blinken rot. 

    Wenn es Bayern so geht wie den Familien, liegt das Land heulend am Boden

    So wie mir geht es Tausenden Eltern. Die Misere hat einen Namen: Kita-Krise oder Kitastrophe. Persönlich verantwortlich machen kann ich niemanden. Erzieherinnen werden krank, Kinder werden krank, Eltern werden krank. Wer die Schuld trägt, ist das System: die Politik, die sich zwar damit schmückt, familienfreundlich zu sein. Aber seit der Einführung des Elterngeldes wenig für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – also für Mütter – getan hat. Allein in Bayern fehlen 70.000 Kitaplätze. Dazu gibt es zu wenig pädagogisches Personal. Die Babyboomer gehen in Rente und hinterlassen Lücken. Das kommt nicht überraschend. Aber anscheinend hielt es niemand für nötig, gegenzusteuern. Stattdessen wurde der Erzieherberuf durch eine lange und teure Ausbildung und schlechte Bezahlung unattraktiv gehalten.

    Langsam bewegt sich zwar etwas, doch die Maßnahmen greifen frühestens in fünf Jahren. Derweil lässt sich die bayerische Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) in einer Pressemitteilung zur Kinderbetreuung so zitieren: „Geht es den Kindern gut, geht es den Familien gut, dann geht es Bayern gut!“ Schließe ich von mir aufs Land, liegt Bayern gerade heulend am Boden und in der Ecke winkt das Burn-out. 

    Immer wieder bin ich kurz davor, aufzugeben und Hausfrau zu werden

    Manchmal bin ich ganz kurz davor, mich zu beugen und Hausfrau zu werden. Denn der tägliche Kampf spiegelt mir wider: Die einzige Rolle, in der Frauen sich in unserer Gesellschaft nicht zerreiben müssen, ist die der Hausfrau – immer noch. Und liebe Hausfrauen: Ich weiß, was ihr leistet! Warum nur bilde ich mir ein, ich könnte alles haben, ein erfülltes Familien- und Berufsleben und – ganz verrückt – sogar Zeit für Freunde. Da höre ich schon die Menschen, die mir auf Texte wie diesen immer schreiben: „Ja genau, warum nehmen sich Mütter heutzutage so wichtig? Warum müssen sie sich selbst verwirklichen?“

    Am Abend des Nervenzusammenbruch-Morgens wird in meine Instagram-Timeline ein Zitat des deutschen Top-Ökonomen Marcel Fratzscher gespült. Er sagte schon 2022: „Das größte Potenzial auf dem Arbeitsmarkt sind die Frauen.“ Ich lache. Aber eher hysterisch. Frauen sind mindestens seit der Nachkriegszeit Manövriermasse am Arbeitsmarkt. Als in der jungen BRD die Jobs knapp waren, hielt man sie bei Herd und Kind, damit sie den Männern die Jobs nicht wegnähmen. Nun, da die Fachkräfte fehlen, sind sie ein ungehobenes Potenzial. Da fühle ich mich richtig ernst genommen, wertgeschätzt (Obacht, Ironie!). Zumal ich weiß, dass diese ganze Potenzialhebung nur Theorie ist. Denn sobald aus Frauen Mütter werden, sind sie mehr Problem als Potenzial.

    Der Grund weiter zu kämpfen: die Angst vor Altersarmut

    Natürlich gebe ich den Kampf nicht auf. Weil ich es mir nicht leisten kann. Und aus einem egoistischen Grund, der nichts mit Selbstverwirklichung zu tun hat. Sondern mit einer Bedrohung, die über Frauen schwebt: Altersarmut. Ich habe keine Lust, in der Rente von Wasser und Brot zu leben, nur weil ich Mutter wurde. Statistisch betrachtet haben Frauen im Alter rund 30 Prozent weniger Geld zur Verfügung als Männer; jede fünfte Frau ist armutsgefährdet. Die Gründe: Frauen unterbrechen ihr Arbeitsleben häufiger, sie arbeiten häufiger in Teilzeit, sie machen deshalb seltener Karriere. Dazu arbeiten sie häufig in Jobs, die schlechter bezahlt werden. Insgesamt verdienen sie schon im Erwerbsleben weniger und beziehen dann geringere Renten. 

    Zudem habe ich einen Betreuungsluxus: Ich kann von zu Hause aus arbeiten. Mit Kleinkind ist das zwar eher Wunsch als Wirklichkeit, aber immerhin habe ich die Möglichkeit. Und noch einen anderen, winzigen Vorteil im Kampf: Direkt neben mir steht mein Mann. Anders als in vielen Familien waren Kinder und Haushalt noch nie meine alleinige Aufgabe, bei denen er mich netterweise unterstützt. Es sind unsere Aufgaben. Jede neue Kita-Mail kann mich nur so lange in die Knie zwingen, bis mir einfällt: Wir regeln das gemeinsam. Aber lösen können wir die Kita-Krise so natürlich trotzdem nicht, egal wie eng wir zusammenstehen.

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