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Grüne im Wahlkampf: Warum Robert Habeck trotz des Sozialabgabendesasters einen Punkt hat

Kommentar

Wahrheit und Wahlkampf – passt das zusammen?

Peter Müller
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    Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) nimmt als Zeuge an der Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Atomausstieg teil.
    Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) nimmt als Zeuge an der Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Atomausstieg teil. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Sicher, Robert Habeck hat seinen Vorschlag, Sozialabgaben künftig auch auf Kapitalerträge zu erheben, offensichtlich nicht zu Ende gedacht. Die Idee mache wenig Sinn, bemängeln sogar die wirtschaftspolitischen Berater der Rest-Ampel-Regierung. Er würde insbesondere jene belasten, die ihr Einkommen regelmäßig sparen und investieren, um langfristig Vermögen aufzubauen, beispielsweise für die Altersvorsorge. Ausgerechnet jene also, die den Mahnungen der Politik Folge leisten und privat vorsorgen, wären am Ende die Dummen. Das kann nicht richtig sein.

    Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Habecks Idee ist die untaugliche Antwort auf ein richtig erkanntes Problem. Die Lohnnebenkosten werden 2025 so hoch sein, wie nie zuvor. Die ersten Babyboomer gehen in Rente und wenn nichts geschieht, steigen die Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung weiter und weiter – wie sollte es in einer alternden Gesellschaft anders sein?

    Umso mehr verwundert, dass die Parteien im Wahlkampf diese Entwicklung, man könnte auch sagen, diese sozialpolitische Zeitbombe weitgehend ignorieren. Dieser Wahlkampf dreht sich auch um die Frage: Wie viel Wahrheit ist den Deutschen zuzumuten?

    Demokratische Parteien haben nicht mehr viel Zeit, Problem der Ära Merkel zu lösen

    Wer ein bisschen in der Historie zurückblickt, der landet schnell im Jahr 2005 und bei der Antwort: Allzu viel Wahrheit wollen die Bürgerinnen und Bürger lieber nicht wissen. Damals trat eine gewisse Angela Merkel mit einem extrem wirtschaftsliberalen Programm („Bierdeckelsteuer“, „Kopfpauschale“…) an. Die Folge: der anfangs bequeme Vorsprung auf Gerhard Schröder schmolz binnen weniger Wochen auf gerade mal ein Prozent. Mit diesem einschneidenden Ereignis war die Reformerin Merkel Geschichte. Die Deutschen dankten es ihr, indem sie sie dreimal wieder wählten.

    Wer in diesen Tagen mit führenden Politikern spricht, hört eine Einschätzung immer wieder: Die demokratischen Parteien haben nicht mehr viel Zeit, die Probleme zu lösen, die sich auch in der Ära Merkel aufgestaut haben. Wenn die Parteien der Mitte sich dazu als unfähig erweisen, dann erstarken die Ränder. Schon jetzt liegt die AfD in Umfragen bei mehr als 20 Prozent. Von der Union trennen sie, je nach Erhebung, manchmal nur noch acht Punkte. Kanzlerin Alice Weidel? Für 2029 verfolgt die AfD diesen Plan ganz offen.

    Habeck redet nicht um Herausforderungen des Landes herum

    Natürlich haben auch die Grünen ihren Anteil an dieser Entwicklung. Das Leitbild des ökologisch sensiblen Stadtbewohners, der mit der Bahn oder E-Auto zur Arbeit fährt, sich fleischlos ernährt, CO-2-arm heizt, sowie in Wort und Schrift gendert, führt zu Abwehrreflexen, vor allem auf dem Land. Nach der Corona-Pandemie schickt sich die Politik schon wieder an, übergriffig in das Privatleben hineinzuregieren, so sehen das viele – nicht ganz zu Unrecht.   

    Dennoch spricht es für Habeck, dass er versucht, in diesem Wahlkampf nicht um die Herausforderungen des Landes herumzureden, dass er mögliche Kompromisslinien selbst dann antestet, wenn er dafür den Konflikt mit den grünen Fundamentalisten riskiert. Das gilt für die Aussage, Syrer, die nicht arbeiteten, müssten das Land verlassen, genauso, wie für die Forderung, 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben. Glauben die Unionsgranden Merz und Söder im Ernst, von den oftmals noch immer russlandfreundlichen Sozialdemokraten ein besseres Angebot zu erhalten? 

    Die Union sollte diese Signale aufnehmen, anstatt sich in der Ablehnung zu den Grünen einzumauern. Ja, ein bisschen wirkt es schon so, als werfe sich Habeck wie das Rippchen an die Gabel: „Friedrich, bitte, koalier` mit mir!“ Man könnte es aber auch anders interpretieren – als Ausdruck von Verantwortung für das Land.

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    14 Kommentare
    Raimund Kamm

    Ein überraschend guter Kommentar. I. Die Mehrheit der Deutschen lebt im materiellen Wohlstand. Umso mehr nagt die Sorge, dass große Veränderungen zwangsläufig kommen oder vorsorglich von uns gemacht werden müssen. Ein paar Beispiele: (1) Deutsche Autofirmen haben –unterstützt von vielen Bierzeltrednern – die Entwicklung von E-Autos verschlafen. Die Chinesen (denen ich wg. Tibet, Taiwan, Xinjiang kein Auto abkaufen möchte) haben uns technisch überholt. Sie werden voraussichtlich 20 % Marktanteil erobern und damit 1 -2 dt. Autofabriken arbeitslos machen. (2) Deutschland wurde mit eigener Kohle und eigenem Erz und vielen technischen Entwicklungen ein führender Hersteller und Exporteur von Stahl. Das ist vorbei. (3) Die durch uns verursachte Erderhitzung zwingt zu großen Veränderungen in der Landwirtschaft, in der Industrie und beim Konsum. Fortsetzung in II

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    Peter Pfleiderer

    >> Die Chinesen .. haben uns technisch überholt. Sie werden voraussichtlich 20 % Marktanteil erobern << Nein, die Chinesen sind bislang nach Zöllen nur etwas billiger. Das hat man uns damals bei den Japanern auch schon gesagt; außer Toyota (3,5% Marktanteil) und häßlichen Mazda-SUV ist da nicht viel daraus geworden.

    Raimund Kamm

    II. (4) Die „oberen“ 10 Prozent leben in Saus und Braus. Weiteren 60 % (ich gehöre dazu) geht es sehr gut. Doch das „untere“ Drittel steht beim Wohnraum und den Mieten unter Druck. Mit Steuer- und Bildungspolitik muss dagegen angearbeitet werden. Gute Politiker müssen dies aussprechen und aufzeigen, wie wir das ändern können. Schlechte Politiker predigen “weiter so“. Raimund Kamm

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    Peter Pfleiderer

    >> Schlechte Politiker predigen “weiter so“. << So wie beim Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt, der vorher 110-mal bei Polizei und Justiz auffällig wurde? - www.augsburger-allgemeine.de/panorama/anschlag-bericht-110-mal-befassten-sich-behoerden-mit-taleb-a-104450147 - "Verschluss-Sache" obwohl angeblich nicht politisch?

    Richard Merk

    Pfleiderer, Sie haben es doch nicht notwendig so viel Unsinn zu schreiben. Was hat der angebliche Todesfahrer in Magdeburg mit dem Kommentar von Raimund Kamm zu tun? Sie verfehlen in übler Weise das Thema nur um Hetze zu verbreiten. Im Übrigen hat der Anschlag in Magdeburg nichts mit schlechten Politiker zu tun, sondern mit Versagen der Behörden. Peinlicher geht es wohl nicht.

    Maria Tkacuk

    Ich finde nicht, daß Herr Pfleiderer "Hetze betreibt" ( wie Sie behaupten. Er weist doch zurecht auf eine Sache hin, die dann von den Putin-Verehrern AfDund Ukraine-Abschiebern AfD und BSW ausgenutzt werden ! Werden gerade diese Themen nicht zukünftig schnell gelöst bleibt der Zuspruch zu diesem Parteien oder wird mehr. Dieses Problem ist übrigens auch in den USA so - daß durch illegale (!) Migration das Trumplager immer mehr Zuspruch findet. Würde man diese Probleme lösen und anderes wie Wokeness abgeschafft werden, könnten AfD, BSW und in der den USA auch Trump in die Schranken verwiesen werden.

    Richard Merk

    Der Beitrag von Pfleiderer hat weder etwas mit diesem Thema von Peter Müller zu tun, noch sind Politiker schuld an der Tragödie von Magdeburg. Peter Pfleiderer nutzt leider jede Gelegenheit seit Jahren um zu hetzen. In dem Fall nützt ihr Geschwafel auch nichts um die Fakten zu verbiegen. Auch Sie könnten Anteilnahme an den Opfern und Angehörigen zeigen, anstatt in AfD Manier die schreckliche Sache zu instrumentalisieren. Das gehört sich einfach nicht.

    Franz Xanter

    Das Problem, welches zu erkennen ist, ist einfach, dass man versucht, weltverbessernd zu sein und gleichzeitig eine Sozialstaatlichkeit an den Tag legt, den insbesondere die nordischen Staaten vor Jahren schon abgeschworen haben. Eine vollkommene Fehleinschätzung auf politischer Ebene. Und gleichzeitig hat aber ein Teil der Bevölkerung dies bereits erkannt und die Folge war die Entstehung und Festigung der AfD. Und wiederum von Seiten der etablierten Parteien war nur etwas von Brandmauer und generellem Nichtmiteinander die Rede, die tatsächlichen Probleme wurden jedoch (wieder) nicht angegangen. Und auch zum jetzigen Zeitpunkt werden Notwendigkeiten und Realitäten nur halbherzig ausgesprochen; von Angehen diesem auch auch noch keine Spur. Leider ist auch erkennbar, dass scheinbar mehr auf EU Wert gelegt wird als auf das eigene Land. Dies kann nicht mehr lange gut gehen. Es ist anzunehmen, dass insbesondere die nächste Wahl gravierendes aufzeigen wird.

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    Inge Brenner

    Karl Brenner Wer auf die EU Wert legt, legt auf das eigene Land Wert, Herr Xanter, ja, würde ich sogar als echten Patrioten bezeichnen. Im Gegensatz dazu habe ich den Eindruck, dass die AfD die eigene Bevölkerung gar nicht mag, denn anders ist es nicht zu erklären, dass man in Regierungsverantwortung aus der EU ausscheiden und den Menschen hier einen großen Teil ihres Wohlstandes nehmen will.

    Richard Merk

    Eine Demokratie kann nur so lange funktionieren solange ein sozialer Frieden vorhanden ist. Leider erkennen Sie nicht, dass die Warteschlangen an den Tafeln von Tag zu Tag größer werden. Die skandinavischen Länder haben eine vergleichsweise geringe Schere zwischen Arm und Reich. Verlässliche, gut funktionierende Institutionen, wie Schulen und Ämter sorgen für den Ausgleich. Warum wohl will die AfD nur die Reichen unterstützen und der Rest darf sich mit Brotkrümmel zufrieden geben. Gott bewahre uns vor diesen asozialen Egoisten.

    Peter Pfleiderer

    >> Wenn die Parteien der Mitte sich dazu als unfähig erweisen, dann erstarken die Ränder. << - Ich kann bislang nur einen starken Rand erkennen...

    Richard Markl

    Das ist für mich sehr stimmig, wie Herr Müller die Dinge nebeneinanderlegt und analysiert. Die Grünen haben die Probleme der Sozialversicherungsstränge erkannt. Dass der Habeckvorschlag nicht die Lösung ist, ist ihnen jetzt auch bewusst. Holetschek, CSU hat beispielsweise zurecht die Probleme der Pflegeversicherung erkannt. Da dürften auch Milliarden fehlen und wenn nicht, gibt es jedes Jahr saftige Beitragserhöhungen. Seine Lösung ist der Steuerzahler, wobei die Finanzierung letztlich durch Kürzungen beim Bürgergeld erfolgen soll. Nachdem die Bürgergeldempfänger aber auch schon laut CDU die Einkommensteuersenkungen "zahlen" sollen, soweit es nicht das erhoffte Wirtschaftswachstum tut, hat man das Gefühl, dass auch Holetschek keine Lösung hat. Die Vervollständigung der Mütterrente mit zusätzlichen Kosten von 4-5 Mrd. Euro pro Jahr soll lt. CSU auch noch kommen. Nach der Finanzierung traut man sich schon gar nicht mehr fragen.

    Wolfgang Werner

    Ihr Zitat, Herr Müller, ...Natürlich haben auch die Grünen ihren Anteil an dieser Entwicklung. Das Leitbild des ökologisch sensiblen Stadtbewohners, der mit der Bahn oder E-Auto zur Arbeit fährt, sich fleischlos ernährt, CO-2-arm heizt,... lässt mich also doch etwas ratlos zurück. All das, was sie da beschreiben führt also zu einer Ablehung auf dem Land? Und weswegen genau? Nirgendwo sehe ich soviele PV-Anlagen auf Dächern und eiligst errichteten Scheunen wie auf dem Land. Gerade jagt die Maul- und Klauenseuche durch die industrielle Masttierhaltung in Norddeutschland und der Bauernverband fürchtet um seine Exporte nach Asien und Südamerika. Also müssen die Grünen und ihre Wähler sich nur an die CSU/CDU heranschmeißen und deren rückwärtsgewandte Verleugnung der notwendigen Reformen ertragen, dann wird alles gut? Wie gesagt, ich bin ob dieser Logik einfach nur noch ratlos, was sie genau mit ihrem Kommentar sagen wollen.

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    Richard Merk

    Auf einmal fürchten die Bauern um ihre Exporte, obwohl stets die Versorgung der eigenen Bevölkerung in den Vordergrund geschoben wird. Zumindest bei den Bauernprotesten konnte es jeder an den riesigen Schildern am Traktor lesen. Im Übrigen können sich wenigstens die Bauern die riesigen PV-Anlagen auf den Dächern leisten. Andere Bürger, insbesondere die Mieter in den Städten haben doch das Nachsehen. Kaum eine Chance aus PV-Anlagen das eigene E-Auto günstig aufzuladen. Grundsätzlich habe ich nichts gegen Bauern, schließlich müssen diese auch sehr fleißig arbeiten. Aber beim Jammern sind die Bauern immer ganz vorne mit dabei. Die Grünen können überhaupt nichts für eine Maul- und Klauenseuche und dem vielfachen Exportverbot von Fleisch. Es gibt doch keinen Grund immer mehr Fleisch zu produzieren, denn so gesund ist tägliches Fleisch wirklich nicht. Ausgerechnet für die Bauern sind die Grünen eigentlich ein Vorteil, denn die Pestizide in der Grundnahrung schaden langfristig jedem.

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